Es ist kein Geheimnis: Die Gottesdienste der Kirchengemeinden sind nicht gerade ein Renner. Wie gewagt ist es dann, zu Ostern einen Gottesdienst anzubieten, der beginnen soll, wenn man sich unter der warmen Bettdecke noch dreimal umdrehen könnte? Wie kühn ist es, zu einem Gottesdienst vor dem Morgengrauen einzuladen, wenn der Tag noch dunkel und kalt ist?
Überhaupt nicht gewagt – im Gegenteil, lautet die Antwort derjenigen, die diese Gottesdienste seit Jahren gerne besuchen oder gestalten. Es sind nicht wenige. An diesem Wochenende haben sie wieder Gelegenheit dazu: In der Nacht von Sonnabend auf Sonntag feiern die Kirchengemeinden mit einem sehr frühen Gottesdienst die Osternacht. In diesem Jahr wird es dabei wegen der Umstellung der Uhren auf die Sommerzeit noch etwas dunkler sein. Und noch eine Spur mehr Überwindung kosten, sich auf den Weg zu machen, weil dem Schlaf eine Stunde geraubt wird. Aber was ist der Reiz daran, noch vor dem Aufstehen aufzustehen, um sich mit anderen Menschen in einer stockfinsteren Kirche zu treffen?
Für alle Sinne
Herbert Hinze, Diakon der Evangelischen Kirchengemeinde Grambke, hat die Osternacht vor über 30 Jahren in seiner Gemeinde eingeführt, weil er selbst sie Jahre zuvor als sehr "anrührend, feierlich und schön" erlebt hatte. Ähnlich beschreibt es auch Vera Marwitz, die in diesem Jahr wieder zur Osternacht ab sechs Uhr in die Lesumer Kirche gehen wird. Sie schätzt die "feierlich-spirituelle" Ruhe in diesem besonderen Gottesdienst, in dem "fast alle Sinne angesprochen werden". "Die Osternächte sind immer gut besucht", berichtet die 64-Jährige. "Vielleicht gerade, weil sie so anders gestaltet sind. Danach suchen die Menschen." Diakon Hinze weiß von einem "Stammpublikum von rund 40 Besuchern, die ganz bewusst den Gottesdienst ab 5.30 Uhr erleben wollen". Zusätzlich zu den Familien, die auch kommen werden, weil ihre Kinder – zumeist Jugendliche, die konfirmiert werden, aber noch keine Taufe hatten – "ins Licht hinein" getauft werden, wie Herbert Hinze erzählt. "Diese Atmosphäre vergessen sie so schnell nicht."
"Die Osternacht ist der Höhepunkt und die Herzmitte des Kirchenjahres", schreibt die Evangelische Kirche Deutschlands auf ihrer Internetseite. "Sie symbolisiert den Übergang von der Dunkelheit ins Helle", sagt Herbert Hinze, "vom Tode Jesu am Karfreitag bis zur Auferstehung am Ostersonntag." Es gehe um den "Übergang von Tod und Verzweiflung in Hoffnung, vom Dunkel ins Licht", beschreibt Regina Munzel das Ritual des Osternachtgottesdienstes, den auch sie in der Lesumer Kirche erleben wird. Für Regina Munzel beginnt der Tag sogar noch früher, weil sie als ehrenamtliche Lektorin an der Osternacht mitwirkt und in der dunklen Kirche Texte vorliest, wofür sie rechtzeitig alles vorbereiten muss.
Jugendliche übernachten am Altar
In der Kirche Alt-Aumund sind in der Osternacht auch etliche jugendliche Teamer und Konfirmanden im Einsatz, kündigt Pastor Jan Lammert an. Sie werden nachspüren, "was die Jünger mit Jesus erlebt haben". Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden die ganze Nacht in der Kirche verbringen, vor dem Altar schlafen und gegen halb fünf hinaus gehen, wo in einem Feuerkorb die Flammen lodern. An ihnen wird die Osterkerze entzündet, die in die dunkle Kirche getragen wird und anfangs "die einzige Lichtquelle ist". Dass der Osternachtgottesdienst in vollkommener Dunkelheit beginnt, mache die besondere Stimmung aus, sagt Regina Munzel. Nur draußen vor der Kirche brenne ein Feuer, und erst nach und nach, wenn die Osterkerze von Hand zu Hand geht und ihr Licht an die Kerzen der Besucher weitergibt, werde es in der Kirche heller. In der Lesumer Kirche sei die Osternacht auch deshalb so schön, weil es den Moment gebe, in dem die aufgehende Sonne durchs Tauffenster scheint. Als besonders empfinden viele Besucher auch die im Halbrund angeordneten Plätze. "So kann die Gemeinde sich sehen", sagt Regina Munzel. "Man kann die Gemeinschaft besser spüren", beschreibt es Vera Marwitz.
Fast verschlafen
Und was wäre die Osternacht ohne die Erlebnisse am Rande. Angelika Antpöhler kann sich heute noch darüber amüsieren, wie sie Hals über Kopf zur Osternacht geeilt ist. Die 91-Jährige, deren Stimme am Telefon jung und frisch klingt, liebt seit Jahren "die besondere Stimmung" rund um die Osternacht in der Kirche Alt-Aumund. "In der Osternacht ist alles gut", beschreibt sie das Gefühl, das sie seit ihrer Kindheit kennt. Also, bloß nicht verschlafen, hatte sie sich ermahnt und wachte in einem Jahr doch erst auf, als die Glocken schon läuteten. "Ich habe mir schnell den Mantel über den Schlafanzug gestreift, die Winterstiefel angezogen und bin losgelaufen."
Von einem Erlebnis, das länger zurückliegt, an das man sich in der Grohner Kirchengemeinde aber noch gut erinnert, erzählt Pastorin Frauke Löffler. "Die Osternacht hatte schon begonnen, es war aber noch sehr schummrig, als sich die Kirchentür öffnete und drei junge Männer in Anzügen hereinkamen, bis zur zweiten Bankreihe gingen und sich dort hinsetzten." Die Gottesdienstbesucher waren irritiert. "Es war eine Unruhe spürbar", erinnert sich die Pastorin. Bis Licht ins Dunkel kam: "Einer der drei Männer war ein ehemaliger Konfirmand." Mit seinen beiden Freunden sei er zu später Stunde aus Hamburg gekommen. Sie wollten noch etwas unternehmen, berichtet die Pastorin. So kam ihnen die Osternacht in den Sinn – nicht ohne sich zuvor festlich zu kleiden.
Das berichtet im Übrigen auch Regina Munzel, die die Osternacht mit dem "Prinzip Hoffnung und Festlichkeit" verbindet. Viele Besucher der Osternacht würden sich farbenfroh kleiden. "Man spürt die Freude und Festlichkeit." Und noch etwas gehöre zu einer Osternacht: "Im Anschluss eine gute Tasse Kaffee und Osterbrot." Das Frühstück in Gemeinschaft, wie es die Gemeinden nach dem Gottesdienst anbieten, stehe für "Ostern mit Leib und Seele".