Vegesack. Leyla Imret aus Osterholz-Scharmbeck hat 2014 weltweit für Schlagzeilen gesorgt, als sie zur Bürgermeisterin der kurdischen Stadt Cizre im türkischen Grenzgebiet zu Syrien und dem Irak gewählt wurde. Trotz oder wegen ihres Geschlechts, Alters und der Ausbildung in Deutschland erhielt die 26-Jährige damals 83 Prozent der Wählerstimmen.
Aber schon im Herbst 2015 wurde sie von der türkischen Regierung ihres Amtes enthoben und kehrte auf Umwegen zurück nach Deutschland. Über ihre Erlebnisse und die aktuelle politische Lage in der Region spricht die 32-Jährige auf Einladung der Internationalen Friedensschule Bremen im Rahmen der Reihe „Archivgespräch“ am Donnerstag, 5. März, um 18 Uhr auf der Studiobühne im Bürgerhaus Vegesack. Das Thema lautet: „Die politische Lage in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei und Syriens.“
Bereits im Jahr 2018 habe er versucht, Kontakt zu Leyla Imret aufzunehmen, sagt der Historiker Ulrich Schröder, früher Lehrer an den Berufsbildenden Schulen in Osterholz-Scharmbeck, „aber damals war sie untergetaucht“. Bei einem zweiten Anlauf habe die 32-Jährige die Einladung der Friedensschule aber sofort angenommen. Inzwischen lebt Leyla Imret in Bremen und studiert an der hiesigen Universität Politikwissenschaft.
Zum Hintergrund: Geboren wurde Leyla Imret im Jahr 1987 in der kurdischen Stadt Cizre – im Dreiländereck zwischen Irak, Syrien und der Türkei. Noch als Kind wurde sie aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen Kurden mit türkischen Sicherheitskräften sicherheitshalber zu Verwandten nach Deutschland geschickt. Sie verbrachte in Osterholz-Scharmbeck Kindheit, Jugend und Schulzeit und schloss ihre Berufsausbildung zur Friseurin ab. Erst nach 13 Jahren sah sie ihre Mutter und ihre Geschwister in der Türkei wieder.
Im Jahr 2013 entschloss sie sich, endgültig in die Türkei zurückzukehren, zog wieder nach Cizre und kandidierte in der 120 000 Einwohner-Stadt für die Baris Demokrasi Partisi (BDP) zu Deutsch: Partei des Friedens und der Demokratie, einer Schwesterpartei der Halklarin Demokratik Partisi (HDP). Dabei holte sie mit Abstand die meisten Stimmen und engagierte sich in den folgenden Monaten für den kommunalen Wiederaufbau und Umweltschutz.
Schon im Herbst 2015 war Schluss damit. Während der neuntägigen Ausgangssperre, die Anfang September über Cizre verhängt wurde und in deren Verlauf mindesten 21 Menschen getötet wurden, enthob das türkische Innenministerium Leyla Imret ihres Amtes. Angeblich habe sie das Volk zum bewaffneten Widerstand gegen den Staat aufgewiegelt.
Die Vorwürfe, sie habe zum Bürgerkrieg aufgehetzt, zur Volksbewaffnung aufgerufen und Propaganda für die PKK gemacht, habe auf einem acht Monate alten Interview basiert, in dem sie auf die Geschichte von Cizre hingewiesen habe, so erklärte es Leyla Imret später. Sie habe im Gespräch lediglich erwähnt, dass die Menschen in Cizre eine große Sehnsucht nach Frieden hätten und Zustände wie in den 90er Jahren nicht noch mal zulassen würden. Sie würden sich wehren.
In der Folgezeit wurde die designierte Bürgermeisterin dreimal festgenommen, flüchtete 2016 zunächst in den Nordirak und im Jahr 2017 nach Deutschland. Hier erhielt sie politisches Asyl, engagierte sich von hier aus für die HDP und begann ihr Studium. Wegen ihres unablässigen Engagements auch außerhalb der Türkei brachte sich Leyla Imret in Gefahr. Trotzdem machte sie 2018 als sachverständige Zeugin vor dem Internationalen Tribunal der Völker in Paris eine Aussage über die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen des türkischen Staates in ihrer Heimatstadt.
Auch die Internationale Friedensschule Bremen kritisiert die repressive Politik der AKP-Regierung Erdogans. Für zusätzliche Unruhe sorgt die Besetzung des 30 Kilometer breiten Grenzstreifens im syrischen Kurdengebiet seitens der türkischen Armee sowie die Intervention im libyschen Bürgerkrieg.
Im Zuge der Diskussion im Bürgerhaus Vegesack möchte Leyla Imret zum besseren Verständnis der aktuellen Situation beitragen. Ihr erklärtes Ziel ist „demokratische Autonomie und Selbstverwaltung in einem konförderalistischen Staat, in dem alle Menschen unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund gleichgestellt sind“. Die Veranstaltung im Bürgerhaus ist kostenlos.