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Antje Wagner-Ehlers über Altenbarbeit "Zeit sinnvoll verschenken"

Ehrenamtliche besuchen ältere Menschen zu Hause und wirken deren Isolation entgegen. Initiatorin Antje Wagner-Ehlers im Gespräch über
05.06.2021, 10:00 Uhr
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Von Silja Weißer

Frau Wagner-Ehlers, Sie vermitteln Besucher an ältere Menschen, die eine Begleitung, Gespräche oder Informationen benötigen. Woher stammt die Idee?

Antje Wagner-Ehlers: Das Projekt wird gefördert von der Senatorin für Soziales, Jugend, Integration und Sport.  Es läuft in fast jedem Bremer Stadtteil, in einigen sogar schon seit über zehn Jahren. Bei uns fehlte das Angebot noch.

Welche Vorteile sehen Sie darin, neue soziale Kontakte im Alter aufzubauen?

Die psychischen Folgen einer Vereinsamung sind enorm. Angefangen von Depressionen bis hin zu Ängsten, vor die Haustür zu treten. Auch das Bedürfnis, Schönes mit jemandem zu teilen ist ein Anliegen. Eine Frau, die den Besuchsdienst in Anspruch genommen hat, war seit vier Jahren verwitwet. Zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes hatte sie die Stimme verloren. Sie kann nur noch mit Mühe und sehr langsam sprechen. Das Kurzgespräch an der Supermarktkasse reicht eben nicht aus.

Einsamkeit ist still. Wie werden Sie auf Menschen aufmerksam, die Redebedarf haben?

Manchmal sind es Nachbarn oder enge Verwandte, die sich an uns wenden. Ansonsten ist es eine wirklich große Herausforderung, älteren Menschen ein Besuchsangebot zu machen. Viele nehmen nicht mehr so rege am gesellschaftlichen Leben teil und die Lebensfreude nimmt ab. Die Freiwilligen und ich haben am Markt Schweizer Eck, in Apotheken, Arztpraxen und Einkaufsmärkten Flyer verteilt, um auf den Besuchsdienst aufmerksam zu machen. Durch die Pandemie wurde das Projekt etwas unterbrochen. Da die Angst der Menschen vor einer Ansteckung zu groß war, haben wir in dieser Zeit mehr mit ihnen telefoniert als sie persönlich zu besuchen.

Welchen Besucher wählen Sie für welchen Interessenten aus?

Oftmals weiß ich schon, wer zu wem passen könnte. Am Anfang nehme ich telefonisch Kontakt auf und stimme einen Termin für den Erstbesuch ab, den zunächst nur ich wahrnehme. Kurz vorher rufe ich durch; das ist auch aus Gründen der Sicherheit wichtig. Wenn es zum Hausbesuch kommt, weiß man, wen man erwartet und lässt nicht Fremde ins Haus. Nachdem ich die Interessen herausgefunden habe, schaue ich, ob ich einen entsprechenden Partner im Team habe. Wenn die Chemie nicht stimmt, hilft nur Offenheit, dann wird ein neuer Freiwilliger gesucht, der passt. So hatte zum Beispiel eine ältere Dame Bedenken, dass Gerede im Haus aufkommen würde, wenn sie gerade verwitwet nun Männerbesuch bekommen würde. Jetzt besucht sie eine Frau.

Wie erklären Sie sich, dass die Einsamkeit im Alter immer mehr zunimmt.

Ich denke, dass gerade diese Generation der älteren Menschen sehr einsam ist. Oft haben die Frauen und Männer Jahrzehnte mit einem Partner verbracht, bei dessen Tod ein Teil ihrer selbst stirbt. Das ist in der Single-Gesellschaft von heute anders. Da hat der Freundeskreis eine andere Bedeutung und gibt einen größeren Halt. Auch Armut kann eine Rolle spielen, sich immer mehr zurückzuziehen. Dann leidet das Selbstvertrauen und die Scham ist sehr groß, sich aus dem eigenen Umfeld zu begeben. Eine neue Brille, Zahnersatz, all das kostet Geld, das nicht immer zur Verfügung steht.

In welchen Abständen finden die Besuche statt?

Das ist individuell ganz unterschiedlich. Manch ältere Menschen freuen sich über ein wöchentliches Telefonat, andere über einen Spaziergang einmal im Monat oder eine Begleitung zu einer Veranstaltung im Stadtteil. Jedes Paar spricht sich ab wie lange und wie oft es in Kontakt treten möchte.

Welche Qualifikation muss man als Besucher haben?

Ein einfaches Führungszeugnis ist Voraussetzung. Dazu kommen Fingerspitzengefühl, Zeit und Spaß am ehrenamtlichen Engagement. Über die Freiwilligen-Agentur haben sich schon einige Besucher und Besucherinnen gemeldet. Fünf Teams haben wir bereits gebildet. Wir könnten aber noch Verstärkung gebrauchen. Ein Honorar gibt es allerdings nicht, nur Fahrgeld und Fortbildungen werden erstattet.

Welcher Art sind die Fortbildungen?

Ein wichtiges Thema ist Nähe und Distanz. Wie viel Nähe muss und darf ich aufbauen? Wie grenze ich mich aber auch ab?

Wie profitieren die Besucher von dem Projekt?

Es haben sich bei der Aufsuchenden Altenarbeit schon gute Bekanntschaften gebildet. Durch die Schweigepflichtserklärung, die am Anfang unterschrieben werden muss, sind die Gespräche sehr intensiv und offen. Man arbeitet im Team und tauscht sich aus, lernt spannende Menschen und Geschichten kennen und kann kostenlos an Fortbildungen teilnehmen. Der größte Gewinn ist, seine Zeit sinnvoll zu verschenken an jemanden, der die Zeit auch schätzt. Es hat also für beide Seiten einen positiven Effekt.

Das Gespräch führte Silja Weißer.

Zur Person

Antje Wagner-Ehlers (63)

arbeitet seit mehr als 30 Jahren im Arbeitslosenzentrum (ALZ) in der Wormser Straße. In der Einrichtung der Bremischen Evangelischen Kirche ist sie zuständig für die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit sowie für die Organisation von kulturellen Veranstaltungen und Ausflügen. Vor eineinhalb Jahren hat sie die Aufsuchende Altenarbeit in Osterholz und Tenever eingeführt. Mit Hausbesuchen von Ehrenamtlichen soll der Isolation von älteren Menschen entgegengewirkt werden.

Info

Das Angebot der Aufsuchende Altenarbeit beinhaltet: Begleitung zu Veranstaltungen, gemeinsame Spiele spielen, Kaffee trinken und klönen, Telefonate führen, Spaziergänge. Ansprechpartnerin für Frauen und Männer, die Besuchsdienste übernehmen möchten, sowie ältere Menschen, die Besuche wünschen, ist Antje Wagner-Ehlers. Sie ist unter Telefon 402068 und 01520/8963013 erreichbar sowie per E-Mail an aufsuchende-altenarbeit.tenever@kirche-bremen.de.

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