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Im Freizeitbad Vegesack lassen sich Tauchlehrer für den Umgang mit Menschen mit Handicap schulen Auf Tauchgang trotz Behinderung

Vier Taucher mit Behinderung soll es in Bremen und umzu geben. In Zukunft könnten es mehr werden. Dieses Ziel hat sich der internationale Behinderten-Tauchverband IDDA (International Disabled Divers Association) gesetzt. Er bietet Tauchlehrern eine Zusatzausbildung an. Damit stellt selbst das Anziehen eines Neoprenanzugs für einen querschnittsgelähmten Mann keine unüberwindbare Hürde mehr dar. Das war jetzt im Freizeitbad Vegesack zu beobachten.
14.05.2013, 05:00 Uhr
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Auf Tauchgang trotz Behinderung
Von Patricia Brandt

Vier Taucher mit Behinderung soll es in Bremen und umzu geben. In Zukunft könnten es mehr werden. Dieses Ziel hat sich der internationale Behinderten-Tauchverband IDDA (International Disabled Divers Association) gesetzt. Er bietet Tauchlehrern eine Zusatzausbildung an. Damit stellt selbst das Anziehen eines Neoprenanzugs für einen querschnittsgelähmten Mann keine unüberwindbare Hürde mehr dar. Das war jetzt im Freizeitbad Vegesack zu beobachten.

Vegesack. Der Rollstuhl am Beckenrand wirkt wie ein Fremdkörper im Schwimmbad. Der Rollstuhl gehört Olli Winkler, der seit einem Motorradunfall vor 13 Jahren querschnittsgelähmt ist. Gerade lässt er sich im Freizeitbad von jungen Tauchlehrern durchs Becken führen. Die Frauen und Männer sollen den richtigen Umgang mit Menschen mit Handicap beim Tauchen erlernen, um Risiken bei Tauchgängen abschätzen zu können.

Kurse wie diese gibt es nur wenige. Bisher sei der Tauchsport hauptsächlich gesunden Menschen vorbehalten gewesen, berichtet Kursleiter Niklas Bohnert aus Lilienthal. Er ist nach eigenem Bekunden der einzige IDDA-Tauchlehrer im Raum Bremen. Dass sich Bohnert selbst hat schulen lassen, hat mit einem sehbehinderten Jugendlichen zu tun, der das Training an diesem Tag vom Beckenrand aus verfolgt.

Der 15-jährige Moises hatte beim Landestauchsportverband Bremen nach Tauchunterricht gefragt und war abgewiesen worden. Niemand habe die Verantwortung übernehmen wollen. Bohnert erkundigte sich beim Behinderten-Tauchverband nach Weiterbildungsmöglichkeiten und nutzte sie – für Moises. Jetzt trainiert der Heranwachsende regelmäßig im Unibad und ist glücklich. "Ich habe als Kind schon gerne getaucht", berichtet er strahlend. Durch eine spezialangefertigte Tauchbrille könne er jetzt sogar unter Wasser sehen. "Nur beim Festschrauben der Tauchausrüstung brauche ich Hilfe", sagt er.

"Anziehtechniken" und "Gerät aufbauen" sind die ersten Bausteine des Praxisunterrichts für die Tauchlehrer in Vegesack. Bevor es überhaupt ins Wasser geht, vergeht aber mehr als eine Stunde. Niklas Bohnert stellt sich vor Olli Winklers Rollstuhl. Seine Füße stehen schräg zu Wagners Zehen. "Damit er auf den nassen Fliesen nicht wegrutschen kann", erläutert er den umstehenden Tauchlehrern in einem Raum am Hallenbad. Er muss die Stimme heben, weil von nebenan Kindergeschrei hinüber tönt. Olli Winkler hängt mit den Armen an Bohnerts Hals. Bohnert kann ihm jetzt ungehindert den Anzug über den Po ziehen. Einer jungen Tauchlehrerin ist die Skepsis ins Gesicht geschrieben. "Was ist, wenn sich jemand nicht helfen lassen will?", fragt sie. Eine berechtigte Frage, findet Winkler. "Am besten ihr klärt im Vorgespräch, was hat der für ein Handicap und was kann ich ihm zumuten."

Die ersten Male hatte er Angst vor dem Tauchen, gibt Olli Winkler zu. "Man hat Angst vorm Wasser, weil man denkt, dass man untergeht. Aber da muss man Schwimmen und Tauchen unterscheiden – beim Tauchen kann man ruhig untergehen." Er sei nach seinem Motorradunfall erstmals in der Unfallklinik in Duisburg mit dem Sport in Berührung gekommen. Dort gab es Schnuppertauchen für die Patienten.

Besser als Gymnastik

Die Schwerelosigkeit im Wasser habe ihm gut getan, erzählt Winkler. Er sei deshalb dabei geblieben. "Eine Stunde Tauchen bringt mir mehr als zwei oder drei Stunden Krankengymnastik. Im Wasser habe ich Laufen gelernt." Heute ist Winkler Vize des IDDA-Verbands, hilft bei der Spezial-Ausbildung der Tauchlehrer.

Tauchen für Menschen mit Handicap entwickelt sich zum Trend. Davon ist IDDA-Präses Dirk Wondrak überzeugt. Er ist an diesem Tag ebenfalls nach Vegesack gereist, um Pressefragen zu beantworten. Den 2009 gegründeten Förderverein des Behindertentauchens gebe es mittlerweile auch in Österreich, Türkei, Ägypten und Russland: "Langsam tritt der Schneeballeffekt ein." Weltweit würden die IDDA-Tauchlehrer nach dem gleichen Schema Tauchunterricht praktizieren. Die speziell geschulten Kräfte böten therapeutisches Tauchen, aber auch Schnuppertauchen an Urlaubsorten an. Einzige Schwierigkeit für den Verband sei es derzeit, Hallenzeiten in den Bädern zu bekommen. Es hat denn auch wirtschaftliche Gründe, warum die Kursteilnehmer an diesem Wochenende in Vegesack und nicht im Unibad üben.

Schlüsselerlebnis im Ausland

Olli Winkler rollt eine schwarze Isomatte aus, legt sie an den Beckenrand. Er hievt sich aus dem Rollstuhl auf die Matte. Die braucht er, weil er kein Sitzfleisch habe, erläutert er unumwunden. Von der Matte aus schiebt er sich weiter ins Wasser. Die Muskeln an seinen Oberarmen spannen sich an. Wagner verzieht keine Miete, beachtet weder staunende Badegäste noch die Tauchlehrer im Becken. Kursleiter Niklas Bohnert nimmt Winkler im Wasser in Empfang und zeigt seinen Schülern, wie sie Winkler unter Wasser bekommen. Aus der Rückenlage wird der Mann erst in Sitzposition gebracht und dann mit dem Kopf voran nach vorne gekippt. Wagner hält sich still, es scheint fast, als wäre er eine Puppe. Unter der hellblauen Wasseroberfläche schimmern die neongelben und pinkfarbenen Flossen wie exotische Fische.

Ein Tauchangebot im Ausland brachte für Tauchlehrer Norbert Kahl ein Schlüsselerlebnis mit sich. Das erzählt der Schleswig-Holsteiner am Rande des Tauchunterrichts in Vegesack. Ein Vater habe ihn gefragt, ob er seine zwölfjährige Tochter mit unter Wasser nehmen könne. Sie war blind, wollte aber tauchen. "Anderen Urlaubern habe ich bunte Fische gezeigt, für sie war das Gefühl wichtig", erinnert sich Norbert Kahl. Er habe mit ihr über Händedruck kommuniziert. "Versicherungstechnisch war das sicherlich im Grenzbereich", meint der Tauchlehrer rückblickend. "Aber dieses Lächeln, als sie wieder hochgekommen ist, das war nicht zu bezahlen."

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