Sonst suchen sie ein neues Zuhause für diejenigen, die dringend eines brauchen, für Obdachlose. In Bremen gibt es mitunter mehr als 1000 – geschätzte Dunkelziffer inklusive. Doch jetzt sind erst einmal die Helfer selbst eingezogen: Das im Dezember 2021 gestartete Projekt Housing First hat neue Räume an der Pappelstraße bezogen. Das Ziel ist, Obdachlose von der Straße in die eigene Wohnung zu bringen – ein erster Schritt in die Normalität, auf der die weitere Unterstützung aufbaut. Finanziert wird das, wie bei vielen Menschen mit geringem oder keinem Einkommen, in der Regel durch das Jobcenter. Gefördert wird der Beratungs- und Unterstützungsaspekt des Projektes von der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport. Weitere Partner wie die Gewoba oder die Ameos-Kliniken sind mit an Bord. Getragen wird Housing First von den beiden Vereinen Wohnungshilfe Bremen und Hoppenbank.
Standortwahl mit Bedacht
"Das war keine einfache Sache", blickt Svenja Böning, Geschäftsführerin des Vereins Hoppenbank, auf eine mehrere Monate dauernde Suche nach Räumlichkeiten für die Mitarbeiter zurück. Doch Böning ist zufrieden. Denn mit dem neuen Standort in der Pappelstraße fand das Team, wonach es suchte: eine im Erdgeschoss liegende Fläche, die durch Schaufenster einsehbar und so nach außen offen ist, sowie einen privateren Bereich im Stock darüber, in dem vertrauliche Beratungen stattfinden können. "Wir möchten, dass die Hilfesuchenden einfach bei uns vorbeischauen, sich unterhalten oder auch nur etwas Warmes trinken können", erklärt sie den oft langen Weg hin zu einem Vertrauensverhältnis, aus dem heraus dann effektiv geholfen werden könne. Das Schaufenster soll aber auch jedem die Chance geben, zu sehen, wer gerade dort ist – und vielleicht ohne jeglichen Kontakt weiterlaufen zu können.
Wohnung als Neustart
Der Verein Wohnungshilfe Bremen kümmert sich in erster Linie um alles rund um die eigentliche Wohnungsvergabe. Der Verein Hoppenbank, ursprünglich in der Straffälligenhilfe tätig, zeichnet für die sozialpädagogischen Aspekte verantwortlich. Man folgt einem simplen Ansatz: Am Anfang steht die Wohnung. Darauf baut dann alles Weitere auf – egal ob Schuldnerberatung, Entgiftung, Psychotherapie oder irgendwann später sogar wieder Einkommenserwerb.
Von diesem Punkt aus sollen unabhängig von der Wohnung weitere Probleme bewältigt und Schritte gemacht werden, um den Weg in ein geordnetes Leben zu schaffen. Das Geld kommt in der Regel vom Jobcenter, alle Fragen rund um die Wohnung werden letztlich zwischen ehemals Obdachlosen und dem Vermieter geklärt. Dennoch bleibt Housing First an Bord: "Wir lassen niemanden alleine, weder die neuen Mieter noch die Vermieter", stellt Svenja Böning klar. Wer nach dem Einzug keine weitere Hilfe aus dem Projekt heraus will, kann diese auch ablehnen: "Es gibt keinen Haken, keine Bedingung", bekräftigt Böning und betont, dass es hier vonseiten Housing First nicht um Druck hin zur Veränderung, sondern vor allem um einen sicheren Rückzugsort zum Neustart gehe.

Der Unterstand für Obdachlose am Lucie-Flechtmann-Platz in der Neustadt wurde bereits im Jahr 2019 geschaffen.
Lange Warteliste
Alsbald möchte man auch mehr Leute einstellen, denn der Andrang auf die neue Anlaufstelle ist groß: Elf Interessierte sind auf gutem Wege in private vier Wände, drei Personen sind seit Dezember bereits in neue Wohnungen gezogen, einige weitere warten nur noch auf ihre Mietverträge. Doch vor allem die Warteliste wächst schnell: 26 Einträge stehen dort – jeder für einen Hilfesuchenden.
Das bisherige fünfköpfige Team, bestehend aus Sozialpädagogen, einem Seelsorger, Immobilienfachangestellten und Pflegefachkräften, stoße aktuell an seine Grenzen, schildert die Geschäftsführerin von Hoppenbank die aktuelle Situation. Das könnten auch Ehrenamtliche und Praktikanten nur begrenzt auffangen, denn jeder Fall sei einzigartig. „Deshalb haben wir derzeit leider einen Aufnahmestopp“, bedauert Svenja Böning. Und der aktuelle Wohnungsmarkt sei ebenfalls ein limitierender Faktor. Nur dank der Partner, unter anderem Haus und Grund, Vonovia und Gewoba, könne man überhaupt Obdachlose relativ schnell von der Straße holen, sagt die Vereins-Vertreterin.
Der Erfolg eines ähnlichen Projektes in Lissabon macht Hoffnung: "Da sind alle auch nach längerer Zeit noch in ihren neuen Wohnungen", berichtet Böning zuversichtlich, dass sich diese langfristig wirkende Hilfe zur Selbsthilfe auch in Bremen verwirklichen lässt.
Aktuell kommen die Anfragen übrigens recht ausgeglichen von Männern und Frauen, doch langfristig werde sich dies hin zu den Männern verschieben, weiß Böning aus Erfahrung. „Wir haben momentan wohl etwa 800 Obdachlose auf den Straßen Bremens, dabei ist die Dunkelziffer aber ungewiss“, schätzt sie. Vor allem betroffene Frauen rutschen nach ihren Worten oft in die Prostitution, um sich so einen vermeintlich sicheren Schlafplatz zu verschaffen. So werde ihre Zahl immer wieder in der Statistik unterschätzt, weil sie schlicht schwer zu erfassen sei.