Anfang April kommenden Jahres wird in Bremen eine Ambulanz für Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt eröffnen. Das Besondere an der Einrichtung: Neben der medizinischen Versorgung gibt es die Möglichkeit, die Spuren von Verletzungen durch Faustschläge, Tritte, Würgen, Vergewaltigungen sowie andere Misshandlungen vertraulich sichern, dokumentieren und bei Bedarf lagern zu lassen – für den Fall, dass sich die Opfer erst später zu einer Anzeige entschließen.
An der Berliner Charité gibt es eine solche Einrichtung seit 2014, sie gilt bundesweit als Vorbild. Die Rechtsmedizinerin Saskia Etzold hat die Anlaufstelle in Berlin mit aufgebaut und wechselt, wie berichtet, als Leiterin der neuen Gewaltschutzambulanz nach Bremen. Standort wird das Klinikum Bremen-Mitte sein. „Das Konzept steht, jetzt geht es noch um die Details“, betont Etzold.
Wer kann sich künftig an die Gewaltschutzambulanz wenden?
Die Gewaltschutzambulanz richtet sich an Opfer häuslicher und sexualisierter Gewalt – an Erwachsene und Kinder. „Die Erfahrungen aus Berlin zeigen, dass vorwiegend Frauen und Kinder betroffen sind“, sagt Etzold. „Die Anlaufstelle richtet sich aber an alle. Das Angebot ist kostenlos und vertraulich. Dies bedeutet: Ohne die Zustimmung der Betroffenen werden keine Namen oder Dokumentationen etwa an Polizei, andere Behörden oder Personen herausgegeben. Dafür ist eine Entbindung von der Schweigepflicht durch die Betroffenen zwingend.“ Die Gewaltschutzambulanz ist ein zentraler Bestandteil der Umsetzung der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen.
Was passiert, wenn sich beispielsweise eine Frau, die Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, an die Ambulanz wendet?
„Die medizinische Versorgung geht immer vor“, betont Etzold. „Die Frau wird in diesem Zuge, beispielsweise in der Notaufnahme, auch auf das Angebot der Gewaltschutzambulanz aufmerksam gemacht.“ Konkret bedeutet das: Verletzungen wie blaue Flecken (Hämatome), Brandmale von Zigaretten, zugeschwollene Augen, Würgemale am Hals oder ausgeschlagene Zähne werden fotografiert und schriftlich dokumentiert. Dies geschieht durch eine Rechtsmedizinerin beziehungsweise einen Rechtsmediziner.
„Ob dieses Angebot in Anspruch genommen und wie in diesem Falle mit der rechtsmedizinischen Begutachtung weiter verfahren wird, liegt ganz bei den Betroffenen“, so die Ambulanzleiterin. „Es handelt sich um eine gerichtsfeste Dokumentation.“ Diese sowie die gesicherten Spuren können bis zu zehn Jahre vertraulich gelagert und nur von den Betroffenen freigegeben werden.
„Sehr häufig ist es so, dass Opfer in der akuten Situation nicht in der Lage sind, eine Entscheidung zu treffen. Oder sie befinden sich in einer Partnerschaft mit dem Täter, aus der sie sich womöglich erst später lösen können“, erklärt Etzold. Die Erfahrungen aus Berlin zeigten, dass Opfer häufig nach einiger Zeit doch Anzeige erstatteten. In diesem Fall könnten sie die Dokumentation abrufen. „Eine weitere Möglichkeit ist, dass die Unterlagen zur Aufbewahrung an eine andere Person weitergeleitet werden, wenn die Betroffenen dies möchten. Dafür ist wiederum eine Entbindung von der Schweigepflicht erforderlich.“
Bisher war die Spurensicherung in Bremen nur nach sexualisierter Gewalt möglich – mit der neuen Ambulanz wird sie nun auch auf häusliche Gewalt ausgeweitet. Außerdem ist sie Schnittstelle zur Kinderschutzgruppe der Bremer Kinderkliniken, die es seit 2010 gibt.
Welche Angebote gibt es darüber hinaus?
Laut dem Konzept geht es um eine ganzheitliche Betreuung – von der akutmedizinischen Versorgung über die Möglichkeit der vertraulichen Spurensicherung, rechtsmedizinischen Dokumentation bis hin zu Beratung und Weiterleitung an andere Anlaufstellen. Neben Frauenhäusern seien dies etwa auch Angebote zur psychologischen Betreuung. Geplant sei außerdem ein mobiler Dienst etwa für Gewaltopfer, die stationär in einem Krankenhaus versorgt werden müssen und die Ambulanz zur Spurensicherung und Dokumentation aufsuchen können.
Ein weiterer Schwerpunkt sind laut Etzold Fortbildungen und Schulungen. „Zur Zielgruppe gehören medizinisches und pflegerisches Klinikpersonal, niedergelassene Mediziner wie Gynäkologen oder Hausärzte, Fallmanager des Jugendamts, Polizisten sowie Personal in Kitas und Schulen“, erklärt die Rechtsmedizinerin.
Wie erfahren Betroffene von dem neuen Angebot?
Zum einen über Beratungsstellen, Ärztinnen und Ärzte, Rettungsdienste oder die Polizei. In Praxen, Jobcentern, Uni und Hochschule, Bars und Diskotheken sollen Informationsflyer sowie Plakate ausgelegt und aufgehängt werden. „In Berlin haben wir zum Beispiel auch gute Erfahrungen mit Spiegelaufklebern auf Toiletten und Karten im Scheckkartenformat für das Portemonnaie gemacht“, so Etzold. „Wichtig ist, dass die Informationen mehrsprachig sind.“