„Er ist der mächtigste Fluss der Erde und transportiert mehr Süßwasser in den Atlantik als die nächsten zehn Flüsse des Rankings zusammen.“ Professorin Andrea Koschinsky von der Constructor University fährt mit ihren Fingern über eine Seekarte der Amazonasmündung. Sie erklärt, warum ein deutsch-brasilianisches Team unter ihrer Leitung im Dezember 2024 eine fünfwöchige Expedition in das Mündungsgebiet des Amazonas durchführte. Ziel der Reise auf dem deutschen Forschungsschiff Meteor war es, Auswirkungen von Klimawandel, extremen Wetterlagen und Umweltzerstörung nicht nur auf die Region, sondern weit darüber hinaus zu untersuchen. Die internationale Forschungsgruppe konnte dabei erstaunliche Parallelen zur Küstenregion bei Bremen und den Salzwiesen in der Wesermarsch feststellen.
Missionsstart trotz Herausforderungen
Die Expedition hätte bereits deutlich früher stattfinden sollen, musste aber aufgrund der COVID-19-Pandemie verschoben werden. Ein Zollstreik in Brasilien behinderte das Versenden von Proben und ein als Labor vorgesehener Reinraumcontainer steckte auf einem anderen Schiff fest. Die Crew musste daher mit einem improvisierten Labor auf der "Meteor" arbeiten. Bürokratischen Hürden, auferlegt durch die brasilianische Marine, führten dazu, dass ein in Koschinskys Wahrnehmung nicht kooperationsbereiter brasilianischer Verbindungsoffizier die gesamte Expedition überwachte. Die Crew durfte sich nicht flexibel an die Gegebenheiten vor Ort anpassen. „Wir mussten um unsere Forschungserlaubnis regelrecht zittern“, erklärt Koschinksy.

Unterwegs war die Forschergruppe mit der ”Meteor”.
Ein fragiles Ökosystem von globaler Bedeutung
Der Amazonas spielt aufgrund seiner Größe eine zentrale Rolle bei der Versorgung der Küstenregion mit Nährstoffen. Im Fokus der Forschung standen die Veränderung des Salzgehaltes vom Fluss hinaus in den Atlantik und die Untersuchung von Spurenelementen wie Kupfer im Wasser. Kupfer ist in bestimmten Mengen lebenswichtig, kann aber in hohen Dosen toxisch für Flora und Fauna wirken. Abholzung, Goldabbau, Staudämme und zuletzt extreme Dürreperioden, die die Wasserzusammensetzung verändern, setzen das Flussökosystem enorm unter Druck. Die Expedition, die unmittelbar nach einer starken Dürre stattfand, bot daher eine seltene Gelegenheit, einzigartige Vergleichsdaten zu sammeln. Diese helfen, die Folgen von Dürren nicht nur für den Amazonas, sondern auch darüber hinaus besser zu verstehen. Überraschend für die Forschenden war der hohe Salzgehalt in der Flussmündung – ähnlich dem des offenen Meeres – in den Mangroven war dieser sogar doppelt so hoch. „Normalerweise ist das Grundwasser dort deutlich weniger salzhaltig als das Meer, doch dieses Mal war es genau umgekehrt“, erklärt Professorin Andrea Koschinsky.

Das Forscherteam hat am Amazonas überraschende Erkenntnisse zum Salzgehalt des Grundwassers erlangt.
Schlussfolgerungen für die Wesermarsch
Die Ergebnisse der Bremer Forschungsgruppe sind relevant auch für den Norddeutschen Raum, denn die Salzwiesen im Ökosystem Wesermarsch sind sozusagen das Spiegelbild zu den Mangrovenwäldern im Amazonas. Das Klima in Deutschland erwärmt sich im globalen Vergleich überdurchschnittlich schnell. Dürren treten auch hier verstärkt auf. 2025 hatte das trockenste Frühjahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die Erforschung der Klimawirkungen auf sensible Ökosysteme wie den Amazonas und seine Mangrovenwälder liefert auch für Norddeutschland wichtige Erkenntnisse, etwa für den Küstenschutz oder ein besseres Wassermanagement in Dürrezeiten.

Im Amazonasgebiet musste sich das Forscherteam auch einigen unvorhergesehenen Herausforderungen stellen.
Konkrete Maßnahmen in Bremen und darüber hinaus
Die Constructor University in Bremen zieht bereits Konsequenzen aus den Erkenntnissen verschiedener Forschungsprojekte wie der Amazonas-Expedition: Mit dem Studiengang Earth Sciences and Sustainable Management of Environmental Resources reagiert sie auf die wachsenden Herausforderungen im Umweltbereich. Das interdisziplinäre Programm bildet junge Menschen darin aus, komplexe ökologische Probleme mit nachhaltigen und praxisnahen Ansätzen zu lösen. Auch auf politischer Ebene soll das Wissen aus der Expedition Wirkung entfalten. Andrea Koschinsky plant, die Forschungsergebnisse auf nationalen und internationalen Konferenzen vorzustellen, um Entscheidungsträger für die weitreichenden Folgen globaler Umweltveränderungen zu sensibilisieren. Die wissenschaftliche Arbeit ist jedoch längst nicht abgeschlossen. Während das Team um Koschinsky weiterhin die gesammelten Daten analysiert, laufen bereits Planungen für eine weitere Reise in das Amazonasgebiet. „Wir stehen erst am Anfang zu verstehen, welche Bedeutung der Amazonas nicht nur für die Region, sondern für den Atlantik und das gesamte globale System hat“, betont die Wissenschaftlerin.