
Vorsichtig fegt Marcus Bräunlich zusätzliche Bienen in die Beute, damit ausreichend Exemplare zur Gründung eines neuen Volks vorhanden sind.
Die Mädels sind am Arbeiten, 23 Grad, die Sonne scheint. So beschreibt Kursleiter Marten Carstensen den perfekten Tag zum Imkern. Denn dann sind die alten Sammelbienen unterwegs, die noch am ehesten stechen, weil sie den gefährlichsten Job im Volk haben. Das ist die Theorie. Am Praxistag ist es neun Grad kalt, es regnet und die Mädels hängen gelangweilt zu Hause ab. Alles andere als ein perfekter Tag zum Imkern. Pech für uns Anfänger.
Bei der Kontrolle ihrer Völker schauen Imker in der Regel die Waben genau durch. Was ist zu sehen? Brut, Pollen, Honig? Im Frühjahr nehmen sie auch Ableger. Einen Ableger nehmen – das klingt nach Pflanzenvermehrung. Tatsächlich kann man aber auch ein Bienenvolk teilen. Und genau das machen wir an diesem Tag im Lehrgang. Denn mehrere Jungimker wünschen sich wie ich ein Ableger-Volk, das eigentlich ein Völkchen ist, denn dazu gehören nur wenige Bienen. Auf jeden Fall brauchen wir dafür Waben mit Brut, aber auch mit Futter darauf.
Als ich das erste Mal an die Beute gehen soll, bin ich schon ein wenig nervös. Wenn man den Deckel und die Schutzfolie eines Bienenhauses abhebt und den Stock offenlegt, nimmt man das Summen und die von den Tieren erzeugte Wärme ganz intensiv wahr. Ich trage keine Handschuhe, um ein besseres Gefühl für die Bienen zu haben. Ich will verhindern, dass eine gequetscht wird, wenn ich eine Wabe aus dem Kasten ziehe. Schon aus Selbstschutz.
„Wenn eine Biene gequetscht wird, gibt es immer gleich 1000 Zeugen, die hochfliegen und gucken, wer das war.“ Das berichtet der zweite Referent, Marcus Bräunlich. Ein Stadtimker, der auf vielen Dächern Bremens mit seiner Pfeife unterwegs ist. Sogar auf dem Dach des Theaters am Goetheplatz. Tauchen vermehrt „Zeugen“ auf, dann soll der Imker bloß nicht ausatmen (das verrät ihn), sondern lieber ordentlich Rauch aus seiner Pfeife oder seinem Smoker – eine Art kleiner Brennofen – auf den Bienenstock geben. Das lenkt die Insekten ab. In dem Moment sind sie überzeugt, dass der Wald brennt und versorgen sich mit Honig. Der volle Bauch besänftigt sie schnell. „Aha“, kommentiert trocken eine Kursteilnehmerin, „ich soll beim Imkern also nicht atmen.“
Vorsichtig löse ich mit dem sogenannten Stockmeißel, einer Art-Mini-Brechstange, die Holzrähmchen, die im Kasten hängen. Die Bienen sind solche Baumeister, dass sie alles mit ihrem Bienenharz verkitten und die Rahmen aneinanderkleben.
Ich versuche, mit jedem Daumen und Zeigefinger den ersten Rahmen zu greifen, aber überall sitzen Bienen. Wie eine schwarze Masse überziehen sie die Waben. „Wenn du den Bienen vorsichtig über den Rücken streichst, machen sie Platz“, erklärt Marten Carstensen. Bienen streicheln? Das kostet jetzt Überwindung. Als ich den Pelz unter der Fingerkuppe fühle, während ich mir einen halben Zentimeter Platz auf der Wabe erobere, komme ich mir vor wie eine Löwenbändigerin. Ich ziehe die Wabe hoch. Draußen. Nichts passiert. Erleichtert atme ich den besonderen, süßlichen Duft ein, der von den Bienen ausgeht.
Die erfahrenen Imker helfen uns Jungimkern, die richtigen Waben für den Brut-Ableger auszuwählen. Marcus Bräunlich wählt eine Wabe mit eingelagertem Futter, eine mit Brut und auf einer dritten findet sich eine sogenannte Weiselzelle, in denen die Arbeiterinnen eine neue Königin mit dem Futtersaft Gélee Royal heranziehen. Der Saft wird als Supermedizin gefeiert. Normalerweise zerstört der Imker diese Zellen, denn sie deuten darauf hin, dass sich das Volk von sich aus teilen und die alte Königin mit der Hälfte des Volkes ausschwärmen will. Bei einer dieser Gelegenheiten darf ich die weiße Masse probieren. Sie schmeckt wie Medizin: bitter.
Ein kleiner Brut-Ableger ist auf jeden Fall eine kostengünstige Möglichkeit, mit dem Imkern anzufangen. Eine Wabe ist beim Verein für unter 20 Euro zu bekommen. Im Vergleich dazu werden große Wirtschaftsvölker für 100 bis 150 Euro angeboten. Der kleine Brut-Ableger besteht allerdings nur aus wenigen Bienen und muss besonders gepäppelt werden, damit er über den Winter kommt. An eine Honigernte ist bei solchen Mini-Völkern nicht zu denken. Erfahrene Imker raten, mit zwei Völkern zu starten, um im Zweifel Verluste ausgleichen zu können.
„Wir brauchen mehr Bienenmasse“, urteilt Marcus Bräunlich mit fachmännischem Blick auf die halb leeren Waben in meinem Kasten. Gelegenheit, das Abschlagen von Bienen zu üben. So geht's: Rahmen mit einer Hand festhalten, mit der anderen Faust auf die eigene Hand schlagen. Wir Teilnehmer werden still. Wer sagt uns, dass die Bienen tatsächlich im bereitgestellten Kasten landen und vor allem, dass sie dort auch bleiben? Und nicht, weil sie vom Bremer Schietwetter genervt sind, über uns herfallen? Aber sie landen tatsächlich als eine Art Traube im Kasten.
Am Ende meiner beiden praktischen Arbeitstage am Volk kann ich eine erfreuliche Null-Stiche-Bilanz vermelden. Jedenfalls für mich. Zwei oder drei Mitschüler werden gestochen. Alle nehmen es einigermaßen gelassen. Einer meint sogar, er ließe sich gerne stechen: „Das Gift hilft bei Problemen mit der Bandscheibe.“ Bienengift–Akupunktur? Ein Thema, dem ich vielleicht auch noch mal nachgehe.
Wenn alles gut geht, kann ich in vier Wochen mein Völkchen nach Hause holen – zurzeit steht es noch am Lehrbienenstand und wächst und gedeiht hoffentlich. Ein zweites Wirtschaftsvolk habe ich mir bei einer Imkerin aus Osterholz-Scharmbeck reservieren lassen. Beide Völker werde ich Anfang Juni abholen. Das wird sicher aufregend. Meine Bienen-Patin Anke Scheffler-Hincke will mir für den Transport einen extra-langen Spanngurt für das Bienenhaus leihen: „Damit du nicht den ganzen Segen im Auto hast.“
Weitere Informationen
Bienen rücken immer mehr ins Blickfeld. Imkern ist in. Doch wie wird man zum Imker? Wie kommt man an Honigschleuder und Schleier, wie an die Bienen? Antworten gibt diese Artikelreihe. In lockerer Folge berichte ich über meinen Weg zum eigenen Volk.