Endlich schön. Lange, seidige Haare sind der Traum vieler Mädchen und Frauen. Schon ab drei Euro pro Strähne lässt sich dieser Wunsch neuerdings in vielen Vegesacker Friseurgeschäften erfüllen. Ein paar Monate halten die künstlichen Haare – dann tauchen die ersten Probleme auf: Denn nichts ist für die Ewigkeit.
Vegesack. An dem Tag, an dem Tanja Högemann aus Aumund das erste Mal in ihrem Leben lange Haare hatte, konnte sie nicht mehr aufhören zu lächeln. "Endlich Walla-Walla-Mähne", sagt die 30-Jährige und ihrem Blick im Spiegel ist ein wenig Stolz anzusehen. Über einen Pagenkopf war sie bis zu dem Tag nie hinausgekommen. "Ich bin Friseurin und habe beim Wachsenlassen einfach kein Durchhaltevermögen." Jetzt trägt Högemann die schwarzen Haare schulterlang. Schon zum zweiten Mal. Der erste Satz Haare aus dem Internet ist bereits ausgetauscht.
"Das ist indisches Tempelhaar", berichtet Högemanns Chefin in der Hairlounge, Britta Schu. Das Echthaar der Inderinnen werde gereinigt, gebleicht, eingefärbt und mit einer Wärmezange am Eigenhaar festgeklebt. 200 Strähnen, sogenannte Extensions mit Bondings, hat sich Högemann ins Haar einarbeiten lassen. Pro Strähne zahlen Kunden im Salon im Schnitt vier Euro. "Die sitzen bombensicher", meint Tanja Högemann und zieht zur Demonstration an einer Strähne.
Die Strähnen wachsen mit dem natürlichen Haar heraus. Feray Özalp, Spezialistin für Haarverlängerung im Vegesacker Friseurgeschäft La Mirage, gibt auf ihre Extensions eine sechsmonatige Garantie. Sie berichtet von einer Frau, die die Strähnen bereits seit 16 Monaten trägt. Andere störe der Ansatz schon nach drei Monaten, meint Özalp. Sie habe eine Kundin, die alle zwölf Wochen aus Hamburg anreise, um sich die Haare neu machen zu lassen. Ohne die künstliche Pracht fühlten sich manche Kundinnen nackt auf dem Kopf.
Özalp: "Die langen Haare machen süchtig. Für uns ist das ein Vorteil, für die Kunden ein Nachteil." Immerhin kosten Haare bis zur Taille bei La Mirage bis zu 1500 Euro. Wiederverwenden ließen sich die Strähnen nicht.
Tragisch wird es, wenn das Geld für Haar-Nachschub fehlt. Özalp erzählt von einer Frau, die sich keine neuen Strähnen leisten könne und am Kunsthaar festhalte, auch wenn es im Laufe der Zeit schon sehr gelitten hat. Denn die Extensions brauchen nach den Worten der Friseurin eine spezielle Pflege. Dazu gehöre nicht nur alkohol- und silikonfreies Shampoo. Auch einige Verhaltensregeln müssten beachtet werden. Ins Schwimmbad dürfen Frauen mit Extensions wegen des Chlorwassers nicht. Sie müssen nachts mit Zopf schlafen und sollten ihren Schopf nie über Kopf waschen – sonst verfilzt die ganze Pracht. Wer schön sein will, muss leiden.
Wie schädlich sind die Extensions? "Dünne Haare brechen bei den Bondings ab", sagt Özalp klar. Sie empfiehlt in dem Fall die Verwendung von Tressen.
Ganze Haarmatten näht Friseurin Anja Neumann vom Haarstudio Hespos ihren Kundinnen an den Kopf. Was brutal klingt, ist harmlos. Die Methode: Aus zwei Fäden und einer Haarsträhne flechtet Neumann eine Art Ring an den Hinterkopf der Kundin. Daran wird mit einer OP-Nadel das Haarteil befestigt. Hair Weaving nennt sich diese Art der Verlängerung im Fachjargon. "Ein bis zwei Tage spürt man den Zug, dann nicht mehr", sagt Britta Hespos, Expertin fürs Zweithaar. Für die Ewigkeit ist auch diese Methode nicht. Die Tresse (ab 350 Euro) muss nach Hespos’ Worten alle vier bis acht Wochen neu eingearbeitet werden, was jeweils 60 bis 100 Euro kostet. Dafür könne die Tresse zwei Jahre verwendet werden. Allerdings: "Wenn man das Weaving falsch macht, reißt das eigene Haar raus", sagt Hespos. In ihren Räumen über einem Bankhaus in der Reeder-Bischoff-Straße hätten schon häufiger Frauen Hilfe gesucht, die sich mit sogenannten Clip-in-Extensions und Metallkämmchen selbst Löcher in den Schopf gerissen hätten. Hespos weiß, wie unglücklich Menschen mit Haarproblemen sein können.
"Haare sind ein Erfolgssymbol", sagt sie. Das sei sogar wissenschaftlich belegt. Es gebe Studien, die zeigen, dass ein Mann mit vollem Haupthaar eher einen Job bekommt als einer mit Halbglatze. Der Leidensweg der Haarlosen sei oft lang, sagt Hespos. Bevor sich Betroffene eine Perücke anfertigen ließen, versuchten viele ihr Problem zu verheimlichen: "Sie setzen sich nicht unter Lampen und bücken sich nicht, damit keiner auf die kahlen Stellen gucken kann." Neue Haare, stellt Hespos immer wieder fest, sorgten für ein neues Lebensgefühl und einen selbstbewussten Auftritt.
Auch Natur ist schön
"Glanz, Fülle und Haarschnitt sind für den ersten Eindruck entscheidender als alles andere", sagt auch der Vegesacker Naturfriseur Thorsten Gerth. Der Spezialist für ganzheitliche und biologische Naturhaarpflege hält allerdings nichts von künstlicher Haarverlängerung – auch nicht mit Echthaar. "Auch, wenn es Naturhaare sind, sind sie chemisch bearbeitet – sonst würden die Motten rangehen." Bei einem Allergiker könnten solche Haare Kontaktreizungen oder Schlimmeres hervorrufen.
Als Naturfriseur findet Gerth die Menschen grundsätzlich so richtig, wie sie gemacht sind. "Bei der Haarverlängerung verändert sich der körpersprachliche Ausdruck. Es sieht immer künstlich aus, die Richtung stimmt nicht, die Form stimmt nicht." Dass sich die Betroffenen dennoch schöner fühlen, begründet Gerth so: "Wir sehen dann viel toller aus, wenn uns vorher ein Mangel eingeredet worden ist." Diese Funktion übernehme in der Regel die Werbung.
"Du hast die Haare schön", singt Tim Toupet in seinem Ballermann-Lied und bei ihm klingt alles ganz unkompliziert. "Haarspray auf die Birne, dann fällt nichts in die Stirne. Noch was Stylingcreme, dann biste wieder schön." Wer einmal schön war, will immer schön sein. Ob sich Friseurin Tanja Högemann demnächst ihren dritten Satz Tempelhaar bestellt? "Eigentlich habe ich schon beim letzten Mal gesagt: Das ist jetzt das letzte Mal. Aber es ist doch viel Eigenhaar draufgegangen. Ich denke, ich werde noch mal welche reinmachen", überlegt sie. So 30 bis 80 Strähnen. Nur damit das Haar wieder dicht wirkt.