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Alltag im Frauenhaus in Bremen-Nord "Hier können die Frauen abtauchen"

Am "Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen" wird seit 1999 erinnert und gemahnt. Das Team im "Autonomen Frauenhaus Bremen Nord" arbeitet an diesem Tag wie immer. Wie sieht der Alltag aus?
24.11.2021, 16:00 Uhr
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Von Imke Molkewehrum

Ständig klingelt das Telefon. Parallel haben die Bewohnerinnen diverse Anliegen. Und das hat immer Priorität. Eine Mutter fragt gerade nach einem Buggy für ihr Kind. Es gibt aber nur einen. Sie muss sich anders behelfen. Die beiden Mitarbeiterinnen kommen kaum zu Atem. Ein normaler Tag im "Autonomen Frauenhaus Bremen-Nord".

Ist dies ein Indiz für die Sinnhaftigkeit des "Internationalen Tags zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen", bei dem Vereine, Einrichtungen und Gruppen am am Donnerstag, 25. November, gegen häusliche, politisch motivierte, psychische oder sexualisierte Gewalt mobilisieren? Die Sozialarbeiterin Susanne Eilers verneint. "Dieser Tag ist für mich nie wichtig gewesen, weil wir hier jeden Tag versuchen, die Gewalt gegen Frauen einzudämmen. Der Tag hilft uns nicht dabei. Das ist wie beim Muttertag. Man sollte seine Mutter jeden Tag gut behandeln." Im Frauenhaus herrsche auch am 25. November normale Routine. 

Hier läuft alles immer etwas anders als in der Innenstadt.
Sozialarbeiterin Susanne Eilers

Die Kriminalstatistik hat im Jahr 2019 allein in der Bundesrepublik 141.000 Opfer von Partnergewalt registriert hat. Fast die Hälfte der Betroffenen waren verheiratet und 81 Prozent weiblich. Im selben Jahr starben bundesweit 117 Frauen und 31 Männer in Folge von Körperverletzungen, Mord und Totschlag. Hinzu kommen Bedrohung, Stalking und sexuelle Übergriffe gegen ehemalige Partnerinnen und Partner. Daten zu den Pandemiejahren 2020 und 2021 liegen aktuell noch nicht vor, bundesweit seien aber tatsächlich mehr Anrufe bei den Beratungsstellen eingegangen. 

Das kann Susanne Eilers für Bremen-Nord nicht bestätigen. "Wir haben seit Corona nicht mehr Gewalt festgestellt und hatten auch nicht mehr Anrufe", sagt die 58-Jährige. Die Anfragen an das Frauenhaus kämen für gewöhnlich völlig unvorhersehbar und in Schüben. Es gebe aber auch komplett ruhige Tage. "Da denken wir manchmal, das Telefon ist kaputt." Kurzum: Ein Muster sei nicht erkennbar. Allerdings sei es aus unerfindlichen Gründen in den meisten Frauenhäusern von Januar bis Februar relativ ruhig. 

"Bremen-Nord ist ansonsten wie eine Insel. Hier läuft alles immer etwas anders als in der Innenstadt", erzählt Susanne Eilers. "Wir hatten hier beispielsweise eine Zeit lang keine einzige ausländische Frau, während in der Stadt fast ausschließlich afrikanische Frauen Zuflucht gesucht haben. Dann hatten wir phasenweise kein einzige weiße Frau. Und jetzt haben wir gerade alle Nationen." Die Frau mit der längsten Verweildauer sei drei Jahre geblieben. Sie habe ohne "langfristigen Aufenthaltstitel", der jeweils nur für sechs Monate ausgestellt wurde, keine Wohnung bekommen und daher ausnahmsweise so lange im Nordbremer Frauenhaus bleiben können. 

Beratungsstelle für Männer fehlt

"Zwangsprostitution ist tatsächlich unsere Kernkompetenz", sagt Susanne Eilers auf Nachfrage. "Damit haben wir so viel zu tun, weil die Frauen hier – fern vom Hauptbahnhof – abtauchen können." Schutz bekommen hier aber auch Zwangsprostituierte, die aus Bremerhaven übernommen werden. "Diese Frauen bleiben oft sehr lange, da sie sehr traumatisiert sind." Sie kämen aktuell vermehrt aus afrikanischen Staaten und seien nach ihrer Ankunft in Europa von Menschenhändlern abgegriffen worden. Zuvor hätten auch viele Frauen aus Bulgarien und Rumänien im Frauenhaus Zuflucht gefunden, aber die seien jetzt wieder weg. 

Unterstützt wird das "Autonome Frauenhaus Bremen-Nord"  durch den Verein „Frauen helfen Frauen in Bremen Nord". Haben die Mitarbeiterinnen manchmal das Gefühl, auch Männerhäuser könnten sinnvoll sein? "Ja, eigentlich müsste es die auch geben", sagt Susanne Eilers. "Ich habe hier tatsächlich schon Anrufe von Männern bekommen, die nicht wussten wohin sie sich sonst wenden können. Darunter waren auch Homosexuelle, die von ihren Partnern geschlagen worden sind."

Sollte ein solches Haus eröffnet werden, würde sie sich dort sofort bewerben, sagt Eilers. Kein Scherz? "Nein, Frauen sind oft kompliziert, Männer haben klarere Strukturen", meint die Sozialarbeiterin und ergänzt: "Zumindest eine Beratungsstelle für Männer sollte es auch in Bremen geben."

Zur Sache

"Notruf Bremen" initiiert neue Hilfsaktion Menschen, die sich belästigt fühlen

Die für Bremen konzipierte Aktion "Kennst du Mika?" wird aus Anlass des "Internationale Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen" am 25. November bekannt gemacht. Organisiert wird das Hilfsangebot von "Notruf Bremen", einer psychologischen Beratungsstelle bei sexueller Gewalt. In einigen  Städten gibt es die Aktion „Ist Luisa da?“, die sich nur an Frauen richtet. Die Aktion „Kennst du Mika?“ ist dagegen für alle Menschen.

Wer sich mit der Frage "kennst du Mika?" in Bremer Bars, Diskotheken oder Kneipen an das Personal wendet, signalisiert, dass er oder sie sich belästigt oder bedrängt fühlt und sollte im Idealfall sofort Unterstützung bekommen, also in einen sicheren Bereich gebracht werden. Bei Bedarf wird auch ein Taxi gerufen oder Begleitung organisiert.

Die kurze, symbolische Frage erspart längere Erklärungen. "Notruf Bremen" möchte damit einen Beitrag zur Prävention von sexualisierten Übergriffen und diskriminierendem Verhalten im öffentlich-sozialen Raum leisten. 

Info

Das steckt hinter dem Gedenktag am 25.November

Der 25. November wurde im Jahr 1999 durch die Vereinten Nationen zum internationalen jährlichen Gedenk- und Aktionstag deklariert. Der "Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen" - auch „Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen“ genannt - bezieht sich auf ein Verbrechen in der Dominikanischen Republik. Hier wurden am 25. November 1960 drei Regime-Gegnerinnen, die Schwestern Mirabal, auf Befehl des Diktators Trujillo verschleppt, vergewaltigt und ermordet. Weltweit finden daher an diesem Tag Aktionen zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt an Frauen statt. Thematisiert  werden dabei Zwangsprostitution, sexueller Missbrauch, Sextourismus, Vergewaltigung, Beschneidung von Frauen, häusliche Gewalt, Zwangsheirat, vorgeburtliche Geschlechtsselektion, weibliche Armut oder Femizid.

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