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Der lange Weg zur Abstinenz "Froh ohne Alkohol - das hätte ich mir nicht vorstellen können"

Thomas ist war jahrelang alkoholabhängig, ist aber seit vielen Jahren trocken und hat sein Leben umgekrempelt. Hilfe bekam er bei den Anonymen Alkoholikern.
17.06.2021, 05:00 Uhr
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Von Imke Molkewehrum / MOL

Wann haben Sie begriffen, dass Sie  alkoholsüchtig sind?

Thomas: Damals war mein erster Sohn noch klein. Da habe ich gemerkt, dass mit mir was nicht stimmt. Ich war mit meiner Lebenssituation unzufrieden. Erst habe ich sozial angepasst getrunken, dann immer häufiger heimlich - möglichst aber so, dass ich mich noch um meinen Sohn kümmern konnte. 

Wann haben Sie mit dem Trinken angefangen? 

Mit 17 Jahren. In der Clique war das Trinken recht normal, aber ich hatte schon damals ein Schema. Mittwochs, Freitags und Samstags habe ich mir die Kante gegeben. Der Alkohol hat meinen Rhythmus bestimmt. Meine Eltern haben nie was gesagt. Mein Vater war auch Alkoholiker. Ich habe also gewusst, wie unangenehm das für die Familie ist, trotzdem habe ich es auch so gemacht. 

Warum? 

Alkohol hat mir viel gegeben: Selbstbewusstsein, Partylaune und die Chance wegzutauchen. Außerdem konnte ich die Probleme, die ich mit mir selbst hatte, dabei vergessen. Mangelndes Selbstwertgefühl führt oft in den Alkoholismus. 

Aber später Sie haben trotz Beruf, Frau und Kind weiter getrunken...

Ja, selbst eine funktionierende Partnerschaft und das Kind haben mir damals nicht gereicht. Ich wollte eigentlich was anderes. Zwar haben wir 2002 mit allem Drum und Dran geheiratet, ich war aber trotzdem unzufrieden. Nach einem Jahr Ehe kam unser Sohn, aber mir hat das ganze Leben nicht behagt. Ich habe auch Physik studiert, obwohl mir das nicht wirklich gefallen hat. Ich hatte damals nicht den Mut, zu wechseln. Das wäre eine Art Niederlage gewesen. 

Wann hat Ihre Suchtkarriere begonnen? 

Schon seit der Bundeswehrzeit hatte ich ein echtes Problem mit Alkohol. Ein Sixpack Bier nach Feierabend plus eine halbe Flasche Whisky waren damals Standard. Nur am Wochenende war es weniger, weil ich meine Frau da schon kannte. Damals hatte ich einen trockenen Tag pro Woche. Mit dem Studium waren es zwar vier trockene Tage, aber damals ging das Versteckspiel los. Später habe ich jeden Tag systematisch heimlich getrunken. Meine Vorräte habe ich im Hauswirtschaftsraum gestapelt. Ich hatte dort ein eigenes Lager. Den Nachschub habe ich mit dem Auto rangeschafft. Ich habe immer zugesehen, dass ich die Einläufe erledige. Das hatte System. 

Wann haben Sie selbst, begriffen, dass Sie alkoholkrank sind? 

Ich habe es bemerkt, weil ich an den drei alkoholischen Tagen nicht aufhören konnte. Nach der Arbeit bin ich oft irgendwo eingekehrt und habe allein in der Kneipe getrunken. Oder ich habe mich mit Leuten getroffen, die auch viel trinken. Zuhause habe ich dann gelogen, wenn ich lange unterwegs war. Ich hab zum Beispiel behauptet, im Bus eingeschlafen zu sein. 

Und wann ist alles aufgeflogen?

Ich hatte irgendwann die Erkenntnis, dass ich das Ganze nicht mehr im Griff habe. Der Zug wurde immer schneller und hatte eine totale Sogwirkung. Bis zu jenem Freitag: Da habe ich mich mit Bacardi-Cola vorm Frühstück auf den Weg zur Arbeit gemacht. Mit der Bahn. Den Bacardi habe ich in die Colaflasche gekippt. Um die Mittagszeit bin ich nach der Arbeit zum Weitertrinken nach Walle gefahren und wollte gegen 18 Uhr zuhause sein, um zu duschen und fit zu wirken. Das hat aber nicht geklappt. Meine Frau hat mich angerufen und in der Kneipe abgeholt. Ich war da komplett abgestürzt. 

Könnte das auch heute wieder passieren?

Ja, wenn ich mit dem Trinken wieder anfangen würde, würde das wieder passieren. Ich fühle den Tag noch heute ganz genau. Meine Frau wollte damals reden, aber ich wollte ihr nichts versprechen. Ich habe sie zwei Tage vertröstet und dann eingestanden, Alkoholiker zu sein. Schon wegen des morgendlichen Zitterns war mir das klar gewesen, aber ich wollte trotzdem nicht ohne Alkohol leben. Meine Frau wollte aber, dass ich mir Hilfe suche. Ich habe dann die Suchtberatung auf der Arbeit aufgesucht. Das hätte mir die Möglichkeit geboten - jenseits ihrer Kontrolle - heimlich weiterzutrinken. Aber die haben mich an die Anonymen Alkoholiker verwiesen. Und das war gleich ein voller Erfolg! 

Wie hat man sich das vorzustellen?

Die Anonymen Alkoholiker haben mir gezeigt, dass der Weg ohne Alkohol schöner ist. Die Lebensfreude bei den Treffen war beeindruckend. Die Gemeinschaft hat mich aufgefangen. Ich habe mich immer geschämt, jetzt bin ich mit den Problemen nicht mehr allein. Ich geh inzwischen in vier unterschiedlichen Gruppen, weil ich immer neuen Input brauche. 

Wo wären Sie ohne die Anonymen Alkoholiker?

Ich wäre getrennt von Frau und Kindern, wäre bei der Arbeit abgeschossen worden und einsam mit einem Ende in der Kneipe.

Können Sie sich trotzdem vorstellen, einen Rückfall zu erleiden?

Ja, der Alkohol war mein bester Freund. Jetzt sind aber meine Familie und die Anonymen Alkoholiker mein Rückhalt. Da darf nichts passieren. Ich sehe mich nicht als Menschen, den man bemitleiden muss. Ich bin jetzt zufrieden und glücklich. Mein Leben genügt mir. Ich bin froh ohne Alkohol. Das hätte ich mir vorher nicht vorstellen können.

Zur Person

"Thomas" aus Bremen-Nord ist 50 Jahre alt. Er ist Maschinenbauer, verheiratet und hat zwei Kinder. Seit 2007 ist er bei den Anonymen Alkoholikern und hat seine Alkoholsucht seither im Griff. 

Zur Sache

Wer Hilfe sucht, findet die Details und Hinweise auf offene Meetings der Anonymen Alkoholiker in Bremen unter: https://familiennetz-bremen.de/einrichtungen/anonyme-alkoholiker-bremen.

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