Vegesack. Allein unter Frauen übt Albrecht Clauß seit vielen Jahrzehnten sein Hobby aus: Die Kalligrafie. Schon als Schüler hat er seine Leidenschaft für die Schönschrift entdeckt, verfasste Briefe, Tagebucheinträge und Aufsätze sorgfältig mit dem Füllfederhalter. „Ich hab damals zwar nicht besonders schön geschrieben, hatte aber auch keine Klaue, sagt der 75-jährige pensionierte Sport- und Französisch-Lehrer des Vegesacker Gerhard-Rohlfs-Gymnasiums.
Längst hat Albrecht Clauß die Kalligrafie perfektioniert. Egal, ob Unziale, Humanistische Kursive oder karolingische Minuskel, eigene in unterschiedlichen Schrifttypen verfasste Texte und Zitate kombiniert der Kalligraf mit Zeichnungen oder Drucken zu Collagen. Gegenwärtig zeigt er eine Auswahl seiner Arbeiten in der Stadtbibliothek Vegesack.
Seine Leidenschaft ist die Schrifttype Unziale, die vom vierten bis sechsten Jahrhundert genutzt wurde. „Diese Schrift haben die Mönche beispielsweise für die Bibeln benutzt. Im Schriftbild sind die Buchstaben alle gleich hoch“, erklärt der Vegesacker und zeigt auf eines seiner Werke, das wie alle übrigen Exponate aus den zurückliegenden sechs Jahren stammt.
„Man muss das Wasser nicht verstehen, um Kopf voran hineinzuspringen.“ Dieses handschriftliche Zitat von Sigmund Freud vereint Clauß in einer Grafik mit der aufgeklebten Zeichnung eines Jünglings, der einen Kopfsprung macht. „Ich benutze gern Zitate, die mir begegnen oder die ich suche“, erklärt er.
Aufgeklebt ist auch die authentisch anmutende Papierschwalbe, die Clauß in seiner eigenen Handschrift mit einem Text versehen hat. Daneben steht „in Fantasieschrift“ ein Gedicht von Jürgen Theobaldy. „Wenn ich mich mal verschreibe, kaschiere ich das elegant“, erzählt der 75-jährige verschmitzt und verweist auf die Mönche, die damals die Bibeltexte abgeschrieben haben. „Die konnten gar nicht lesen und haben auch viel korrigiert.“
Perfektioniert hat der Nordbremer seine Schrift dank seines Vaters. „Ich habe schon früh Alphabete mit einem Kalligrafie-Füllfederhalter geschrieben. Dann schenkte mir mein Vater zum 40. Geburtstag das Buch ‚Die Kunst des schönen Schreibens‘. Mein Vater wusste von meiner Leidenschaft, die ich damals noch nicht ausgelebt hatte. Mein einziges Hobby war damals meine Familie“, sagt Albrecht Clauß, selbst Vater eines 28-jährigen Sohnes.
In der kalligrafischen Wüste
„Bremen war eine kalligrafische Wüste, es gab keine Angebote“, erzählt der pensionierte Lehrer. „Aber in dieser Wüste tauchte Mitte der 90er-Jahre ein Angebot des Deutschen Hausfrauenbundes auf: ein halbjähriger Kalligrafie-Kurs in der Innenstadt." Clauß: „Da bin ich dann alle 14 Tage für zwei bis drei Stunden hin. Ich war der einzige Mann unter neun Frauen. Aber alle waren nur mit dem Schreiben beschäftigt. Das war toll, denn das Schreiben hat etwas außerordentlich Meditatives.“
Es gab keinen Folgekurs. „Zu meinem großen Leidwesen. Ich habe dann nur noch sporadisch geschrieben“, erinnert sich der Vegesacker. Stattdessen habe er sich eine Sammlung mit Tintenfässern, Federn, Schreibsets und einem kuriosen Geha-Schulfüller mit Reservetank aus den 60er-Jahren zugelegt. „Die habe ich auf Flohmärkten oder übers Internet gekauft. Mein absolutes Lieblingsstück bleibt aber mein eigener Pelikanfüller. Der ist gut eingeschrieben.“
Gewissermaßen mit Kusshand begrüßte Albrecht Clauß im Jahr 2005 einen professionellen Kalligrafie-Kurs, den die Expertin Sabine Pfeiffer seither einmal pro Jahr am evangelischen Bildungszentrum in Bederkesa anbietet. „Jeweils von Freitag bis Sonntag zu bestimmten Themen; Schrift, Farbe, Form. Da bin ich jetzt wieder der Hahn im Korb", sagt Clauß. Theoretisch reiche ein Equipment für rund zehn bis 15 Euro. „Aber ich habe inzwischen allein 30 verschiedene Farben und Sorten unterschiedlicher Viskosität.“
Lange bewahrte Albrecht Claus die Druckgrafik einer Vogelfeder in seiner Schublade auf. Dann hatte er dazu eine passende Idee für das Blatt. Er kombinierte die Feder mit einem Zitat von Voltaire: „Solange ein Vogel seine Federn hat, fliegt er.“ Vier seiner Grafiken wurden durch Rilke inspiriert. „Der bringt bestimmte Sachen einfach auf den Punkt“, findet Albrecht Clauß.
Außerdem zitiert er aus dem Gedicht „Neues Erleben“ von Hermann Hesse. Für diese Grafik habe ich am Arbeitstisch quadratmeterweise Kreise geübt“, erklärt der 75-Jährige. „Als ich mich sicher fühlte, habe ich den Schwung auf das vorgesehene Blatt gebracht. Kombiniert hat er ihn mit dem Schriftzug „Abermals in neuen Kreisen“. Clauß: „Darauf bin ich besonders stolz.“
Aktuell arbeitet der Vegesacker an einem Wettbewerbsbeitrag für die amerikanische Kalligrafie-Gilde. Jedes Jahr gilt es, zu einem bestimmten Thema einen Briefumschlag zu gestalten. „Der wird auf regulärem Weg mit einer Briefmarke nach Washington geschickt, kann demnach sowohl nass werden als auch verloren gehen. Was schade wäre, denn die rund 600 Einsender aus aller Welt geben sich viel Mühe. „Ich habe schon mal eine 'ehrbare Erwähnung' bekommen“, freut sich Clauß. Thema war „the pushed envelope“, was umgangssprachlich „übertreiben“ heißt. Clauß hat damals den eigentlichen Umschlag nicht nur kalligrafisch aufgewertet, sondern auch immer kleiner werdende Umschläge aufgeklebt. In diesem Jahr lautete das Thema „double vision“. Clauß grübelt noch, wobei ihm seine Frau Roswitha beratend zur Seite steht.
Ausstellung bis 10. März
Parallel plant er einen Kalligrafie-Workshop, den er im März dieses Jahres an der Volkshochschule Bremen-Nord leitet. „Es gibt in klassischer Kalligrafie in Bremen immer noch kein Angebot. Aber seit 2018 biete ich selbst in Bremen-Nord Kurse an, und die sind immer sofort ausgebucht – auch dieses Mal“, freut sich der Dozent. „Einmal war ein junger Mann dabei. Ansonsten sind es ältere Damen“, erzählt er verschmitzt. Albrecht Clauß ist also mit der Kalligrafie immer wieder allein unter Frauen.
Die Ausstellung in der Stadtbibliothek Vegesack, Kirchheide 42, ist noch bis Mittwoch, 10. März, zu sehen. Öffnungszeiten: montags, dienstags und freitags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags von 9 bis 18 Uhr und sonnabends von 10 bis 14 Uhr.