Flüchtlinge vom Balkan statt Ortskräfte aus Afghanistan wie von der Sozialbehörde zugesagt – eine Änderung in der Belegung einer Container-Unterkunft in Tenever ist in der jüngsten Sitzung des Ortsbeirates auf heftige Kritik gestoßen. Ein Vertreter der Sozialbehörde hat von einem Kommunikationsdefizit gesprochen, Institutionen aus dem Stadtteil sehen einen massiven Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust in der Bevölkerung.
Rückblick: Ende Juli eroberten die Taliban in schnellen Vorstößen die afghanischen Provinzen und die Hauptstadt Kabul. Es folgte der überstürzte Abzug der noch verbliebenen ausländischen Truppen. Auch ein kleiner Teil der afghanischen Ortskräfte, also Afghanen, die beispielsweise als Dolmetscher für ausländischen Truppen und Institutionen gearbeitet hatten, konnte ausgeflogen werden. Ein Kontingent dieser Ortskräfte und ihrer Familien hat Bremen aufgenommen. Diese wiederum sollten, so der Plan der Sozialbehörde, in die gerade leer gewordenen Container einer Notaufnahmestelle für Obdachlose in der Neuwieder Straße untergebracht werden.
Beirat und Ortsamt erklärten sich für eine befristete Verlängerung des Container-Standortes bereit, informierten die Anwohner per Infobrief über die Regelung. In den vergangenen Tagen und Wochen haben die Anwohner nun andere Beobachtungen gemacht, als kommuniziert worden war. „Wir mussten feststellen, dass sich ohne weitere Informationen die Belegung geändert hat“, sagte Beiratssprecher Wolfgang Haase (SPD), der betonte, dass man keine Menschen aus Notlagen gegeneinander ausspielen wolle. „Da frage ich mich, was die Beiratsarbeit wert ist, wenn ohne Absprachen die Bedingungen geändert werden.“
Ein Anwohner der Neuwieder Straße schilderte den Vorgang aus seiner Sicht. „Es gab die Information, dass Flüchtlinge aus Afghanistan einquartiert werden sollen. Wir haben aber beobachtet, dass vor allem Menschen aus dem Balkan eingezogen sind.“ Es hätte nicht eines Prozederes wie beim Brexit-Referendum gebraucht. „Aber ich hätte von der Politik schon erwartet, dass die Anwohner beteiligt werden.“
Silvia Suchopar (Linke): „Ich bin generell dafür, dass die Container für Flüchtlinge bereitgestellt werden, aber hier geht es ums Prinzip, wir fühlen uns veräppelt.“ Mihdiye Akbulut vom Mütterzentrum Tenever, dieses Jahr als Frau des Jahres in Bremen für ihr Engagement in der Corona-Krise ausgezeichnet, fürchtet einen Vertrauensverlust. „Ich habe diesen Brief verteilt, aber da schon zum Teil Aggressionen erlebt.“ Anwohner hätten gesagt, dass es doch eh anders kommen würde. Sie hätte diese Befürchtungen beschwichtigt, und nun sei es tatsächlich anders gekommen. „Ich werde auf meinem Handy mit Anrufen bombardiert, unsere Glaubwürdigkeit ist verletzt.“
Tobias Lehr vom Sozialressort versuchte, die Wogen zu glätten. „Ich muss mich dafür entschuldigen, dass es ein Kommunikationsdefizit gab.“ Dass es nun zu einer Belegung der Container mit Menschen aus dem Westbalkan gekommen sei, liege an einem extremen Flüchtlingszustrom in den vergangenen Wochen. Vom 1. November an sollen diese aber in einem Hostel untergebracht werden und dann tatsächlich afghanische Flüchtlinge in der Neuwieder Straße unterkommen. „Das beantwortet aber immer noch nicht die Frage, warum wir nicht informiert worden sind“, merkte Wolfgang Haase an. „Wären wir informiert gewesen, dass dies nur für eine begrenzte Zeit ist, dann wäre schon viel Dampf rausgenommen worden.“ Das Sozialressort kommuniziere schlecht und die „Watschen“ holten sich Beirat, Ortsamt und die Institutionen vor Ort ab.
Ortsamtsleiter Ulrich Schlüter befürchtet, dass die Nachricht vom Umzug in das Hostel zu spät kommt. „Der Zug war abgefahren, als wir den Brief verteilten und dann statt Afghanen Menschen vom Balkan kamen.“ Er fühle sich durch das Ressort veräppelt. Sein Appell: „Wir müssen anders miteinander umgehen, denn es wird nicht die letzte Flüchtlingswelle sein.“ Es brauche genaue Angaben, damit die Bürger gut informiert werden können. „Wir verlieren sonst vor Ort unsere Glaubwürdigkeit“, so Schlüter, der bei den anwesenden Anwohnern um Entschuldigung bat.
Lehr begründete die ausbleibende Kommunikation mit der Notsituation. „Wir hatten keinen Platz mehr und mussten sehr kurzfristig Menschen unterbringen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir besser kommunizieren.“