Hoch oben, schräg über dem Altar der Alt-Aumunder Kirche, sitzt Christus und hebt segnend beide Hände. Die beiden Engel neben ihm halten ein Spruchband in ihren Händen: "Kommet her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid." Warum der Sohn Gottes barfuß ist, während die Engel Schuhe tragen, ist das Geheimnis von Karl Bohlmann. Er hat das Wandbild 1909 gemalt. Mehrere Jahrzehnte waren die Malereien verschwunden. Wie sie wiederentdeckt wurden, erfuhren Besucher beim Tag des offenen Denkmals.
Rund 5000 Denkmäler waren beim bundesweiten Tag des offenen Denkmals zu besichtigen. Unter dem Motto „Kultur-Spur. Ein Fall für den Denkmalschutz“ luden geschichtsträchtige Industrieanlagen, Parks und historische Gebäude zum Besuch ein. Darunter auch die evangelisch-lutherische Kirche Alt-Aumund. 1876/77 wurde die neugotische Backstein-Hallenkirche nach Entwürfen des Oldenburger Baumeisters Wege errichtet. 1909 malte Karl Bohlmann aus Hannover den Innenraum aus. Das Gewölbe über dem Altar und die Fensterlaibungen wurden mit farbenreichen Ornamenten verziert, detailreiche Wandbilder von Moses, Paulus, Christus und zwei Engeln entstanden ebenfalls.
1952 wurden die Wandmalereien im Zuge von Renovierungsarbeiten übermalt. Farbe und dekoratives Rankwerk in Kirchen entsprachen nicht dem damaligen Zeitgeist. Zudem sollte nichts die Gottesdienst-Besucher vom gepredigten Wort ablenken. Die Wandbilder wurden durch schlichtere, stilisierte Darstellungen ersetzt. So verschwanden die Bohlmannschen Malereien. Als 2005 der Innenanstrich der Kirche renoviert werden sollte, tauchten die Malereien wieder auf: Restaurator Matthias Seefried legte im Rahmen einer Begutachtung Teile der Originalausmalung frei. Am Tag des offenen Denkmals berichtete er bei zwei Führungen, wie er und sein Team die historischen Malereien von 2006 bis 2007 freilegten und restaurierten.
Fotografien der alten Malereien gab es nicht. „Es war eine Überraschung, was wir da freilegen würden“, so Seefried. Zunächst mussten die Farbschichten aus den 50er-Jahren abgelöst werden. Um möglichst viel von der Originalsubstanz zu erhalten, verzichtete man weitgehend auf den Einsatz eines Skalpells. Stattdessen wurde heiße Reisstärke aufgebracht. „Dadurch erhöht sich die Oberflächenspannung der obersten Farbschicht. Sie löst sich nach etwa 24 Stunden von der Wand“, erklärte der Restaurator. Fotos zeigen, wie unter der aufgeplatzten Farbschicht die historische Malerei wieder zum Vorschein kam. An einigen Stellen war die Originalfarbe noch gut erhalten. Andere Stellen waren verblasst und mussten retuschiert werden.
Statt die Flächen einfach auszumalen, bedienten sich Seefried und sein Team einer besonderen Methode: der Punkt-Retusche. Punkt für Punkt wurde die Farbe mit einem dünnen Pinsel auf die verblassten Stellen aufgetupft. Wer den Blick über die farbenprächtigen Ornamente im Gewölbe über dem Altarraum wandern lässt, ahnt, welch eine filigrane Geduldsarbeit das gewesen sein muss. Hinzu kamen der Triumphbogen und die Bildnisse von Moses, Paulus, Christus und den beiden Engeln. „Und das", fragte eine Besucherin, "haben Sie in zwei Jahren geschafft?“ Matthias Seefried schmunzelt. „Wenn ich für jeden Punkt einen Cent bekommen hätte, wäre ich ein gemachter Mann.“ Der Betrachter soll übrigens durchaus erkennen, welche Stellen retuschiert wurden und welche nicht. Ganz aus der Nähe sind die Punkte gut zu erkennen. Aus der Entfernung fügt das Auge sie zu einer Fläche zusammen.
Die wieder aufgetauchten historischen Malereien haben, so der Restaurator, wohl durchaus dazu geführt, dass sich mehr Paare für eine Trauung in der Alt-Aumunder Kirche entscheiden. Und Matthias Seefried erhielt 2010 für seine Arbeit in der Kirche Alt-Aumund den Bremer Denkmalpflegepreis.