Mit sieben Jahren bekam er das so heiß begehrte Bonanza-Fahrrad, "mit zwei Scheinwerfern, nicht für lange Fahrten geeignet". Die Konfirmation bescherte ihm das Hercules Europa Rad, "mit Drei-Gang-Schaltung". Damit ging es auf Studienfahrt, "von der Bördestraße nach Gotland in Schweden. Gefühlt bin ich immer verhungert, kam als letzter den Berg hoch", während die anderen schon mit der Zwischenmahlzeit durch waren. Keine Kondition, keine Zeit – damals dachte Jürgen Möller, "das war's mit dem Rad". Heute ist der 62-Jährige Sprecher der Stadtteilgruppe Bremen-Nord des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC).
Vor eineinhalb Jahren ist der Pressesprecher der Stadtwerke Osterholz-Scharmbeck und des Allwetterbades in Altersteilzeit gewechselt. "Corona und ein Sturz, der mich ein halbes Jahr außer Gefecht setzte, haben gezeigt, meine Mitarbeiterin leistet wunderbare Arbeit." Jürgen Möller reduzierte auf eine 20-Stunden-Woche, die Mitarbeiterin wurde Chefin, Jürgen Möller ihr Mitarbeiter.
Begleitung über Kleinanzeigen
Nach dem Abi, da hatte Jürgen Möller erst mal viel Zeit. "Damals fand man Begleitung über Kleinanzeigen", gesteht er und lacht. Seine Begleitung war eine junge Frau, die wie er zwei Wochen nach Dänemark wollte, genauer gesagt, nach Jütland – per Zweirad und Zelt. "Nach einer Woche war ich alleine." Seiner Begleitung war das Wetter zu schlecht, sie fuhr heim – und Jürgen Möller musste sich einen eigenen "Schwedensturmkocher" zulegen. "Damit kochen wir heute noch." Aus geplanten zwei Wochen wurden fünf und Jürgen Möller stellte fest: "Wenn man alleine unterwegs ist, kann man viel gestalten und kommt gut mit Menschen in Kontakt." Er wurde eingeladen, "zum Glas Wein, in den Wohnwagen, auf den Campingplatz – und ich hatte wechselnde Reisebegleiter".
Alleine unterwegs sein, lohnt sich, stellte er fest, machte sich auf den Weg, stieß auch an Grenzen. Während Möller von seinen Erfahrungen als 19-Jähriger erzählt, wird er nachdenklich: "In Spanien ist es üblich, dass Jugendliche nach dem Abi oder Studium pilgern gehen, um sich darüber Gedanken zu machen, was war, und wie ihre Zukunft aussieht." Mit dem Wissen von heute und der zur Hälfte absolvierten Ausbildung zum Pilgerbegleiter sieht Jürgen Möller da durchaus Parallelen. Das Fahrrad und die Zeitungsanzeigen begleiteten ihn noch eine Weile, da radelte man auch schon mal gemeinsam zu Demonstrationen. So wollte er zur Demo gegen Castortransporte. "Die Gruppe entschied sich dann um, wollte in die Provence. Fand ich noch viel besser und radelte mit – zwei Wochen habe ich es sehr genossen, in Südostfrankreich Fahrrad zu fahren."
Beim Basketball lernt er seine Frau kennen
Auch wenn Jürgen Möller beruflich stark eingespannt war, und seine in jungen Jahren durch Fahrradführungen erworbenen Kenntnisse beim ADFC gut drei Jahrzehnte auf Eis legte. Das Fahrradfahren zog sich durch sein Leben. So lernte er mit 27 Jahren seine spätere Frau kennen. Zwar nicht beim Fahrradfahren, sondern beim Basketball. "Sie spielte in Ritterhude Basketball und trainierte in Lesum eine Jugendmannschaft. Ich schrieb für die Vereinszeitung des TSV Lesum und machte Interviews." Beide stellten fest, dass sie nicht nur sich, sondern auch das Fahrradfahren mögen. Ihre beiden Jungs, heute 22 und 20 Jahre alt, sind "sozusagen im Fahrradanhänger groß geworden". Im Übrigen sei man mit besagtem Anhänger mehr von den Autofahrern beachtet worden, "sie hielten größeren Abstand und fuhren vorsichtiger". Die Familie fuhr mit dem Rad von Nord- zur Ostsee, von Jugendherberge zu Jugendherberge; probierte den kleinen Reiseanhänger samt Zelt in Neu Helgoland aus; machte diverse Fahrradurlaube; nutzte den Flixbus zur Anreise nach Schweden, um dann drei Wochen die Küste entlang zu radeln und mit dem Flixbus wieder nach Nordbremen zu kommen; fuhr zu viert mit dem Rad drei Wochen lang von Göteborg aus nach Stockholm zum Robbie-Williams-Konzert – hatten wir zu Weihnachten so entschieden".
Dann kam Corona. Aus dem Tourenleiter, der in jungen Jahren im Namen des ADFC zu Buß- und Bettag eine Führung mit Fahrrad und ohne Alkohol ins Leben rief, wurde durch Wochenendseminare in Bad Homburg der Tourguide. Es folgten Feierabend-Touren und Teamarbeit bis Jürgen Bösche dringend einen Nachfolger als ADFC-Stadtteilgruppensprecher für Bremen-Nord suchte. Am 5. März wurde Jürgen Möller in das Ehrenamt gewählt.
Poolnudel-Aktion und Piktogramme
"Ich habe ein tolles Team, und Jürgen Bösche hervorragende Arbeit geleistet", ist Jürgen Möller stolz auf seine Truppe in Bremen-Nord, die er als "bestens aufgestellt" ansieht. Er möchte den Menschen erzählen, wie viele Vorteile Radfahren – auch E-Bike – hat: "Es macht Spaß, man kommt mit Menschen in Kontakt, hat Bewegung an der frischen Luft, hilft somit der eigenen Zufriedenheit aber auch dem Gesundheitssystem und dem Klima." Möller und das ADFC-Team wollen durch diverse Aktionen Aufmerksamkeit wecken, beispielsweise durch eine "Poolnudel-Aktion" darauf hinweisen, wie groß der Abstand zwischen Auto und Radfahrer sein muss. Wollen, dass Radfahrer sich durch Piktogramme auf der Nordbremer Fahrbahn, "wohl fühlen, und die Autofahrer sichtbar feststellen, dass sie sich mit den Radfahrern den Verkehrsweg teilen". Möller möchte das Team noch weiter verjüngen, "zwischen 30 und 60". Diese Generation sei es, die die Ziele einer Verkehrswende und damit den aktiven Klimaschutz in die Unternehmen trage, somit privat und beruflich dazu beitragen könne, mehr aufs Fahrrad als aufs Auto zu setzen. "Immer im Rahmen der Möglichkeiten", macht Möller deutlich. Denn: "Die Verkehrswende geschieht nicht in Berlin. Die Verkehrswende geschieht vor Ort."