Am Ende regnete es für Helle Rothe Blüten roter Rosen. Das Team des Vegesacker Geschichtenhauses hatte dessen Leiterin auf der Bühne in einem Sessel Platz nehmen lassen, um sie mit einem – mit allerlei Humor gespickten – Programm zu überraschen. Und um sie zu verabschieden. Seit dem 1. Februar können das Vegesacker Geschichtenhaus und Helle Rothe nicht mehr in einem Atemzug genannt werden. Sie habe sich mit ihrem Arbeitgeber auf eine Auflösung des Arbeitsvertrages geeinigt, sagt Helle Rothe.
Leicht gefallen ist der 61-Jährigen dieser Schritt nicht. Zwölf Jahre hatte sie für den Beschäftigungsträger, den Verein Bras, gearbeitet. Zunächst als künstlerische Leiterin beim Museum für Lokalgeschichte Köksch un Qualm in Marßel, das erst jüngst schließen musste. Als die Bras im Jahr 2016 in Vegesack das Geschichtenhaus eröffnete, wechselte Helle Rothe als künstlerische Leiterin dorthin. Auf die Bühne hatte es sie schon als Schülerin gezogen. Seitdem nimmt Theater in ihrem Leben einen großen Raum ein. Sie habe in verschiedenen Theatergruppen mitgewirkt, Improtheater gespielt und ihre Leidenschaft fürs darstellende Spiel mit zunehmendem Alter ihrer drei Söhne immer mehr ausgebaut, erzählt die Nordbremerin mit dänischen Wurzeln.
Theatererfahrung mit eingebracht
Im Jahr 2006 schloss Helle Rothe sich dem Statt-Theater Vegesack an, wo sie sowohl auf der Bühne steht als auch die künstlerische Leitung übernimmt. Ihren reichen Erfahrungsschatz konnte sie folglich auch im Geschichtenhaus einbringen, in dem engagierte Laiendarsteller in unterschiedliche Rollen schlüpfen. Helle Rothe hat sie beim Theatertraining ins Rampenlicht gebracht und sie nicht selten bei den Aufführungen vor Publikum über sich hinauswachsen sehen. In dem denkmalgeschützten ehemaligen Speicher der Lange-Werft lebt in authentischer Kulisse und mittels Spielszenen die Geschichte Bremen-Nords wieder auf: die maritime Vergangenheit, der Walfang und das Wirken und Schaffen des Schiffsbauers Johann Lange und seiner Familie.
Das Projekt des gemeinnützigen Beschäftigungsträgers ermöglicht es arbeitssuchenden Menschen und Langzeitarbeitslosen, im Rahmen vielfältiger Beschäftigungsmöglichkeiten wichtige Erfahrungen zu sammeln. Mit dem Ziel, den Menschen, die in das Geschichtenhaus kommen, „eine dauerhafte Integration in das Berufsleben zu vermitteln“, schreibt das Geschichtenhaus auf seiner Internetseite. Es gehe darum, ihnen Tagesstruktur zu vermitteln, die Selbstständigkeit zu fördern, das Selbstwertgefühl zu steigern und Kompetenzen zu wecken, „die es für die Teilnehmer möglich machen, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen und sich weiter zu qualifizieren“, beschreibt Helle Rothe die Arbeit im Geschichtenhaus. „Mit meinen Werten und Vorstellungen konnte ich dies umsetzen und sehr gute Erfolge bei den Teilnehmern erzielen“, blickt sie zurück.
Anschub durch Abendveranstaltungen
So hatte Helle Rothe, die nach der künstlerischen Leitung im Sommer 2022 auch die Betriebsleitung für das Haus übernahm, die Teilnehmer des Projektes nicht nur angeleitet, wenn sie in die verschiedenen Rollen geschlüpft sind. Auch bei der Organisation von Veranstaltungen für kleine und große Gruppen oder beim Umgang mit Gästen hätten die Männer und Frauen eine Menge lernen können. Glücklicherweise habe die Zahl der Spielführungen nach der Coronazeit wieder deutlich erhöht werden können. Die Abendveranstaltungen, die auch im Programm des Geschichtenhauses stehen, hätten dafür Anschub geleistet. Sie seien gewissermaßen „Marketing für die Spielführungen in der Kulisse“ gewesen. So habe es im Jahr 2022 über 40 Abendveranstaltungen mit rund 1500 Zuschauern gegeben, im Jahr darauf mit rund 2000 Zuschauern. „Die Gäste der Theateraufführungen, Lesungen, Talkrunden, Künstlergespräche und Konzerte haben das Haus kennengelernt und sind im Anschluss in die Spielführungen gekommen“, sagt Helle Rothe. Das sei umso wichtiger gewesen als wegen der Baustelle im Speicherquartier die Laufkundschaft immer weniger wurde. Für die Mitarbeiter sei es überdies ein großer Erfolg, „ein lebendiges Haus mit großem Ansehen zu bespielen“. Hinzu komme die wichtige Erfahrung, solche Abendveranstaltungen und die Spielführungen tagsüber im Team vorzubereiten.
Zweites berufliches Standbein
Von all dem muss Helle Rothe sich nun verabschieden. Nicht voll und ganz, wie sie betont. Sie werde weiter Theater spielen und Lesungen gestalten. Auch den Speicher-Talk soll es an einem anderen Ort weiterhin geben. Beruflich steht die vor Energie sprühende Lesumerin ohnehin schon länger auf einem weiteren Bein. „In der freien Wirtschaft habe ich schon vor meiner intensiveren Zeit bei der Bras freiberuflich gearbeitet und Führungskräftetrainings sowie Kommunikationsseminare gehalten.“ So gibt Helle Rothe, die auch ausgebildete Krankenschwester ist, bundesweit Seminare in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in denen es um nonverbale Kommunikation, um Konflikttraining oder um Humorstrategien im Arbeitsalltag geht. „Die Körpersprache“, weiß die Schauspielerin nur zu gut, „macht dabei 90 Prozent aus.“
Und nicht zuletzt sieht sie die Projekt-Teilnehmer des Geschichtenhauses auf einem guten Weg. Als diese sie zum Abschied auf der Bühne in den Sessel baten, folgten beeindruckende und selbst einstudierte Szenen über die gemeinsame Zeit, erzählt Helle Rothe voller Freude. Inklusive Hildegard Knefs Rote-Rosen-Lied – und Blütenregen.