Gudrun Eickelberg : Bislang gab es am 11. August, dem Jahrestag der Schlacht am Waterberg 1904 – die Herero sprechen vom Gefecht am Ohamakari – ein stilles Gedenken von einzelnen Personen am Mahnmal neben dem Anti-Kolonial-Denkmal Elefant im Nelson-Mandela-Park. Weil im Zuge der Erarbeitung eines Erinnerungskonzept Kolonialismus in Bremen das Thema allgemein in der Öffentlichkeit jetzt mehr diskutiert wird, haben wir vom Verein Der Elefant und Kirsten Kappert-Gonther uns vorgenommen, dass es am 10. August erstmals eine öffentliche Gedenkstunde geben soll, bei der der Genozid an den Herero und Nama ins Bewusstsein gerückt wird. Wir wollen in Demut zeigen, dass uns dieser Völkermord auch heute noch angeht und dass uns das Unrecht nicht egal ist, das damals im Namen Deutschlands geschehen ist.
Wie soll die Gedenkstunde ablaufen?Eickelberg: Ich werde ein kurzes Grußwort sprechen, dann wird der Gospelsänger Ady Ariwodo singen, danach wird Kirsten Kappert-Gonther kurz sprechen. Der Herero-Aktivist Israel Kaunatjike aus Berlin und der exzellente Namibia-Kenner Professor Manfred Hinz sind weitere Redner, ehe Ralph Saxe und Kirsten Kappert-Gonther zum Schluss einen kleinen Ausblick geben, was wir uns als Verein weiter vorstellen. Uns ist wichtig, dass wir die Kolonial-Debatte in den Mittelpunkt der Gesellschaft rücken.
Ralph Saxe: Ja, die Unwissenheit auch gerade bei Schülern ist noch groß. Ich glaube, dass man von einer jahrzehntelangen Kultur des Vergessens sprechen muss. Die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte und des Völkermordes an den Herero und Nama ist längst noch nicht so weit, wie ich mir das wünschen würde. Auch bundesweit gesehen hat man sich mit der deutschen Kolonialgeschichte sehr wenig oder beschönigend beschäftigt. Wir müssen da noch sehr viel aufarbeiten.
Bremen ist ja auf einem Weg, das aufzuarbeiten. Vertreter des Focke-Museums und des Staatsarchivs haben sich bei einer Gesprächsrunde dafür ausgesprochen, dass man an die früheren intensiven Forschungen zur Kolonialzeit in Bremen jetzt anknüpfen sollte.Eickelberg: Im Hintergrund sind Forschungen die ganze Zeit gelaufen, auch an der Universität Bremen, wo es ja eine Abteilung für postkoloniale Forschung gibt. Aber diese Themen gehören nicht nur in die Wissenschaft, sondern in die Mitte der Gesellschaft. Vor allem auch an den Schulen sollte es Thema sein.
Saxe: Die deutsche Erinnerungskultur zum Kolonialismus ist bislang eher eine Nische für Leute, die ein spezielles Interesse daran haben. Es ist bisher aber weder in der Schule noch in der Gedenkkultur insgesamt tiefergehend thematisiert worden. Es gibt ja bisher auch keine zentrale Gedenkstätte für den deutschen Kolonialismus und für den ersten Völkermord des vergangenen Jahrhunderts an den Herero und Nama.
Teilen Sie die Auffassung von Afrika-Experten, wonach die heutigen Probleme des Kontinents mit auf den Kolonialismus zurückgehen?Saxe: Ja, um 1900 war das gesamte Afrika aufgeteilt unter europäischen Kolonialmächten. Dann hat man ziemlich willkürliche Grenzen gezogen. Ein großer Teil der Probleme, die Afrika heute hat, fußen auf dem deutschen und europäischen Kolonialismus. Deshalb haben wir eine besondere Verantwortung. Wir als Verein Der Elefant haben versucht, sie nach Bremen runterzubrechen.
Bei der Wirtschaft, die vom Kolonialismus erheblich profitiert hat, ist die Aufarbeitung offenbar nicht beliebt.Eickelberg: Leider werden auch wir als Verein wenig von der Wirtschaft unterstützt. Schon bei der Vereinsgründung 2008 sind wir bei der Wirtschaft betteln gegangen, um vernünftig starten zu können. Das hat außer einer Zuwendung von der Hollweg-Stiftung gar nichts gebracht. Als der Elefant einst gebaut wurde, hatte man unter den Kaufleuten dagegen ganz schnell das Geld zusammenbekommen, um ihn zu bauen. Als er unlängst dem Verfall preisgegeben war, gab es keinen Cent aus der Kaufmannschaft. Das ist bezeichnend. Man hat als Bremer Wirtschaft mit den Kolonien viel Geld verdient, aber heute redet man nicht mehr gern darüber und ist auch nicht bereit, finanzielle Beiträge zu leisten.
Haben Sie auch den Eindruck, dass die Firmen offenbar Angst haben, es könnte wie ein Schuldanerkenntnis aussehen und immer neue Zahlungsaufforderungen nach sich ziehen?Saxe: Es gibt eine große Verantwortung des Staates und der Wirtschaft. Beide haben aber in der Tat höllisch Angst davor, dass sie ganz viel bezahlen müssen. Entschädigungsforderungen kommen ja nicht nur aus Namibia, sondern auch aus Togo und Kamerun.
Die Verbindungen Bremens nach Namibia sind aber immer noch eng – oder?Saxe: Ja, politisch gab es immer wieder Bemühungen, etwas zu bewegen. Die beiden amtierenden Bürgermeister waren ja gerade in Namibia und äußerten sich sehr beeindruckt. Es gab auch eine gute Phase in den 80er- und 90er Jahren, als Henning Scherf und Gunther Hilliges, der Leiter des Bremer Landesamtes für Entwicklungszusammenarbeit, zahlreiche gute Dinge angeschoben haben. Bremen hat mehr getan als andere Städten, die vom Kolonialismus profitiert haben. Aber der Kolonialismus ist dennoch nicht stark verankert im Bewusstsein der Erinnerungskultur.
Eickelberg: Ich bin gern bereit, Schulklassen Führungen beim Elefanten anzubieten und selbst in die Schulen zu gehen, um über den Kolonialismus zu informieren. Das wird aber nur zögernd angenommen. Wichtig für unsere weitere Arbeit ist, dass wir im Internet eine zentrale Plattform bekommen, auf der sich die verschiedenen Bremer Gruppen austauschen und ihre nächsten Schritte planen können. Das Kulturressort hat signalisiert, sich darum zu kümmern.
Das Gespräch führte Detlev Scheil.Ralph Saxe,
Weinhändler in Schwachhausen und Bürgerschaftsabgeordneter der Grünen, ist Vorsitzender des Vereins Der Elefant, der sich um das Anti-Kolonial-Denkmal kümmert und sich die kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit zur Aufgabe gemacht hat.
Die Schlacht am Waterberg
Auf einer Erläuterungstafel am Mahnmal für den Völkermord an den Herero und Nama steht folgener Text (Auszug): Nach der Schlacht von Ohamakari (Waterberg) am 11. August 1904 befahl der Kommandeur der deutschen Schutztruppe, Generalleutnant Lothar von Trotha, die Liquidierung der Ovaherero und Ovambanderu. Im anschließenden Vernichtungsfeldzug wurden in der wasserlosen Omaheke rund 65 000 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – und ihre Nutztiere getötet. Nach dem Genozid an den Ovaherero und Ovambanderu forderten deutsche Siedler auch die Vernichtung der Nama. Die Kolonialtruppe setzte die Strategie der verbrannten Erde fort, der über 10 000 Nama und Damara zum Opfer fielen. Unzählige weitere Menschen starben in den Folgejahren an den mörderischen Lebensbedingungen in kolonialen Internierungslagern und an den Folgen der Zwangsarbeit.
Weitere Informationen
Gedenkstunde am Freitag, 10. August, ab 11 Uhr am Mahnmal für die „Opfer der Schlacht am Waterberg“ im Nelson-Mandela-Park an der Hermann-Böse-Straße. Nähere Informationen und Kontakt zum Verein Der Elefant unter www.der-elefant-bremen.de.