„Als ich meine Stasi-Akte gelesen habe, war das erkenntnisreich. Das war aber auch ein Hauch Genugtuung. Sie haben keine Macht mehr über mich. Es ist vorbei“, erzählt Roland Jahn, der seit 2011 die Stasiunterlagenbehörde in Berlin leitet, in der Strandlust. Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls reist er durch die Republik und berichtet als Zeitzeuge von seinen Erlebnissen in der ehemaligen DDR. So auch in Vegesack.
„Roland Jahn hat mir diesen Tag geschenkt“, sagt die Bremer Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann (CDU). „Ich habe ihn nämlich gefragt, ob er nicht mal nach Bremen kommen würde. Selbstverständlich macht er das gerne, sagte er mir.“ Als feststand, dass Jahn in die Hansestadt kommt, luden die CDU Bremen-Nord und die Frauenunion den Journalisten auch nach Vegesack ein.
Jahn engagierte sich in der ehemaligen DDR als Bürgerrechtler und war Mitbegründer der oppositionellen Friedensgemeinschaft Jena. Er kämpfte für Meinungsfreiheit und gegen die Militarisierung des Landes und rief damit die Staatssicherheit auf den Plan. „Man hat mich bespitzelt, man hat mich von der Universität geworfen und ins Gefängnis gesteckt. Aber das Schlimmste war, dass man mich eines Tages festgenommen hat und gefesselt an die Grenze gebracht hat. Nachts, in einem Interzonenzug, der von Berlin nach München fuhr. Wie ein Stück Frachtgut wurde ich in den letzten Waggon geworfen und war weg. Abtransportiert aus meiner Heimat“, erinnert sich der 66-Jährige. Dieses Ereignis wirke noch immer in ihm nach, weil es so unvorstellbar für ihn gewesen sei, dass man ihm das Recht auf Selbstbestimmung genommen hat.
Seine Ausbürgerung wurde damals von Erich Mielke als Minister für Staatssicherheit persönlich unterschrieben. Das hat er Jahre später seiner Stasi-Akte entnommen. „'Abschiebegewahrsam sichern', hat er extra handschriftlich vermerkt. Immer wenn ich im Stasi-Museum bin und den Schreibtisch von Mielke sehe, dann sehe ich ihn dort sitzen, wie er meine Unterlagen unterschreibt“, erzählt Jahn.
Auch wenn er gegen das Regime war, verlassen wollte er die DDR eigentlich nie. „Ich wollte das Land reformieren. Aber nicht, weil es das bessere System war, sondern weil es meine Heimat war“, sagt Jahn. Genauso wie die Hunderttausenden, die einen Ausreiseantrag gestellt haben, wollte er in Freiheit leben. „Ich wollte auch selbstbestimmt leben, aber in meiner Heimat. Da, wo ich viele schöne Dinge erlebt habe. Nicht wegen des Staates, sondern wegen der Menschen“, sagt er.
Mit der Ausbürgerung aus der DDR hat man nicht nur ihn bestraft, sondern auch seine Familie, sagt Jahn. Seine Verwandten seien von Sippenverfolgung betroffen gewesen. „Mein Vater war fußballbegeistert und trainierte die Jugend bei Carl Zeiss Jena. Er hat 22 Nationalspieler entwickelt und war Ehrenmitglied Nummer eins. Mit dem Tag meiner Ausbürgerung sind die Funktionäre bei ihm zu Hause eingeritten und haben gesagt, du wirst aus dem Fußballklub geworfen. Du bist nicht mehr Ehrenmitglied. Du musst deine Tribünenkarte abgeben“, berichtet Jahn. „Man hat ihm sein Lebenswerk genommen. Und das alles nur, weil man seinen Sohn zum Staatsfeind erklärt hat.“ Was seine Familie erleiden musste, mache ihn bis heute betroffen. Rückblickend überlege er deshalb, ob er damals mit seiner Regimekritik hätte vorsichtiger sein müssen.
Reise endete an der Grenze
Dabei hat er bereits als Jugendlicher festgestellt, was es bedeutet, sich nicht frei bewegen zu können. Bei einer Reise durch Osteuropa kam er in Kontakt mit einem Mann aus Westdeutschland. Es entstand eine Freundschaft. „Als wir an der bulgarischen Grenze waren, zog er weiter bis nach Asien. Ich musste umkehren“, sagt er. „Das hat mich schon geprägt. Ich habe gemerkt, meine Freiheit ist beschränkt.“
Als Abiturient durfte er immerhin noch außerhalb der DDR reisen. „Da war ich noch nicht so im Visier der Stasi, da konnte ich wenigstens noch in den Ostblock fahren. Jahre später durfte ich nicht einmal mehr die DDR verlassen“, berichtet Jahn. Anderen sei es sogar verwehrt gewesen, die Stadt zu verlassen um etwa Freunde in Berlin zu besuchen.
Jahn hat bei seinem Besuch in Vegesack nicht nur von seiner eigenen Lebensgeschichte berichtet, sondern sich auch zu aktuellen politischen Diskussionen geäußert. „Wir können froh sein, dass sich die Verhältnisse geändert haben, und das fängt schon beim Materiellen an“, sagt der gebürtige Hallenser. „Ich wünsche den Leuten von der Linkspartei manchmal, wenn sie die DDR verklären, dass sie einmal wieder in einen Gemüseladen gehen, wie er in der DDR Alltag war. Einmal ausschließlich Rot- und Weißkohl essen und von Südfrüchten träumen.“
Generell ist das Erinnern ein wichtiges Thema für Roland Jahn. „Mich erschreckt, dass wir so schnell vergessen, dass Freiheit als eine Selbstverständlichkeit betrachtet wird“, sagt er. Deshalb sei es wichtig, dass es Gelegenheiten und Orte gebe, wo Menschen sich erinnern können. „Ob das in Berlin ist, im Stasi-Knast und an der Mauergedenkstätte oder aber auch an der innerdeutschen Grenze.“ Schließlich müsse Freiheit geschätzt und geschützt werden.