Mit Schmackes dreht Yasar Kocas an dem großen silbernen Drehkreuz. Die Metallschränke im Untergeschoss der Gesamtschule Ost (GSO) gleiten auseinander. Dort, wo ehemals Schulbücher lagerten, stapeln sich in den Regalen Erbsen- und Ananasdosen, Reistüten, Apfelmus- und Marmeladengläser. Kocas ist einer von 40 ehrenamtlichen Helfern, die sich jeden Freitag im Schulgebäude der Walliser Straße 125 in Tenever einfinden, um ab 17 Uhr Lebensmittel für Menschen mit schmalem Geldbeutel zu verschenken. Die Lagerräume sind gut gefüllt.
Eine Oase in der Wüste der Probleme
Im Herbst öffnete die Raphael-Oase ihre Türen. Der Name steht für den Wunsch, mitten in der Wüste der persönlichen und wirtschaftlichen Probleme Bedürftigen einen besonderen Ort der Gastfreundschaft und kostenlosen Hilfe anzubieten. Die Initialzündung für das Projekt gab Ortsamtsleiter Ulrich Schlüter. Er sprach Marc Weber an, Pfarrer der St.-Raphael-Gemeinde, weil immer mehr Menschen im Stadtteil nicht genug Geld für Essen hätten.
Anfangs startete das Projekt unter Leitung seiner Schwester Deodata Weber im OTe-Zentrum, doch der Ansturm war zu groß. „Es kommen jede Woche rund 200 Menschen, manchmal auch 250“, berichtet die Nonne der Thuiner-Franziskanerinnen-Ordensgemeinschaft. Sie lebt in einem Konvent im Schnoor und leitete als gelernte Krankenschwester zuvor in Berlin eine Notaufnahme. Die Ruhe bewahren und organisieren, das kann sie.
Die Lebenskosten seien gestiegen und der Bedarf sei groß, erzählt Schwester Deodata. Die Bremer Tafel könne ihn nicht mehr decken. In ihrer schwarzen Ordenstracht steht sie mitten im Gewusel der vielen Helfer, die emsig um sie herum auf dem überdachten Schulhof mit dem Aufbau beschäftigt sind, und ist geduldige Ansprechpartnerin für jeden.
Holpriger Start
Um finanzielle Unterstützung zu erhalten, versuchte die Ordensschwester zunächst bei einem großen Bremer Unternehmen ihr Glück. Kurz vor der ersten Lebensmittelausgabe zog dieses seine Zusicherung jedoch zurück. „Die Leute hatten sich aber auf die Ausgabe gefreut und waren eingeladen, da konnten wir unmöglich alles rückgängig machen, sonst wäre das nicht mehr in Gang gekommen“, berichtet sie von dem holprigen Start. In Windeseile sammelte sie Geld über die Kirchengemeinde und Privatleute. Eine kleine Firma, die anonym bleiben möchte, spendete 1000 Euro – ein Zuschuss, auf den sie sich seither monatlich verlassen kann.
Das katholische Bonifatiuswerk bewilligte Schwester Deodata eine halbe Stelle. Nicht nur viele Ehrenamtliche aus der Kirchengemeinde, dem Stadtteil und der Moscheegemeinde unterstützen die wöchentliche Aktion. Mit im Boot sind auch Schüler und Lehrer der GSO, die Polizei und weitere örtliche Einrichtungen. Das Projekt steht nicht mehr auf wackligen Beinen, kommt aber auch künftig nicht ohne Geldgeber aus.
Nur haltbare Lebensmittel
Im Wesentlichen bezieht die Raphael-Oase ihre Waren von Edeka. Der Supermarkt schickt Angebote, von denen ein siebenköpfiges Organisationsteam auswählt. Unter den Einkäufen im Wert von 1500 bis 2000 Euro befinden sich ausschließlich haltbare Lebensmittel, die keine Kühlung benötigen. „Wir haben keine Kühlmöglichkeiten. Das ist sehr schade. Und den vielen Leuten könnten wir unmöglich erklären, dass sie die Waren schnell zu Hause kühlen müssten“, bedauert Schwester Deodata. Das Publikum ist kulturell gemischt. Verschiedene Sprachen flirren durch die Luft.

Yasar Kocas
Yasar Kocas ist nicht nur ein Mann, der zupackt, die großen Tische für die Warenausgabe ausklappt und Ständer für die Warteschlangen-Führung aufstellt. Er trägt ein Lächeln im Gesicht, das er mit anderen teilen möchte. So fragte er etwa bei einer der Lebensmittelausgaben die Wartenden nach ihrer Herkunft, suchte auf seinem Handy Musik aus dem jeweiligen Herkunftsland und spielte die Heimatmelodien ab. „Das war eine große Freude“, berichtet er.
Auch Gerd Thevissen, im Kirchenvorstand der Raphael-Gemeinde und freiwilliger Helfer, betont: „Wir schauen hier jedem in die Augen, nehmen die Menschen wahr und kommen ins Gespräch.“ Es sei keine Abfertigung, sondern eine Zusammenkunft.

Hildegard Dehne ist eine der Freiwilligen, die mit Begeisterung hilft. Yasar Kocas (oben) verschenkt immer ein Lächeln an die Besucher der Raphael-Oase, die Schwester Deodata aufgebaut hat.
Hildegard Dehne steht hinter einem Berg aus Dosen und nickt. Sie ist seit Dezember im Helferteam und wollte eigentlich nur mal vorbeischauen. „Ich war fast zu Tränen gerührt“, erzählt die Pensionärin. „Seither hat es mich immer wieder hierher gezogen.“
Zur Raphael-Oase strömen die Menschen bereits Stunden vor der Lebensmittel-Ausgabe, die in naher Zukunft in die große Eingangshalle der Schule verlegt werden soll. Um den Ansturm unter Kontrolle zu haben, registrieren Helfer der St.-Petri-Kinder- und Jugendhilfe im alkoholfreien Jugendcafé auf dem Gelände der GSO alle Ankömmlinge und verteilen Nummern. Niemand soll mit leeren Händen nach Hause gehen. Für jede Person sind Lebensmittel im Wert von sieben bis zehn Euro eingeplant. Außerdem ist für eine Kinderbetreuung gesorgt.