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Austausch mit Vegesacks Partnerstadt Marzabotto bringt mehr aus tausend Menschen zusammen Auf den Spuren der Nazi-Vergangenheit

Über tausend Nordbremer sind seit 1986 mit der Friedensschule Bremen auf Reisen gegangen – regelmäßig Richtung Marzabotto, der italienischen Partnerstadt Vegesacks. Im Frühjahr fahren die Friedensaktivisten um den ehemaligen Bürgerhausleiter Gerd Meyer das nächste Mal über die Alpen. Im Alltag der Friedensschule geht es um handfeste Geschichtsrecherche. Akribisch wird die Geschichte von Naziopfern aufgearbeitet.
13.07.2013, 05:00 Uhr
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Von Volker Kölling

Über tausend Nordbremer sind seit 1986 mit der Friedensschule Bremen auf Reisen gegangen – regelmäßig Richtung Marzabotto, der italienischen Partnerstadt Vegesacks. Im Frühjahr fahren die Friedensaktivisten um den ehemaligen Bürgerhausleiter Gerd Meyer das nächste Mal über die Alpen. Im Alltag der Friedensschule geht es um handfeste Geschichtsrecherche. Akribisch wird die Geschichte von Naziopfern aufgearbeitet.

Vegesack. "Ich habe immer noch kein Foto des Aumunder Synagogen-Vorstehers Jacob Wolf auftreiben können. Das wurmt mich seit Jahren," flüstert Wiltrud Ahlers, während sich im Dachgeschoss des Beckedorfer Kindergartens die Mitglieder der Archivgruppe der Friedensschule bekannt machen mit den Archivaren des heimatkundlichen Arbeitskreises der Beckedorfer Dorfgemeinschaft. Jacob Wolf hat am kleinen Markt in Vegesack 2004 den ersten sogenannten Stolperstein in Bremen-Nord bekommen. Mit der Aktion wird bundesweit der Menschen gedacht, die im Faschismus ermordet worden sind. Wiltrud Ahlers hat mitgeholfen, dass inzwischen 83 solcher Steine verteilt in ganz Bremen-Nord verlegt werden konnten.

Von den nächsten Stolpersteinen sind die Geschichtsforscher in Beckedorf noch etwas entfernt. Es geht um die Entstehung der Barackenlager am Schützenplatz und Rennplatz. "Die alten Akten wollen nicht so richtig reden. Wir haben beschlossen, da Licht ins Dunkel zu bringen," berichtet Heimatkundler Rudolf Tosonowski. Im ganzen Raum sieht man auf Stellwänden und Posterhaltern, was die Beckedorfer schon alles zusammengetragen haben. Von den Kollegen der Friedensschule kommen Tipps, wo sich noch weitere Dokumente versteckt haben könnten. Karsten Ellebrecht verspricht, bei seiner Recherchereise zum Internationalen Personensuchzentrum IST in Bad Arolsen nach den Beckedorfer Lagern zu forschen.

Italiener kamen mit eigener Pasta

Seit vier Jahren suchen sich die Beckedorfer in mühsamer Kleinarbeit Informationen über die Lager zusammen. Inzwischen wissen sie ein bisschen mehr über die Zwangsarbeiter. Burchard Ficke: "Man hofft immer, dass man Zeitzeugen mit irgendeinem Detail, das man findet, doch noch zum Sprechen bewegt und wir so herausfinden, was hier eigentlich los war."

In der Beckedorfer Dachstube finden sich Gleichgesinnte. Ganz ähnlich war das schon 1985, als Bremens Bürgermeister Hans Koschnick den jungen Bürgerhauschef Gerd Meyer mit dem damaligen Bürgermeister der italienischen Stadt Marzabotto bekannt machte. In der Kleinstadt hatte eine SS-Division im Jahr 1944 insgesamt 770 Zivilisten wahllos umgebracht. Der Italiener kam als Botschafter der Aussöhnung. Ein Austausch entstand, dann die Partnerschaft mit Vegesack, getragen von vielen privaten Freundschaften, fundamentiert auf Pasta und Vino. Gerd Meyer: "Wir fragten uns damals, ob wir die Italiener wohl zu uns ins kalte Deutschland locken konnten. Mit unserer Freundin Uschi Kongi haben wir auf die Frage, ob es bei uns Pasta gebe, 13 verschiedene Pastasorten im Paket nach Italien geschickt." Schließlich kamen die Italiener mit 48 Autos, im Gepäck ihre eigene Pasta.

Immer stand Gedenkstättenarbeit auf dem Programm. Israelis und Palästinenser trafen in dem Austausch mit den Deutschen und Italienern zusammen. "Es ging immer darum, wie man Versöhnung erreichen kann. Wir hatten russische Studenten dabei, die mit polnischen Gästen ins Gespräch kamen, bosnische Familien und Serben." Gerd Meyer kann gar nicht alles aufzählen, was in den 27 Jahren Friedensschule alles passiert ist. Nach dem Morgen in Beckedorf steht ein weiteres Projekt für Meyer jedenfalls fest: "Den Beckedorfern helfen wir eine große Ausstellung auf die Beine zu stellen, wenn die das wollen."

Entwicklung der Partnerschaft

n 1985: Marzabottos Bürgermeister Dante Cruicchi besucht Bremens Bürgermeister Hans Koschnick. Cruicchi wirbt für Bremens Beitritt in die "Union der Märtyrer", einem Zusammenschluss von Städten, die besonders von Kriegszerstörungen betroffen sind. Die italienische Delegation besucht auch das Bürgerhaus Vegesack. Seit dem 1. Mai 1985 erinnert eine erste Gedenktafel auf der Bahrsplate an die Existenz eines KZ-Außenlagers.

1988: 58 Nordbremer besuchen Marzabotto und setzen sich in Gedenkstättenarbeit mit dem Massenmord der 16. SS-Panzergrenadierdivision auseinander. Die Deutschen töteten im Jahr 1944 binnen drei Tagen 770 Bewohner der Kleinstadt nahe Bologna.

1987: 48 Italiener kommen in Privatautos zum Gegenbesuch und bauen binnen zwei Wochen die KZ-Gedenkstätte "Rosen für die Opfer" auf der Bahrsplate auf.

1990: Partnerschaftsvertrag Marzabotto-Vegesack

1993: Die Jugendbildungsstätte Lidice-Haus in Grohn weiht in Böhmers Park die Casa Marzabotto ein.

1994: Erster Bildungsurlaub in Marzabotto

1996: Erster Seniorenaustausch

1998: Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung fahren Italiener und Bremer gemeinsam nach Brüssel und besuchen die EU-Einrichtungen.

Der "Franco Parselli"-Friedenspreis der Friedensschule wird zum ersten Mal verliehen. Der Preis geht an ein Jugendzentrum im bosnischen Mostar, das sich die Aussöhnung der verschiedenen Volksgruppen zum Ziel gesetzt hat.

2000: Jugendsinfonieorchester Bremen-Nord gastiert für zehn Tage in der italienischen Partnerstadt.

2004: Am kleinen Markt wird der erste Stolperstein zum Andenken an den ermordeten ehemaligen Vorsteher der Aumunder Synagoge, Jacob Wolf, verlegt. Bis heute hat Wiltrud Ahlers als Aktivistin der Friedensschule 83 weitere Stolpersteine initiiert.

2006: Die Archivgruppe der Friedensschule gründet sich im Bürgerhaus Vegesack. Die Gruppe steht geschichtsbewussten Bürgern offen und trifft sich bis heute jeden Donnerstag um elf Uhr im Bürgerhaus.

2011: Der Vegesacker Beirat beschließt auf Initiative der Friedensschule eine Gedenktafel für den Bremer Rudolf Jacobs, der aus seiner Position als Festungskommandant in La Spezia desertierte, sich den Partisanen anschloss und 1944 beim Sturm auf eine Kaserne faschistischer Milizen starb.KÖ

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