Wie können Menschen, die zu Dutzenden oder Hunderten zusammenleben, vor dem Coronavirus geschützt werden? Antworten versuchen jetzt Linken-Politiker zu geben. Vertreter der Partei haben das Risiko für Flüchtlinge und Wohnungslose in Großunterkünften eingeschätzt. Ihre Bewertung ist am Wochenende an alle Koalitionspartner und mehrere Behörden gegangen. Die Linksfraktion spricht von einem Arbeitspapier – und davon, dass sie auf eine Debatte hofft, die schnell beginnt, damit sich die Bedingungen in den Einrichtungen zügig verbessern.
Dass die Risikoeinschätzung jetzt kommt, begründen die Linken-Abgeordneten Sofia Leonidakis und Nelson Janßen mit der Situation in der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Vegesack. Mehrmals haben Bewohner dagegen protestiert, in Mehrbettzimmer schlafen und mit vielen anderen in einem Raum essen zu müssen. Der Flüchtlingsrat und eine Gruppe der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordern deshalb die sofortige Schließung der Anlaufstelle. Gegen die Sozialbehörde und die Arbeiterwohlfahrt als Träger wurde Strafanzeige gestellt. Nach Ansicht des Flüchtlingsrats verstoßen beide gegen das Infektionsschutzgesetz und die Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus. Ende März gab es den ersten Infektionsfall.
Behörde quartiert Bewohner um
Von einem Verstoß und einer sofortigen Schließung ist in der Risikobewertung keine Rede, auch wenn die Linke grundsätzlich gegen Unterkünfte für Hunderte Menschen ist. Sofia Leonidakis sagt, dass das im Moment nicht durchsetzbar ist und deshalb zunächst über Möglichkeiten gesprochen werden soll, die Infektionsgefahr in Einrichtungen wie der Erstaufnahmestelle zu minimieren. Die Bürgerschaftsabgeordnete der Linken weiß, dass die Behörde dabei ist, die Zahl der Bewohner und damit das Ansteckungsrisiko zu senken. Sie meint aber, dass die Verlegung der Flüchtlinge auf andere Einrichtung der Stadt überfällig war – und dass das Ressort noch mehr machen könnte und müsste als das.
In der Einschätzung haben die Linken zusammengetragen, was das Infektionsschutzgesetz und staatliche Stellen für die Unterbringung von Flüchtlingen und Wohnungslosen vorschreiben. Auch beim Robert-Koch-Institut haben beide nachgeforscht, aber keine Empfehlungen gefunden, die sich ausdrücklich auf Gemeinschaftseinrichtungen für diese beiden Gruppen beziehen. Leonidakis sagt, dass sie das überrascht hat. Denn von wem sonst, wenn nicht von der Bundesbehörde für Infektionskrankheiten, sollte man Richtlinien und Regeln zu Covid-19 erwarten können? Nach ihren Worten hat die Linke jetzt quasi gemacht, was eigentlich das Institut hätte machen sollen.
Die Linken-Politiker haben aufgeschrieben, was rechtlich gilt, was verfügt werden kann und wie andernorts mit Infizierten umgegangen wurde. Nach ihren Zahlen gab es bis Mitte März bundesweit einen Covid-19-Fall in einer Unterkunft für Wohnungslose und zehn Fälle in Unterkünften für Flüchtlinge. Meistens wurde die gesamte Einrichtung unter Quarantäne gestellt. Anders als in Bremen. Dort ist die Frau, die positiv getestet worden war, erst isoliert, dann in eine andere Einrichtung gebracht worden. Nach Angaben der Behörde hatte sie keinerlei Kontakt zu Bewohnern außerhalb des Bereichs für Neuankommende und wird jeder Flüchtling getestet.
Nach Auffassung der Linken müssen sich Flüchtlinge und Wohnungslose genauso vor einer Virusinfektion schützen können wie alle anderen Menschen auch. Um das zu erreichen, stellt die Partei mehrere Mindestbedingungen an Unterkünfte: Statt Sechs- oder Achtbettzimmer sollte es nur noch Zimmer mit zwei Betten geben – mit Ausnahme von Räumen für Familien. Zudem haben sie Abstände von Möbeln und Sanitäranlagen festgelegt und sich für Telefon- beziehungsweise Wlan-Empfang in jedem Raum ausgesprochen. Nach Ansicht der Linken-Politikerin kann es nicht sein, dass Bewohner der Erstaufnahmestelle bestimmte Zimmer aufsuchen müssen, um online gehen zu können.
Weil in Unterkünften mehr Menschen auf verhältnismäßig wenig Fläche leben, besteht laut Leonidakis automatisch eine größere Infektionsgefahr. Auch wenn sich das im Fall von Corona empirisch nicht belegen lässt. Die Bewertung der Linken endet deshalb damit, dass zumindest rechnerisch für Flüchtlinge kein höheres Risiko im Vergleich zur Gesamtbevölkerung besteht. Zu Wohnungslosen trifft die Partei mangels Daten keine Aussage.
Zwei weitere Infektionsfälle
Erneut sind in der Erstaufnahmestelle Flüchtlinge angekommen, die mit dem Coronavirus infiziert waren. Wie die Sozialbehörde am Dienstag mitteilte, sind jetzt zwei Brüder positiv getestet worden. Sie kamen in Quarantäne, genauso wie die übrigen Bewohner des Bereichs für Neuankommende. Es ist der dritte Fall einer Infektion in der Anlaufstelle. Die Behörde kündigte an, alle Flüchtlinge, die neu ankommen, für zwei Wochen zu isolieren. Momentan leben rund 450 Menschen in der Einrichtung, 150 weniger als zu Beginn der Pandemie.