Beim Lesefächer spreizen sich einzelne Buchstaben. Doch in welche Reihenfolge müssen sie gebracht werden, damit sich das Wort „Blume“ ergibt? Von der Zusammensetzung eines Worts bis zu ganzen Geschichten reicht das Spektrum, das Antje Hohmann den Drittklässlern an der Grundschule Hammersbeck als Lesehelferin anbietet. Sie kommt einmal wöchentlich in die Schule, nimmt einzelne Kinder aus dem Deutschunterricht heraus und macht in einem separaten Raum mit ihnen Übungen, die auf den individuellen Förderbedarf der Kinder eingehen. „Denn das Lernniveau ist auch innerhalb einer Klasse höchst unterschiedlich“, sagt Antje Hohmann.
Seit dem Jahre 2005 sind Lesehelfer an zahlreichen Schulen auch in Bremen-Nord aktiv. Bei diesem Projekt der Freiwilligen-Agentur Bremen gehen Lesehelfer für mehrere Stunden in der Woche in Grundschulen, um Kinder beim Lesen zu unterstützen.
Antje Hohmann, die vorher bei Mercedes in Bremen gearbeitet hat, ist selber lesewütig, wie sie sagt, und hat bei der Freiwilligen-Agentur einen Vorbereitungskurs gemacht, bevor sie als Lesehelferin an der Grundschule einstieg. „Dabei erfährt man vor allem, wie die Abläufe an den Schulen heutzutage sind“, sagt sie, „und das war für mich wichtig, weil meine eigene Schulzeit ja schon lange zurückliegt.“ Sie findet diese Art der ehrenamtlichen Arbeit sinnvoll und wichtig: „Denn das Lesen öffnet den Kindern Wissenswelten“, sagt Antje Hohmann, „und es soll ihnen vor allem Spaß machen, doch für kleinere Kinder ist es eben auch sehr anstrengend.“ Deshalb schaltet sie bei ihrer individuellen Betreuung auch immer wieder Pausen ein: Beliebt ist zum Beispiel ein Spiel an der Tafel, bei dem nur die Zahl der Buchstaben vorgegeben wird und die Kinder das Wort erraten müssen. Mit Hilfe einer Abbildung mit vielen Tieren findet Jeremy, zehn Jahre alt, schnell heraus, dass zwei E, ein N und ein T sich zum Wort „Ente“ zusammenfügen. Eine Erholungspause bietet auch das Betrachten von zwei Bildern, die nur auf den ersten Blick gleich aussehen: Denn im zweiten Bild sind zehn Fehler untergebracht, die erstmal entdeckt werden müssen – genaues Hingucken und Vergleichen sind angesagt, bevor Nina, neun Jahre alt, wieder in die Welt der Buchstaben eintaucht.
Flüssig lesen, den Textzusammenhang verstehen und über ihn nachdenken – diese Fähigkeiten machen Lesekompetenz aus, die eine wichtige Basis für Wissenserwerb, aber auch für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bildet, so das Landesinstitut für Schule (LIS) in Bremen. In literarischen Texten lernen Kinder fremde Welten kennen, die Erfahrungen anderer Menschen nachzuvollziehen, und sie nehmen verschiedene Perspektiven ein, mit denen Probleme und Konflikte betrachtet werden können. In Sachtexten geht es hingegen meist um Informationen, die auch komplexe Zusammenhänge vermitteln. Ob Fiktion oder nicht, Lesen eröffnet neue Welten: Innere Vorstellungsbilder entstehen,und die Kinder werden zu gedanklichen Spielen angeregt. Besonders motivierend ist das Lesen, wenn Kinder sich über die Inhalte austauschen und dabei ganz unterschiedliche Interpretationen kennenlernen.
Große Fortschritte durch Einzelbetreuung
„Alle Schülerinnen und Schüler kommen bei meiner Lesehilfe mal dran, doch die Lerninhalten sind je nach Kind unterschiedlich“, sagt Lesehelferin Antje Hohmann, „einige Kinder haben auch in der dritten Klasse noch Probleme, Buchstaben zu lesen, andere hingegen lesen auch längere Texte, die sie zum ersten Mal vor sich haben, schon flüssig vor.“ Bei einfachen Übungen werden an einer Drehscheibe immer nur einzelne Buchstaben variiert, so dass sich Wörter wie „Teil“ oder „Seil“ ergeben, bei schwierigen Übungen liest das Kind einen unbekannten Text mit vielen langen Sätzen vor. Liam, neun Jahre alt, gelingt das, ohne einmal zu stocken, doch er ist auch eine richtige Leseratte, wie er sagt, der besonders Tierbücher liest, am liebsten über Dinosaurier und Haie. Jeremy und Nina dagegen begeistern sich für Harry Potter und lesen auch zuhause viel.
Beim Lesetraining eignen sich die Kinder nicht nur Schritt für Schritt die Sprache an, sondern zugleich auch viel Wissen: zum Beispiel, dass ein Hund eigene Merkmale, wie Schnauze oder Pfoten, hat, die ihn von anderen Tieren unterscheiden. Jeremy lernt es, indem er die Wörter an einem Bild vom Hund richtig platziert. Und wenn Nina die Geschichte vom kleinen Siebenschläfer vorliest, der in die Schule kommt, lernt sie zugleich viele Tiere wie Fledermäuse oder Spatzen kennen, denn sie sind die neuen Klassenkameraden des Siebenschläfers.
„Im Normalunterricht ist es nur eingeschränkt möglich, auf die individuellen Stärken und Schwachen der Kinder einzugehen“, sagt Antje Hohmann, „deshalb ist die Einzelbetreuung durch Lesehelfer so wichtig. Einige Kinder haben innerhalb von nur drei Monaten enorme Fortschritte beim Lesen gemacht.“