"Sauna!" Das kommt dem Besucher der kleinen Aumunder Manufaktur als Erstes in den Sinn. "Sauna nach einem Aufguss!" Weil einem sofort feuchte Wärme entgegenschlägt, kaum, dass man im Raum steht. Und weil es nach Menthol duftet. Ganz so heiß wie in einer Schwitzhütte ist es zwar nicht, aber immerhin so mollig warm, dass Gerald Bruns unter seiner Arbeitsschürze am Oberkörper nicht mehr tragen kann als ein Achselhemd. Im großen Kochtopf, der vor ihm auf dem Gasflammenherd steht und in dem er hin und wieder den Kochlöffel kreisen lässt, brodelt eine bräunliche Masse aus Wasser, Zucker, etwas Salz und Glukosesirup. Später wird aus dieser Masse ein bretthartes Stück Süßigkeit.
Gerald Bruns produziert in seiner Manufaktur Bremer Babbeler. Jene traditionellen braunen Pfefferminzstangen zum Lutschen. Er macht das bereits in vierter Generation. Im Jahr 2012, erzählt der 72-Jährige rückblickend, übernahm er die Produktion vom Vater. Lange zuvor, im Jahr 1886, hatte sein Urgroßvater Albert Friedrich Bruns die Bremer Babbeler-Manufaktur gegründet. Der Urenkel macht auch heute noch fast alles per Hand. Es gibt dabei eine Aufgabe, die ihn nicht jubeln lässt: wenn er Hunderte Stangen in Pergamentpapier einwickeln muss. "Das ist eine Arbeit für einen, der Vadder und Mudder erschlagen hat", sagt Gerald Bruns stoisch, als sich vor ihm auf dem Tisch ein Berg aus Babbelern aufgetürmt hat. Sie müssen nun ins Papier. Nützt ja nichts.

Gerald Bruns produziert in Bremen-Aumund die "Echten Bremer Pfefferminz-Babbeler".
Das Einwickeln der Lutschstangen ist der letzte Arbeitsschritt in einer Reihe von Aufgaben, die den Manufakturbetreiber stundenlang beschäftigen. Oder vielleicht der vorletzte. Gerald Bruns liefert sein fertiges Produkt nämlich auch selbst an die Geschäfte aus, die den Bremer Babbeler im Sortiment haben: Einkaufsmärkte und Souvenierläden zwischen Worpswede, Grasberg und Oldenburg bis hin zum Kaufhaus "Made in Bremen" am Domshof. "Ich mach das gerne", sagt der Firmenchef. "Es macht mir Spaß, auch wegen der sozialen Kontakte."
Der erste Arbeitsschritt an diesem Produktionstag beginnt vor dem Herd. Im großen Kochtopf blubbert das Wasser-Zuckergemisch. Heißer Dampf steigt auf. Gerald Bruns taucht noch einmal den langen Stab, an dem er die Temperatur ablesen kann, in den Topf. 110 Grad sind es jetzt. "Genau richtig, um den Glukosesirup dazuzugeben", erklärt er und dreht die Gasflamme noch etwas auf. 150 Grad müssen es werden. 40 Minuten lang wird die bräunliche Brühe nun bei dieser Temperatur kochen. Ruhig und routiniert bereitet Gerald Bruns den nächsten Arbeitsschritt vor und tröpfelt etwas Öl auf den langen schweren Metalltisch, dessen Platte sich umdrehen lässt, damit er zwei Produktionsgängen dienen kann, und dessen Hohlraum mit eiskaltem Wasser gefüllt ist. Das Öl verhindert, dass die Masse, die er nun aus dem Topf direkt auf den Tisch gießt, im abgekühlten Zustand an der Platte haften bleibt.

Gerald Bruns gießt die heiße Babbeler-Masse auf den Kühltisch.
Kurz vorher hat Gerald Bruns noch zwei lange Schienen auf den Tisch gelegt, die das dampfende Gemisch in Form halten. Lange dauert es nicht, bis aus der Flüssigkeit eine zähe Schicht wird. Noch etwas Pfefferminzöl drüberträufeln und dann kann der Produzent mit dem Kneten beginnen. Wie bei einem Hefeteig schlägt Gerald Bruns die Enden übereinander, walkt alles durch, drückt die Masse platt, schlägt wieder die Enden übereinander und walkt und knetet. "Das muss ich machen, damit sich das Pfefferminzöl gleichmäßig verteilt", erklärt er und formt aus der zähen Zuckermasse 30 Zentimeter lange und 15 Zentimeter breite Stücke.
Der Kühltisch ist ein ebenso betagtes, aber immer noch gut funktionierendes Arbeitsgerät wie auch die 1924 erbaute Prägemaschine, die sein Großvater einst gekauft hatte. Sie erinnert an eine Rutschbahn mit Rillen, auf der sich nun die Zucker-Pfefferminz-Platten durch eine ratternde Walze schieben und auf die Länge von einem Meter anwachsen. Weil die Maschine nicht nur walzt, sondern auch prägt, liegt jetzt ein geriffeltes Stück vor Gerald Bruns, das die einzelnen Babbeler bereits gut erkennen lässt. Die Stangen lassen sich leicht abbrechen.

In diesem Produktionsstadium sind es noch Babbeler am Stück. Die einzelnen Stangen lassen sich leicht abbrechen.
400 Stück, schätzt der 72-Jährige, liegen nun in einem großen Haufen vor ihm. Er greift nach den feinen Pergamentplättchen, auf denen in roten Lettern "Der echte Bremer Pfefferminz-Babbeler" aufgedruckt ist. Jetzt beginnt das, was Bruns "eine Peinigung" nennt – die Wickelei. Die ihm allerdings so flink von der Hand geht, als sei sie schon in Fleisch und Blut übergegangen. Ruckizucki, kann man sagen, haben die Finger einen Pergamentstreifen nach dem anderen zu fassen, die Lutschstange für Lutschstange knisternd ummanteln. Noch schnell die überstehenden Papier-Enden zusammendrehen und nach dem nächsten Babbeler greifen. "Diese Handarbeit", blickt Gerald Bruns voraus, "soll sich bald ändern." Er möchte dafür eine Maschine anschaffen. Jetzt bietet die langwierige Wickelei aber erst einmal Gelegenheit für ein Gespräch. Zum Beispiel darüber, warum der Babbeler überhaupt Babbeler heißt.
"Mein Urgroßvater", beginnt Gerald Bruns zu erzählen, "war damals zu Fuß von Hannover nach Bremen unterwegs, um dort eine Bonbon-Fabrikation zu eröffnen." Auf seinem Weg sei Albert Friedrich Bruns mit einem Hamburger ins Gespräch gekommen, der ihm zu diesem Vorhaben riet. "Bei uns in Hamburg läuft sowas gut", soll der Mann gesagt haben. So sei die Geschichte zumindest in seiner Familie überliefert worden, berichtet Gerald Bruns. Und auch, dass sich die beiden Männer viel zu erzählen hatten. Deshalb habe sein Urgroßvater "das viele Babbeln" aufgegriffen und seine Zuckerstangen danach benannt.
Die Produktionsstätte hatte fortan wechselnde Bremer Adressen. Seit 1953 werden die Babbeler nun in Aumund hergestellt. "Zuerst im Wohnhaus, ab 1964 dann in der hinter dem Haus errichteten Werkstatt." Dort entstehen neben den Pfefferminz-Babbelern auch die Meister-Bonbons mit Anis-Fenchel-Geschmack. Oder Babbeler-Bonbons in Herzform. Für Gerald Bruns war es keine Frage, sich beruflich auch auf die "süße Schiene" zu begeben. Bevor er die Babbeler-Manufaktur von seinem Vater übernahm, hatte er als Betriebsleiter in der Süßwarenbranche gearbeitet. Wie lange ihn die Babbeler noch beschäftigen werden? "Das steht etwas in den Sternen", sagt er. "Aber das Karussell wird sich weiterdrehen. Das Produkt wird weiterbestehen." Für diesen Tag ist die erste Produktionsrunde geschafft. Der Manufaktur-Chef legt den letzten eingewickelten Babbeler beiseite und geht wieder an den Herd. Noch eine Runde am brodelten Kochtopf stehen, noch einmal eine zähe süße Masse kneten und durch die Walze schieben. Noch eine Runde Sauna mit Aufguss. Von der Wickelei ganz zu schweigen.