Auftakt nach Maß für die beliebte Freiluft-Konzertreihe Fockes Pavillon. Die Sopranistin Julia Bachmann unternahm, einfühlsam begleitet von der Violinistin Olga Klosowska und dem Pianisten Jorrit van de Ham, eine musikalische Reise nach "Bella Italia". In’s „Land, wo die Zitronen blühn“, wie schon Goethe seine Mignon schwärmen ließ. Dazu strahlt die Sonne vom azurblauen norddeutschen Himmel. Klar, dass Bachmann, sonnengeküsst, nach über zwei Stunden, quasi als Rausschmeißer, "O sole mio" schmettert und dabei über den Rasen tanzt.
Und tatsächlich, der jungen Sopranistin gelingt es mit Witz, Charme und sprühender Fantasie, das zahlreich erschienene Publikum mitten im lauschigen Garten des Focke-Museums hinein in einen betörend duftenden Zitronenhain und sogleich auf eine Piazza in Siena zu versetzen. Dort treffen wir eine weitere, fiktive Italienreisende, Mimi, die das toskanische Flair nun mit einem Gläschen Frizzante genießt.
Und was könnte besser dazu passen als das Trinklied aus Giuseppe Verdis Oper "La Traviata": das vor Lebenslust überschäumende "Libiamo". Womit das Publikum schon mitten drin ist in einer Liebesgeschichte mit all ihrem Enthusiasmus, dem Herzklopfen, den süßen Seelenqualen, dem Trennungsschmerz und der daraus resultierenden Melancholie. Julia Bachmanns große Stärke ist es, dass sie mit ihren lockeren Moderationen die Kunstform Oper vom vermeintlich elitären Sockel holt. Ihr Credo: "Oper für alle". Oper als volksnahe Kunst, so wie es in ihrem Ursprungsland, in Italien, von jeher gewesen ist. Kurz: Die Sopranistin liebt und lebt die Oper voller Temperament, mit voluminöser, eminenter Stimmschönheit.
Und so illustriert sie mit den Emotionen der schönsten, italienischen Opernarien eine neu erfundene Geschichte, in der Mimi auf den mittellosen Dichter und Sänger Rodolfo trifft, der ihr so nah und auch so ähnlich ist, in all ihrem Denken und Fühlen. "Ich möchte meine Augen tief in deinen spüren", so sagt es Julia Bachmann. Mimi und Rodolfo stammen aus Puccinis Oper "La Bohème", die eigentlich mitten im bitterkalten Pariser Winter spielt. Und so lässt die Sopranistin die Arie "Mi chiamano Mimi", mit der sich Mimi Rodolfo vorstellt, mit den zartesten Piani wie eine Eisblume aufblühen.
Dass im Publikum auch zahlreiche Opernenthusiasten und Fans der Sopranistin sitzen, die bereits im Sommer vergangenen Jahres mit dem von ihr konzipierten Musikalischen Gartensalon für Furore sorgte, davon zeugt so mancher Kommentar. So ruft ein Zuhörer: "O soave fanciulla", "oh, süßes Mädchen", ein Zitat aus "La Bohème", gemünzt auf Mimi und ihre Interpretin. Auch Jürgen Oetje und seine Begleiterin aus der Neustadt sind restlos begeistert. Sie haben beschlossen, kein Konzert der Sängerin zu versäumen. Schon zuvor hatte sich Mimi mit der Arie der Norina "Auch ich versteh die schöne Kunst, die Männer zu verführen" aus Gaetano Donizettis "Don Pasquale" Mut gemacht. Julia Bachmann gibt mit perfekt perlenden Koloraturen die Kecke, genauso wie als Rosina in Gioacchino Rossinis "Barbiere di Siviglia", die betont, dass sie zu einer Viper werden könne, wenn sie nicht das bekäme, was sie haben möchte, nämlich ihren Geliebten Lindoro. Und die Vögelchen in Fockes Park zwitschern mit ihr um die Wette.
Und Mimi mag, wie Violetta Valéry, Titelheldin aus Verdis "La Traviata" zunächst gar nicht diesem neuen Gefühl der tiefen Liebe vertrauen: "Estrano ...": "Es ist seltsam". Seltsam und nicht standesgemäß findet auch Mimis Vater deren Liebe zu Rodolfo, worauf sie ihn mit dahinschmelzender Stimme anfleht: "Oh mio babbino caro", ach, liebes Väterchen, wenn Du ihn mir nicht gibst, dann werde ich in den florentinischen Fluss Arno springen. "Wenn die Liebe unglücklich ist, klingt die italienische Musik am schönsten", sagt Bachmann. Doch der Babbino ist alles andere als caro, Entsagung ist angesagt, so, wie bei Norma, der Titelheldin von Vincenzo Bellinis gleichnamiger Oper. Die Sopranistin singt die verteufelt schwierige Arie, die bis heute mit der großen Maria Callas assoziiert wird, mehr als beachtlich und voller Dramatik, nur der Spitzenton ganz am Ende droht zu detonieren, genau wie bei der Arie der Wally aus Alfredo Catalanis gleichnamiger Oper.
Es gibt eben nichts Perfektes, das durch etwas mehr filigranem Diamantschliff noch perfekter gemacht werden könnte. Nicht zu vergessen, dass der Wechsel zwischen Gesang und stimmkräftiger Moderation enorm kräftezehrend ist, zumal die Verantwortlichen des Focke-Museums bei sizilianischen Temperaturen kein Wasser für die Künstler auf die Bühne gestellt hatten, vom fehlenden, doch eigentlich obligatorischen Blumenstrauß ganz zu schweigen. Apropos sizilianische Temperaturen: Für Mimi und Rodolfo wird am Ende doch noch alles gut, sie schwingen sich zur Melodie von "Volare" ins Blau, hinauf in die unendliche Weite des Himmels und mit ihnen das mit der Musik mitgehende Publikum: "Nel blu, dipinto del blu, felice di stare lassù" Glücklich in dieser pantheistischen Erfahrung der Natur aufzugehen, wie es Julia Bachmann sagt.