Issam El-Madhoun erinnerte nach dem Schlusspfiff an den kurzen Satz, den er in der Winterpause mit dem Glanz von sechs Siegen in Serie im Rücken zu Protokoll gegeben hatte: "Es kommen auch andere Zeiten." Diese Zeiten sind jetzt da. Eine Woche nach dem einkalkulierten, aber in dieser Höhe verheerendem 0:10 bei der Übermannschaft von Werder Bremen II, kassierte Fußball-Bremen-Ligist SG Aumund-Vegesack nun am Sonnabend eine 2:4 (2:2)-Heimniederlage gegen den im Abstiegskampf verwickelten Tura Bremen. Und das völlig zu Recht, wie SAV-Trainer Issaml El-Madhoun übereinstimmend mit Tura-Coach Steffen Dieckermann feststellte. Die Gröpelinger vermittelten von der ersten Minute an den Eindruck, dass sie nicht nach Vegesack gekommen waren, um sich den Spielkünsten der Nordbremer zu ergeben, sondern etwas Zählbares mitnehmen zu wollen.
Nach dem Debakel auf Platz 11 war es für die Platzherren mit Sicherheit nicht hilfreich, dass es Änderungen in der Hintermannschaft gab. So landete Stammkeeper Jan Dähne, laut Issam El-Madhoun absprachegemäß, auf der Ersatzbank und Innenverteidiger Christian Böhmer musste unmittelbar vor Spielbeginn wegen einer Knöchelblessur passen. Und so blieb nur die Feststellung: Ob hinten, bei den ungewohnt fehlerbehafteten Technikern im Mittelfeld oder in der Spitze mit dem zuletzt so starken Serdar Güngör – es passte 30 Minuten lang gar nicht zusammen. Tura nutzte die Gunst der halben Stunde und brachte die neuformierte SAV-Viererkette mit Angriffen über den linken Flügel von einer Verlegenheit in die andere. Und erspielte sich eine verdiente 2:0-Führung, die auch um zwei Tore höher hätte ausfallen können. Denn vor dem 0:1, nach einem schlimmen Missverständnis zwischen Keeper Rafael Müller und Innenverteidiger Shefik Osmai von Chibuzor Obodozie erzielt, war Khalil Hamma mit einem von Abdullah Basdas an Obodozie verursachten Elfmeter an Müller gescheitert. Und auch nach dem Billard-Tor von Nils Krause zum 2:0 hätten Obodzie und Hamma nachlegen können.
Nach genau 33 Minuten steuerte Issam El-Madhoun von außen gehörig nach und formierte die Abwehr nach bereits erfolgten Verschiebungen völlig neu. Mario Vukoja feierte nach seinem Kreuzbandriss sein Comeback in der Innenverteidigung und Richard MC Mensah Quarshie spielte fortan hinten rechts. Korrekturen, die zunächst voll einschlugen. Die beiden Neuen stabilisierten die Abwehr sofort und sorgten für Ruhe im Spielaufbau. Das wiederum führte dazu, dass die Mittelfeldmotoren plötzlich auf Hochtouren liefen und Tura mit sehenswerten Kombinationen in Not brachten. Kurz vor der Halbzeit folgte der Lohn. Zunächst traf Mücahit Özkul nach Zuckerpass von Sebastian Kurkiewicz, dann überwand Kurkiewicz Mahmoud Hachem mit einem haltbaren 25-Meter-Schuss zum 2:2. Während sich die Vegesacker auf dem richtigen Weg wähnten, stellte Tura-Coach Steffen Dieckermann fest: "Oh, das tut weh."
Die Pause erwies sich für die Vegesacker hinsichtlich des gerade gefundenen Spielflusses als Gift, die Turaner richteten sich hingegen neu aus und störten den Spielaufbau der SAV auf den spielstarken Positionen erheblich. Während bei der SAV das Gefüge zerbrach, holten sich die Turaner das Selbstvertrauen und den Mut mit vielen gewonnenen Zweikämpfen und großer Defensivstabilität zurück. "Eine Halbzeit zum Vergessen. Die schwächste Halbzeit, die ich als Trainer miterlebt habe", erklärte Issam El-Madhoun später und Steffen Dieckermann ergänzte: "Der SAV ist nichts mehr eingefallen." Ganz anders die Turaner. Als hätten sie auf einen Freistoß an der linken Strafraumgrenze gewartet, schritt Pascal Hesseling zur Vollstreckung und hämmerte den Schrägschuss vorbei an Gefährten und Gegnern zum 3:2 (68.) in die Maschen. Der im ersten Abschnitt glücklose Khalil Hamma machte mit dem 4:2 (75.) gegen eine schlecht gestaffelte SAV-Abwehr den Deckel drauf. Auch wenn die Enttäuschung über den Auftritt der SAV bei Issam El-Madhoun tief saß und er von einer zweiten Halbzeit sprach, die er sich nicht erklären könne, wird ihm die Gewissheit helfen, dass Fußball ein Tagesgeschäft ist: Es kommen auch andere Zeiten.