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Häusliche Gewalt Tenever demonstriert gegen Gewalt an Frauen

Jeder kann betroffen sein, und doch wird kaum über das Thema Partnergewalt gesprochen. In Tenever demonstriert ein Bündnis gegen Gewalt an Frauen. So groß ist das Problem.
27.11.2023, 05:00 Uhr
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Tenever demonstriert gegen Gewalt an Frauen
Von Christian Hasemann

Gewalt in Partnerschaften und Beziehungen, von der besonders, aber nicht nur, Frauen und Mädchen betroffen sind, ist ein Tabuthema, über das häufig nicht gesprochen wird. Ein Bündnis aus Osterholz möchte anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen mit einer Demonstration an diesem Montag das Thema in das Licht der Öffentlichkeit rücken.

"Das Thema geht uns alle an", sagt Astrid Wellbrock vom Haus der Familie in Tenever, das damit wie auch andere Einrichtungen immer wieder in der täglichen Arbeit mit Frauen, Familien und Männern konfrontiert wird. "Die Zahl von Opfern häuslicher Gewalt ist gestiegen", sagt Wellbrock. Schon in den vergangenen Jahren habe die Arbeitsgemeinschaft Frauen in Tenever kleinere Veranstaltungen gegen Gewalt an Frauen organisiert. "Aber jetzt haben wir gesagt: Das soll größer werden, jeder soll es sehen." Geplant ist ein Marsch auf der Otto-Brenner-Allee durch Tenever.

Anne Kaupisch baut derzeit in Tenever das Modellprojekt "Stop – Stadtteile ohne Partnergewalt" auf. Sie sagt: "Die Frauen berichten von Erlebnissen auf den Weg nach Hause, im Park, in der Öffentlichkeit." Es gehe eben nicht nur um den häuslichen Bereich, sondern umfasse alle Bereiche des Zusammenlebens. "Ich unterhalte mich auch mit Männern. Auch sie sagen, dass das Thema wichtig sei und nicht genügend darüber gesprochen werde."

Kaupisch und Wellbrock geht es darum, dass eine andere Sprache gefunden wird. "Er tötete aus Liebe", "eine tragische Beziehungstat" – das sind gängige Beschreibungen in manchen Medien, wenn ein Partner, in den meisten Fällen ein Mann, seine Partnerin oder Ex-Partnerin tötet. "Damit wird die Tat relativiert", sagt Kaupisch. Man wolle mit der Demo zeigen, dass es nicht normal sei, wenn von Beziehungstaten gesprochen werde. "Es sind Morde an Frauen", stellt Kaupisch klar.

Alle drei Tage wird eine Frau umgebracht

Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht. Diese Morde werden auch als Femizid bezeichnet, sind aber kein eigener Straftatbestand. Forschungen, zum Beispiel das Forschungsprojekt
"Gewalteskalation in Paarbeziehungen" des Instituts für Polizei und Sicherheitsforschung, zeigen, dass diese Taten vergleichsweise häufig geplant sind.

Ein Problem ist die hohe Dunkelziffer. Scham, Sprachbarrieren, Isolation – das sind einige Gründe, warum es Frauen schwerfällt, der Gewalt zu entkommen. Einige wenden sich an Einrichtungen wie das Haus der Familie oder an die Frauengesundheit in Tenever. "Wir vermitteln in Frauenhäuser, helfen bei der Anzeige, beraten zum Opferschutz", sagt Wellbrock.

Bundesweit stiegen die Zahlen häuslicher Gewalt nach Angaben des Bundesinnenministeriums 2022 um 8,5 Prozent. Laut Polizei Bremen sind auch im Stadtteil Osterholz und im Ortsteil Tenever die Fallzahlen kontinuierlich gestiegen. 2021 erreichten sie ihren bisherigen Höhepunkt: 168 Fälle wurden in Osterholz zur Anzeige gebracht, 62 davon in Tenever. 2022 ging die Zahl der angezeigten Taten, wie in ganz Bremen, zurück. Die Vermutung: Mit Ende der Corona-Epidemie entspannte sich die Lage in den Familien. Vom Mittel des Wohnungsverweises von Tätern, das der Polizei seit 2001 zur Verfügung steht, wurde im einstelligen Bereich Gebrauch gemacht.

Laut Polizei handelt es sich bei häuslicher Gewalt um einen Bereich, der oft "hinter verschlossenen Türen" stattfinde. Nicht angezeigte Fälle verblieben im sogenannten Dunkelfeld. Verschiedene Dunkelfeld-Studien gingen davon aus, dass die deutliche Mehrheit der Fälle von häuslicher Gewalt nicht zur Anzeige gebracht werde. So lag laut der Dunkelfeld-Studie "Viktimisierungsstudie Sachsen" aus dem Jahr 2022 die Anzeigebereitschaft bei sexualisierter und häuslicher Gewalt zwischen vier und 13 Prozent. Eine andere Studie beschreibt eine Anzeigenbereitschaft zwischen 0,4 und 42,7 Prozent. Generell werden Fälle von körperlicher oder sexueller Gewalt häufiger angezeigt als Fälle von psychischer Gewalt. "Für die Stadt Bremen dürfte ein ähnliches Anzeigeverhalten von Opfern häuslicher Gewalt anzunehmen sein", so ein Sprecher der Polizei.

Drängender Bedarf an Hilfe

Der tatsächliche Bedarf an Hilfe und Beratung ist also hoch. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen haben mehrere Hilfs- und Beratungseinrichtungen aus Bremen in offenen Briefen auf Finanzierungsbedarfe in den kommenden Jahren hingewiesen. Schon jetzt müssten Betroffene von sexualisierter und häuslicher Gewalt bei einigen Einrichtungen bis zu zwölf Wochen auf einen Termin warten, heißt es in einer Pressemitteilung der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau. Auch bei den Bremer Frauenhäusern gebe es personelle Engpässe und es fehle an Therapieplätzen für von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen, heißt es weiter.

"Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind und Schlimmes erlebt haben, teilweise sogar traumatisiert sind, wochen- oder monatelang ausharren müssen, bis sie Unterstützung bekommen", wird Bettina Wilhelm, Landesfrauenbeauftragte von Bremen zitiert.

In Tenever wollen Frauen und Männer an diesem Montag buchstäblich vorangehen, um ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen. Die Demonstration beginnt um 12 Uhr vor dem OTe-Zentrum in der Otto-Brenner-Allee 44/46. Sie soll gegen 14 Uhr enden.

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Info

Hilfe bekommen Betroffene unter anderem auf der Internetseite www.gewaltgegenfrauen.bremen.de. Hilfe und Beratung erhalten sie ebenso wie Angehörige darüber hinaus unter der bundesweiten Kurznummer 116 016.

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