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Gastgeber Spracher Corona oder nicht?

Die Veranstalter des Programmes „Gastgeber Sprache“ diskutieren derzeit, ob die Pandemie im Mittelpunkt ihres Literaturfestivals stehen soll.
06.04.2021, 06:00 Uhr
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Von Jörn Hildebrandt

Vegesack. Will man sich beim Schreiben eher nach innen oder nach außen wenden? Wer literarische Texte verfasst, bringt häufig sein Innenleben zur Sprache oder befasst sich, in scharfem Kontrast dazu, mit dem Zeitgeschehen – die Corona-Pandemie ist ein Ereignis, bei dem sich leicht beide Richtungen verbinden. Wohl jeder ist in seinem Seelenleben von den Zuständen betroffen, und diese wirken wiederum auf die politisch-gesellschaftliche Ebene. Ein Autor kann sich aber auch, überdrüssig der Geschehnisse des zurückliegenden Jahres, abwenden und über Themen schreiben, die nichts mit Corona zu tun haben.

Dieser Konflikt beschäftigt auch die Veranstalter des Literaturfestivals „Gastgeber Sprache“, bei dem in Bremen-Nord an mehreren Terminen Lesungen von Autoren aus der Region stattfinden. Bisherige Lesungen gabe es zum Teil an außergewöhnlichen Orten, wie zum Beispiel in einem Friseursalon, in privaten Wohnzimmern oder auch im Bunker Valentin.

Wie alle Kultur-Veranstaltungen, bei denen viele Menschen zusammenkommen, war das zurückliegende Jahr auch für „Gastgeber Sprache“ ein extrem schwieriges: „Die Veranstaltungen 2020 wurden wegen des zweiten Lockdowns abgebrochen, auch der Märztermin in diesem Jahr wurde nach hinten verschoben“, sagt Heide Marie Voigt, eine der Organisatorinnen des Projekts. Die Reihe online durchzuführen, wurde von den Veranstaltern abgelehnt. „Wichtig sind doch persönliche Nähe und Kontakte von Mensch zu Mensch sowie das, was Autoren während ihrer Lesungen ausstrahlen – all das geht in der digitalen Welt verloren“, sagt Heide Marie Voigt. Gerhard Koopmann, der die „Literaturpforte“ im Doku Blumenthal leitet, ergänzt: „In unserer Schreibwerkstatt haben wir versucht, uns virtuell zu treffen, doch das ist schief gegangen, weil einige Teilnehmer mit den digitalen Abläufen nicht klar gekommen sind.“ Stattdessen habe man sich 2020 einige Male im Garten des Doku getroffen, danach habe es keine weiteren Meetings mehr gegeben.

Bei den diesjährigen Lesungen stand für die Veranstalter die Frage im Raum, ob die Corona-Pandemie in ihren Auswirkungen auf das Seelenleben zum Hauptthema werden solle. Heide Marie Voigt und Gerhard Koopmann sind da unterschiedlicher Auffassung: „Wir setzen uns doch täglich mit den Infektionszahlen, den Hygieneregeln und den Berichten Betroffener auseinander – nun wollen wir auch mal etwas anderes machen“, sagt Gerhard Koopmann. So habe zum Beispiel die Lyrikerin Dagmar Pejouhandeh im letzten Jahr zum poetischen Spaziergang durch Knoops Park Bilder gezeigt. Ihre „Lyrik an der Lesum“ im Doku Blumenthal sei ein großer Erfolg gewesen. „Das war eine tolle Sache“, sagt Koopmann, „die Teilnehmer waren begeistert und meinten, sie hätten endlich wieder etwas erlebt, worüber man sich freuen kann.“

Heide Marie Voigt hingegen ist der Auffassung, das Thema Corona beschäftige auch die Schreibenden so sehr, dass man es unbedingt in die Lesungen einfließen lassen müsse. Sie sieht aber auch den generellen Konflikt: „Soll man sich mit Entlastungen vom schwierigen Alltag befassen, wie mit dem Erleben von Natur oder dem Lesen von Gedichten, oder soll man dem, was einen bedrückt, zum Ausdruck verhelfen?“, fragt sie sich. Sie plädiert dafür, sich auch in Gedichten oder Prosa intensiv mit den Folgen der Pandemie auf das Seelenleben zu beschäftigen, weil das Schreiben darüber befreiend sein könne.

Die Besucher können in diesem Jahr gespannt darauf sein, in welcher Form sich die Autoren dem Thema annähern werden. Die erste Veranstaltung von „Gastgeber Sprache“ trägt den Titel „Fundstücke“. Unter musikalischer Begleitung lesen Dietmar R. Horbach, Gabriele Stein, Cornelia Knösel und Gerhard Koopmann Geschichten, Haikus und Gedichte. Die Lesung gibt es an zwei Tagen: Sonnabend, 15. Mai, 16 bis 19 Uhr, im Kulturzentrum Nunatak, Kapitän-Dallmann-Straße 2. Anmeldungen unter Telefon 04 21 / 2 22 36 20, sowie Sonntag, 16. Mai, im Doku, Heidbleek 10, Telefon 04 21 / 6 03 90 79. Die Zahl der Plätze ist begrenzt, eine Anmeldung ist deshalb erwünscht.

Info

Zur Sache

Ein Gedicht namens Welle(n)

Eine Autorin reagiert schreibend auf die Pandemie Eine der Mitstreiterinnen bei „Gastgeber Sprache“ ist die Autorin Dagmar Pejouhandeh. Sie hat in ihren eigenen Worten auf Corona reagiert. Sie schreibt: „Bei mit hat die Krise zu unglaublich vielseitiger Kreativität geführt, von Online-Portalen auf kultureller Ebene zu Außer-Haus-Verkauf und telefonischer Bestellung beim Einzelhandel und bei Restaurants, von gemeinsamen Aktionen, wie dem abendlichen Balkonsingen und Klatschen für all die Tapferen, die ihren Dienst tun zum Überleben und Menschenleben retten." Ihre individuelle Reaktion ist das folgende Gedicht: "Als ich die Welle auf mich, auf uns, zukommen sah, wurde mir angst und bange. Ich geriet in Panik. Nun versuche ich, auf ihr zu schwimmen, unter ihr durch zu tauchen, über sie hinweg zu springen. Sie enthält Salz, das Salz vieler, auch meiner Tränen. Doch ich vertraue, Salzwasser trägt."

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