Bremen-Nord. Schon ein Anruf oder der Weg zur Bushaltestelle können unüberwindbare Hürden sein. Menschen mit psychischen Erkrankungen stehen oftmals vor Problemen, die sich nicht Betroffene kaum vorstellen können. "Selbst Ärzte, die das theoretische Wissen haben, können sich da nicht reinfühlen", sagt Frauke Hildebrandt-Schnibben. Die 61-Jährige arbeitet gemeinsam mit ihrem Kollegen Francis T. Luce als Genesungsbegleiterin in der unabhängigen Fürsprache- und Beschwerdestelle für psychiatrische Patienten und Angehörige in Vegesack. Was beide von Psychiatrie-Mitarbeitern wie Ärzten, Pflegekräften und Therapeuten unterscheidet, ist ihre Erfahrung: Beide waren früher selbst Patienten in der Psychiatrie.
Aus eigenen Erlebnissen wissen sie deshalb auch, dass Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen oder mit einer Suchterkrankung ihre Anliegen häufig nicht durchsetzen können. Aufgrund ihrer Gefühlslage oder infolge ihrer Medikation sind sie dazu zeitweise nicht in der Lage. Ein weiteres Problem, auf das Betroffene stoßen, sind Vorurteile. "Sie werden nicht ernst genommen oder man hat sogar Angst vor ihnen", erläutert Hildebrandt-Schnibben. In der Fürsprache- und Beschwerdestelle bekommen Betroffene Hilfe.
Fünfte Anlaufstelle in Bremen
Erst im Februar dieses Jahres hat die Anlaufstelle in der Lindenstraße 1 als fünfte in der Stadt Bremen eröffnet. Seither haben die beiden Fürsprecher in Bremen-Nord bereits rund 20 Patientinnen und Patienten begleitet und beraten. "Es lief gleich gut an", sagt Hildebrandt-Schnibben. Sie vermutet: "Das hat sicher damit zu tun, dass es die anderen Fürsprache-Stellen schon gab und das Angebot dadurch insgesamt schon bekannt war." Auch der Standort ist ein Vorteil, meint Luce. "Wir sind hier in Räumen, in denen auch andere Beratungen stattfinden. Für Menschen mit psychischen Erkrankungen ist der Weg von dort zu uns also nicht weit."
Während Frauke Hildebrandt-Schnibben ihre Qualifizierung zur Genesungsbegleiterin bereits abgeschlossen hat, befindet sich Francis T. Luce derzeit noch in der Fortbildung. Im März kommenden Jahres wird er sie abschließen. "Es hat sich alles etwas verzögert wegen der Corona-Pandemie", sagt der 51-Jährige. Das Angebot der Fürsprache- und Beschwerdestelle wird unter anderem über Flyer und Plakate bekannt gemacht. Institutionen, die in Bremen-Nord psychiatrische und suchtbezogene Hilfen anbieten, informieren darüber und auch auf der Internetseite www.psychnavi-bremen.de ist die Fürsprachestelle präsent. "Demnächst soll es auch eine eigene Homepage geben", sagt Luce.
Keine Rechtsberatungen
Die Themen, mit denen sich Hilfesuchende an die Fürsprecher wenden, sind ganz unterschiedlich. "Das beginnt bei der Begleitung zu Behörden oder Ärzten und reicht bis zum vermittelnden Gespräch mit einem gerichtlich bestellten Betreuer", nennt Hildebrandt-Schnibben Beispiele. Die Fürsprecher unterstützen beim Umgang mit Problemen, vermitteln bei Konflikten und setzen die Anliegen und Rechte mit den Ratsuchenden gemeinsam durch.
"Was wir nicht machen, sind Rechtsberatungen", betont Luce. Anders als in anderen Beratungsstellen, geht es den Genesungsbegleitern nicht alleine darum, Auskünfte weiterzugeben. "Wir gucken immer, dass die Informationen an den jeweiligen Menschen angepasst sind und dass derjenige auch etwas damit anfangen kann", erläutert Hildebrandt-Schnibben. Außerdem sei es wichtig, den Betroffenen nicht alles abzunehmen, sondern sie zu stärken, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
Verständnis für Ängste
Dabei spielt das Vertrauensverhältnis eine große Rolle. "Die Begegnungen finden immer auf Augenhöhe statt. Wir sortieren die Menschen nicht ein, bei uns geht es nicht um Diagnosen", sagt die 61-Jährige. Zudem unterliegen die Fürsprecher der Schweigepflicht. Weil beide gut nachvollziehen können, wie sich Psychiatrie-Patienten fühlen, haben sie Verständnis für Ängste, für bestimmte Verhaltensweisen. "Eine Besucherin hat mir am Telefon erzählt, dass sie Angst hat, alleine von der Bushaltestelle herzukommen. Da habe ich sie eben abgeholt", schildert Luce. Ein Problem, das an anderer Stelle vermutlich auf weniger Verständnis gestoßen wäre.
Auch in die Situation einer Ratsuchenden, der es peinlich war, dass sie Briefe nicht alleine öffnen kann, können sich beide Genesungshelfer einfühlen. Und sollte jemand zu einem vereinbarten Termin nicht erscheinen, ist das ebenfalls kein Thema. "Der- oder diejenige wird sich schon irgendwann melden und erzählen, warum es nicht ging", so Hildebrandt-Schnibben.
Gestartet wurde das Projekt mit einer auf drei Jahre terminierten Laufzeit. Die Genesungsbegleiter hoffen allerdings, dass es künftig dauerhaft über den Haushalt des Gesundheitsressorts finanziert und damit verstetigt wird. Derzeit sind sie guten Mutes, dass es so kommen könnte. "Ein Mitarbeiter vom Gesundheitsressort hat mir gesagt, dass es ganz gut aussieht", sagt Hildebrandt-Schnibben. Für die Betroffenen sei das Angebot extrem wichtig. "Sie brauchen diese niedrigschwellige und kostenlose Anlaufstelle."