Dieser Sommer ist anders als die beiden vergangenen. Er ist feuchter – und feucht muss es sein, damit es zu elektrischen Entladungen in der Erdatmosphäre kommen kann. Zu Blitzen und Donner. So wie zuletzt am Wochenende. Stefan Botter sagt, dass die Zahl der Gewitter in Bremen in diesem Jahr höher ist. Der Nordbremer spricht von einem gefühlten Wert, weil er keine Statistik geführt hat. Dabei könnte er es. Botter gehört zu einem Netzwerk, das quasi Blitze sammelt.
An diesem Morgen zucken sie vor allem in Litauen und Belarus vom Himmel. Botter sitzt an seinem Esstisch und schaut zu, wo sie niedergehen. Auf einem Computermonitor leuchten Punkte auf, die zu immer größeren Kreisen werden, bis sie erlöschen. Erst sind es zwei, dann drei, schließlich vier auf einmal. Eine Anzeige links oben in der Bildschirmecke zählt mit: 5673. Es sind die Blitze der vergangenen 60 Minuten weltweit. Und Botter hat geholfen, einige zu lokalisieren.
Studierter Physiker und IT-Administrator
Genauso wie das Gewitter am Sonntag, das gegen Nachmittag erst über die Wesermarsch, dann über Bremen-Nord und schließlich über die Innenstadt zog. Der studierte Physiker und praktizierende IT-Administrator ruft am Rechner eine Karte vom Norden Deutschlands auf, inklusive der zurückliegenden Entladungen. Er zeigt auf lauter rote und gelbe Pixelformationen auf dem Monitor, die von links unten nach rechts oben verlaufen: alles Gewitterzellen.
Im vergangenen Jahr und im Jahr davor hat Botter sie über der Stadt und dem Umland seltener ausgemacht als jetzt. Er sagt, dass die Sommer in der Region zuletzt genau das Gegenteil von dem waren, was dieser ist: eben zu trocken – nicht nur für Pflanzen und Landwirte, sondern auch für Gewitter. Keine Feuchtigkeit, die aufsteigen und mit überschneidenden Luftströmungen und kälteren Schichten in Tausend und mehr Metern Höhe zusammentreffen kann, kein Blitz und Donner.

Stefan Botter erfasst Daten zur Gewitterortung.
Gewittert hat es im Vorjahr andernorts wesentlich mehr. Vor allem im bayerischen Kempten, wo mit 2,4 Entladungen pro Quadratkilometer die höchste Blitzdichte registriert wurde. Nicht von Botter und dem Netzwerk, das er mit seinen gesammelten Daten unterstützt, sondern von Siemens. Auch der Konzern hat einen Informationsdienst für Gewitter. Allerdings keinen, bei dem so viele Freiwillige mitmachen wie bei dem Projekt, an dem sich der 51-Jährige beteiligt.
Es kommt auf 150 Antennenstandorte in Deutschland. Darunter ist eine Station in Farge und eine in Schönebeck. Botter weiß das, weil beide Anlagen im Netz zu sehen sind. Und weil er den Farger Betreiber kennt und der Schönebecker selbst ist. Vor Jahren hat er angefangen, Datenleitungen im Haus zu verlegen und Antennen zu installieren. Er sagt, dass bei ihm zweierlei zusammenkommt: Als Physiker ist er an Naturphänomenen interessiert und als IT-Fachmann an Technik.
Die Antennen ähneln denen von Transistorradios. Nur dass sie auf besondere Weise angeordnet sind – nämlich im rechten Winkel – und ihre Empfangsanlage vor allem auf die Frequenz zwischen zehn bis zwölf Kilohertz eingestellt ist – der Blitzfrequenz. Und so ausgerichtet sind, dass sie elektrische Entladungen über Ländergrenzen hinweg empfangen können. Botters alte Antennentechnik schaffte eine Distanz von bis zu 3000 Kilometern. Seine neue kommt auf das Doppelte.
Leistung ist trotzdem nicht alles. Um einen Blitz zu orten, braucht es mehr als eine Station. Botter sagt, dass die Impulse, die sein Rechner ans Netzwerk übermittelt, mit anderen Impulsen von anderen Anlagen verglichen werden. So kann sichergestellt werden, dass es sich bei ihnen wirklich um elektrische Entladungen in der Atmosphäre und nicht um irgendwelche Störungen handelt. Und um so genau wie möglich berechnen zu können, wo sie niedergegangen sind.
Botter findet es wichtig, dass Daten zu Blitzen gesammelt werden. Er glaubt, dass sie helfen können, die Rechenmodelle der Meteorologen besser zu machen, damit Prognosen in Zukunft noch genauer werden. Und Vorhersagen könnten ihm zufolge wegen des Klimawandels an Bedeutung gewinnen. Steigen die Temperaturen, meint er, sind auch mehr Gewitter möglich. Und je höher die Temperaturen, desto heftiger können sie ausfallen.