Aumund-Hammersbeck. Auf dem Gelände der Grundschule Borchshöhe in Aumund-Hammersbeck bolzen zwei Jungs und passen sich den Ball zielgenau zu. Einige Mädchen federn derweil auf den elastischen Seilen der Kletterpyramide auf und ab. Durchs Fenster sehen ihnen zwei Jungen zu. Sie sitzen an kleinen Tischen auf einem Flur und haben gerade ihre Aufgaben erledigt. Eine Pause haben sie schon während des Unterrichts gemacht und müssen nun das Pensum nachholen. „Das klappt eigentlich immer“, betont Schulleiterin Gunda Ruge-Strudthoff.
Die Grundschule Borchshöhe ist innovativ und sucht ständig nach neuen Ansätzen für den Umgang mit schwierigen Schülern und den Austausch mit den Eltern. Frontalunterricht gibt es nicht. Stattdessen werden die Kinder in zwölf altersgemischten Gruppen in sogenannten Lernhäusern unterrichtet. Jeweils 19 bis 21 Sechs- bis Zehnjährige bilden eine Gemeinschaft. 2017 wurde die Schule für ihr herausragendes Konzept beim Finale des Deutschen Schulpreises in Berlin mit einem Preisgeld von 25 000 Euro ausgezeichnet.
Das jahrgangsübergreifende Lernen hat sich bewährt, „weil Leistung, soziales Verhalten, Emotionalität, Kultur und Sprache bei den Grundschülern weit auseinander driften“, so die Schulleiterin. Prämiert wurden damals auch drei andere Grundschulen im Bundesland Bremen, die mit diesem Konzept arbeiten: Die Schule Pfälzer Weg in Tenever, die Schule am Buntentorsteinweg in der Neustadt und die Marktschule in Bremerhaven.
Jetzt haben sich die Kollegien dieser vier Schulen in der Grundschule Borchshöhe zu einem ersten Vernetzungstreffen zusammengefunden. Organisiert wurde die Fortbildung von der Deutschen Schulakademie, um die Erkenntnisse der einzelnen Schulen zu bündeln und auszutauschen.
In sechs Workshops, die von preisgekrönten Kollegen aus anderen Bundesländern geleitet wurden, haben sich beim Vernetzungstreffen 120 Pädagogen und Erzieher mit praxisorientierten Konzepten befasst. „Wir haben beispielsweise die Idee mitgenommen, dass wir die Eltern in die Schule einladen, wo sie dann von ihrem Kind erzählen dürfen. Sie sind ja schließlich die Experten“, sagt Gunda Ruge-Strudthoff.
„Alle Eltern wollen, dass es ihren Kindern an der Schule gut geht“, betont die Lehrerin Daniela Dehne. Es gelte aber, die Mütter und Väter einzubinden. Jedes Kind werde daher vor der Einschulung Zuhause besucht. „Zu Beginn jedes Schuljahres wird dann aus den neuen Schülern eine gute Mischung für jede Lerngruppe gestaltet“, so die Schulleiterin. Pro Lernhaus gibt es jeweils zwei Klassenverbände, zwei Lehrer, einen Erzieher und stundenweise einen Sozialpädagogen, also mehrere Bezugspersonen.
„Die künftigen Erstklässler hat ein Schularzt bereits untersucht und 50 Prozent der Kinder Defizite attestiert“, sagt Gunda Ruge-Strudhoff. „Das hat aber nichts mit Migration oder Sprachbarrieren zu tun“, betont sie. „Kinderarmut ist das Schlagwort.“ Diese Kinder sind in materieller, emotionaler und sozialer Hinsicht unterversorgt. Sie sind zu oft auf sich allein gestellt. Das fängt beim Zähneputzen an und endet bei Schuhen, die nicht mehr passen. Wir haben extra einen Kleiderschrank und einigen Kindern sogar schon Turnhosen gekauft.“
Konflikte vermeiden
Die gewaltfreie Kommunikation wurde in einem anderen Workshop thematisiert. Die Erzieherin Isabella Hube nennt ein Beispiel. Wenn ein Schüler immer wieder in der Garderobe Streit anfange, könne es daran liegen, dass er sich dort eingeengt fühle. Möglicherweise ließe sich dieser Konflikt schon dadurch vermeiden, dass das Kind seine Jacke an einen andernorts montierten Haken hänge. „Das Ziel ist hier, die Bedürfnisse genauer zu hinterfragen“, so Hube.
Fakt sei, dass die Lehrkräfte heutzutage auf nahezu jede psychische Befindlichkeit der Kinder eingehen müssen, räumt die Schulleiterin ein. „Gleichzeitig muss das Kind aber auch lernen, nicht immer den eigenen Befindlichkeiten zu folgen, sondern sich in die Gemeinschaft einzugliedern.“ Eine Herausforderung, aber es scheint zu klappen: „Alle, die hier hospitieren, sind von der ruhigen Atmosphäre angetan“, betont Ruge-Strudthoff.
„Viele Probleme haben wir durch unser Konzept schon abgefedert“, konstatiert Daniela Dehne, letztlich gebe es aber immer neue Herausforderungen und das Unterrichten mache nur noch einen Bruchteil der Arbeit aus. „Wir haben Kinder, die im Unterricht gar nicht zuhören können“, ergänzt die Schulleiterin, aber letztlich müssten alle Kinder vorangebracht und interessiert werden. Deshalb könnten sich die Kinder mit Bewegungsdrang auch eine Auszeit vom Unterricht nehmen. Es gebe entsprechende Rückzugsmöglichkeiten.
Jeder Schultag startet mit einem offenen Anfang ab 7.45 Uhr, dann folgt der Morgenkreis mit Gesang, bevor der Lehrer mit den Schülern die anstehenden Aufgaben bespricht. Jedes Kind hat einen individuellen Wochenplan, den der Lehrer ausarbeitet, beurteilt und am Wochenende von den Eltern unterzeichnen lässt. „Das klappt sehr gut. Manchmal bedanken sich die Eltern sogar auf diesem Weg“, erzählt Gunda Ruge-Strudthoff und äußert einen Wunsch für die Zukunft: „Es wäre ein Traum, wenn wir in jedem Klassenverband einen Erzieher für die pädagogische und soziale Begleitung in Vollzeit hätten.“