Schönebeck. „Ich persönlich meine, dass ein Architekt sehen und zeichnen können muss“, sagt Professor Thomas Meyer-Bohe, als er die Ausstellung „Russische Architekturgrafiken“ im Heimatmuseum Schloss Schönebeck eröffnet. „Doch das sehen nicht alle so und deshalb hat sich das leider geändert: Im Rahmen der vielen Reformen ist die Universität Nowosibirsk heute ganz auf die IT umgesattelt – Freihand-Zeichnen ist dem wesentlich zum Opfer gefallen.“ Dieser Entwicklung zum Trotz: Architekturzeichnungen von hoher technischer und künstlerischer Qualität, die um das Jahr 2000 entstanden, sind im Schloss auf zwei Etagen zu sehen.
Unter Anleitung von Thomas Meyer-Bohe fertigten Studenten der Universität Nowosibirsk feine, großformatige Zeichnungen an: von Kirchen mit ihren Zwiebeltürmen, von Klöstern, großen kommunalen Bauten mit prachtvollem Säulenvorbau, aber auch Eisenbahnbauten, da Nowosibirsk die zentrale Stadt an der Transsibirischen Eisenbahn ist. „Die Studenten fuhren für wenig Geld manchmal 3000 Kilometer, um die Bauwerke vor Ort zu studieren und zu zeichnen“, erinnert sich Thomas Meyer-Bohe.
Jede der hellen Zeichnungen ist mit Tusche laviert – hauchzart heben sich die Gebäude vom Papier ab, zuweilen mit einem Segelschiff im Vordergrund, und teilweise sind die Hilfslinien für die korrekte perspektivische Darstellung noch zu erkennen. Denn schließlich sollten die Studenten den Nachweis erbringen, ein Objekt präzise und mit allen Details in dreidimensionaler Ansicht wiedergeben zu können. Als technische Zeichnungen wirken die Werke zwar kühl und sachlich, in der Feinheit ihrer Darstellung aber auch anmutig und leicht. Teilweise hat jeder Stein eines Bauwerks seinen eigenen Schatten – Zeugnis eines enormen Fleißes, „denn an einer Zeichnung haben die Studenten 80 bis 100 Stunden gearbeitet“, sagt Thomas Meyer-Bohe.
Erster in der Föderation
Im Jahre 1953 in Bremen-Nord geboren, "also ein echter Vegesacker Jung, wie er selbst sagt, studierte er in Braunschweig und Hannover Architektur und arbeitete anschließend im Staatsdienst als Leiter eines Hochbauamts. Im Jahre 1996 schickte er ein Bewerbungsschreiben nach Nowosibirsk und erhielt eine Zusage. Als erster westlicher Hochschullehrer nach der Transformation der Sowjetunion in die Russische Föderation hielt er dort Architekturvorlesungen. „Daraus entwickelte sich mehr: Ich lernte in Nowosibirsk meine russische Frau kennen und lieben, die an der Hochschule als Deutschlehrerin meine Vorlesungen übersetzte, denn damals konnte ich – bis auf ,spassibo' – noch kein einziges Wort Russisch“, erzählt Thomas Meyer-Bohe. Statt eines Gehalts entlohnte ihn die Universität mit den Architekturzeichnungen, die er im Heimatmuseum Schloss Schönebeck der Öffentlichkeit präsentiert.
Der inzwischen pensionierte Hochschullehrer ist heute Leiter des Deutsch-Russischen Akademie zu Bremen und Vorsitzender des Kleingartenvereins Tannenberg. „Für mehr bleibt eigentlich keine Zeit“, sagt Thomas Meyer-Bohe, der in seiner Eröffnungsrede die intensiven Beziehungen zwischen Russland und Vegesack betont: „Baron von Knoop war der erste Industrielle in Russland überhaupt. Noch hat sich überall im Land das Sprichwort erhalten: Keine Kirche ohne Pop, keine Fabrik ohne Knoop. Und es waren unter anderen auch Nordbremer, die aus Handelsgründen erstmals auf dem Jenissei, vom Eismeer kommen, nach Süden bis Krasnojarsk segelten.“
Ihm ist der Ost-West-Dialog zur Lebensaufgabe geworden, der er auch nachging, als er in den vergangenen zehn Jahren vor seiner Pensionierung in Rostock als Abteilungsleiter Bundesbau beim Land Mecklenburg-Vorpommern arbeitete. Er sieht in Russen und Deutschen ideale Partner und lobt an den Russen vor allem ihre Fähigkeit, verzeihen zu können. Er nennt aber auch das große Bedürfnis des russischen Volkes nach Bildung und Kultur. „Hören Sie mal NDR Kultur: 30 bis 40 Prozent der Dirigenten und Solisten tragen russische Namen“, sagt Thomas Meyer-Bohe. Dass Russen und Deutsche wieder enger zusammenrücken, sei auch ein Anliegen der Ausstellung, die mit sehenswerten Zeichnungen einen Einblick in die russische Baukultur gibt.
Ausstellung im Schloss Schönebeck
Das Schloss Schönebeck präsentiert die Ausstellung „Russische Architekturgrafiken – Ein Vegesacker Jung' zeigt seine Schätze aus Sibirien“. Sie ist bis Sonntag, 1. März, im Heimatmuseum Schloss Schönebeck, Im Dorfe 3-5, zu sehen. Die Öffnungszeiten sind Dienstag, Mittwoch und Sonnabend von 15 bis 17 Uhr sowie Sonntag von 10.30 bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet drei Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren haben freien Eintritt.