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Medienscouts an der Oberschule Lerchenstraße Chancen und Risiken im Netz

Die Vegesacker Oberschule an der Lerchenstraße setzt beim Cybermobbing auf die Kompetenz jugendlicher Medienscouts. Sie sollen Konflikte schlichten. Ausgebildet hat sie der Medienpädagoge Markus Gerstmann.
11.02.2020, 07:30 Uhr
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Von Imke Molkewehrum

Vegesack. Starrt der Nachwuchs den ganzen Tag auf den Bildschirm oder ein Display, platzt den meisten Eltern der Kragen. „Mach endlich die Kiste aus“, „Hast du keine Hausaufgaben?“ oder „Triff dich doch mal mit Freunden!“ kriegen die Kids dann zu hören. Und schon herrscht Zoff im Haus. Der Bremer Medienpädagoge Markus Gerstmann rät zu mehr Gelassenheit. „Man muss mit den Jugendlichen Geduld haben.“ Der übertriebene Medienkonsum sei oftmals nur eine Momentaufnahme. „Aber wir müssen unsere Kinder unbedingt befähigen, kritisch mit den digitalen Medien umzugehen.“

Markus Gerstmann arbeitet für das „Service-Bureau Jugendinformation“ in der Innenstadt. Gerade hat er auf Initiative der Schulleiterin Kirsten Addicks-Fitschen Neuntklässler der Oberschule an der Lerchenstraße in Vegesack zu Medienscouts ausgebildet. Drei Tage lang haben neun 14- bis 16-Jährige unter seiner Anleitung die Chancen und Risiken beleuchtet, die mit digitalen Medien einhergehen. Dabei ging es sowohl um den maßvollen Umgang mit Smartphone, PC oder Fernsehen als auch um Cybermobbing.

Ein zentrales Thema ist dabei das Recht am eigenen Bild. Die Schüler müssten lernen, das verbriefte Recht ihrer Mitschüler zu respektieren, damit es nicht zu Streitereien kommt. Ethisch inakzeptabel sei es, fremde Fotos ohne Rücksprache via Facebook oder Whatsapp zu verbreiten, sagt Marcus Gerstmann und betont: „Darüber haben die Scouts besonders lange diskutiert.“ Die Schulung sei ein Austausch auf Augenhöhe gewesen. Kein Frontalunterricht. „Das wissen die Schüler zu schätzen und es hat Selbstwirksamkeit“, sagt Gerstmann. Die Ergebnisse werden die Medienscouts an diesem Dienstag den Lehrern, Eltern und Sechstklässlern präsentieren. Künftig werden die Neuntklässler versuchen, Streitigkeiten an der Schule selbst zu klären. Bei Bedarf stünden ihnen aber Vertrauenslehrer zur Seite. “Da gibt es einen Ablaufplan“, so Gerstmann. Elementar sei aber in jedem Fall der respektvolle Umgang miteinander. Alle Schüler müssten lernen, das Gegenüber ausreden zu lassen und allenfalls konstruktive Kritik zu üben. Sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt.

Der 56-jährige Familienvater sitzt in seinem Büro in der Neustadt. Im Regal stehen Ernie und Bert, Shrek und Nemo. An der Wand hängt Homer Simpson. Marcus Gerstmann liebt Medien aller Art. Vor allem auch das Internet. „Das Smartphone ist ein Schlaraffenland, mit dem wir alles herbeizaubern können: Fotos, Musik, Filme, Essen, das Wetter, Banking, Reisen. Es geht nichts mehr ohne.“

Digitales Fasten sei vielleicht im Urlaub möglich, digitales Detox sei aber nicht mehr realisierbar, meint der Medienpädagoge. Daher müssten sich die Menschen nach Möglichkeit bewusst On- und Off-Zeiten gönnen. „Hierbei geht es auch um die Balance zwischen digitalem und direktem Kontakt zu anderen Menschen, nach dem Motto: Whatsapp oder doch lieber ein gemeinsamer Spaziergang an der Weser?“

Mit den Schülerscouts haben wir in einem Brainstorming erarbeitet, wie ein guter Tag aussieht. Online zu spielen oder Serien ohne Ende zu gucken, sei ein weit verbreitetes Phänomen. Vielen Jugendlichen falle es schwer, den Konsum auf ein Normalmaß zu beschränken. Für Serien-Junkies hat Gerstmann einen Tipp: Um ein Ende zu finden, sei es sinnvoll, von einer Folge nur die ersten 15 Minuten anzusehen, um die spannungsgeladene Schluss-Szene der vorherigen Folge – den sogenannten Cliffhanger – auszutricksen.

Oftmals kämen Eltern in die Beratung, weil sie bei ihren Kindern eine krankhafte Mediennutzung vermuten, erzählt der Pädagoge. „Das ist eine Stigmatisierung, die Jugendlichen sind nicht krank. Sie haben nur Bock, die Medien zu nutzen. Man muss Geduld haben.“ Normalerweise würden Jugendliche mit etwa 16 Jahren lernen, „dass ein persönliches Gespräch und Verabredungen schöner sind“, sagt Gerstmann. Sollten sie sich hingegen dauerhaft einigeln, müssten die Eltern tatsächlich genauer hingucken, Grenzen setzen und Regeln erarbeiten.

Aber auch das sei kein Drama. Er selbst kenne aus Beratungsgesprächen „Medien-Junkies“, die sich später wunderbar entwickelt haben. Darunter seien auch erfolgreiche Informatiker. Bemerkenswert findet er auch Youtuber oder Influencer, die ihr eigenes Geld verdienen. Gerstmann: „Das ist doch toll. Die Eltern müssen ihren Kindern aber begleitend zur Seite stehen, damit das Geld sinnvoll angelegt wird.“ Ganz klar sei, dass Grundschüler kein eigenes Handy brauchen, so Gerstmann, „Aber ab zehn Jahren ist das ein Alltagsgegenstand.“ Deshalb halte er auch nichts von Handy-Verboten an Schulen. Das Smartphone eigne sich schließlich auch für Recherchen und selbstständiges Arbeiten. Möglich seien physikalische Experimente, Vermessungen oder das Erstellen von Erklär-Videos. „Ab der sechsten Klasse können die Kinder das.“

Erst mit der Einführung des iPhones im Jahr 2007 haben sich Smartphones flächendeckend verbreitet, „aber sie beherrschen jetzt unser Leben“, sagt Markus Gerstmann und prophezeit: „Im Jahr 2030 werden wir eine komplett neue Welt haben.“ Um damit klar zu kommen, müssten die Kinder gut vorbereitet sein.

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