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Musikfest Bremen Gewöhnungsbedüftig, aber virtuos

Das Musikfest Bremen brachte einen für das Publikum gewöhnungsbedürftigen Konzertabend nach Vegesack. Doch der Mehrheit der Zuhörer zauberten die drei Musikerinnen ein Lächeln ins Gesicht.
16.09.2021, 14:09 Uhr
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Von Gerd Klingeberg

Vegesack. An Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2 d-Moll für Solovioline dürfte sich auch schon so mancher fortgeschrittene Geigenschüler gewagt haben, vor allem an den technisch nicht übermäßig schwierigen 1. Satz. Doch damit das Spiel einer einzelnen Violine zum Hörgenuss wird, braucht es neben einer sehr präzisen Intonation auch ein hohes Maß an interpretatorischer Kompetenz. Qualitäten also, mit denen indes die niederländische Geigerin Diamanda La Berge Dramm in jeder Hinsicht überzeugen konnte. Als Deutschlandfunk-Förderpreisträgerin 2019 präsentierte sie das Werk in einem Konzert, das im Rahmen des Musikfests Bremen im Saal des Gustav-Heinemann-Bürgerhauses zu hören war.

Melodiös und leichtbogig ging sie die Allemande an; der 2. Satz Courante kam etwas bewegter, aber dennoch unaufgeregt. Zumeist in sich versunken und mit geschlossenen Augen agierte die Violinistin mit lockerem Strich. Ihr Spiel wirkte dabei spontan, geradezu wie aus dem Moment geboren. Ernster, fragender und mit einem Hauch von Melancholie versehen, zeichnete sie die gedeckteren Klangfarben der Sarabande, während die Gigue als weiterer Tanz heiter und zunehmend drängender anmutete. Abwechslungsreich geriet der Vortrag zudem durch den Verzicht auf die eigentlich vorgesehenen Wiederholungen innerhalb der Einzelsätze.

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Schließlich die gewaltige Chaconne, die, mit spieltechnischen Höchstschwierigkeiten gespickt, eine enorme Herausforderung für jeden Ausführenden darstellt. Im Konzert hatte man sich für eine ganz besondere Version entschieden. Basierend auf der Annahme der Musikwissenschaftlerin Helga Thoene, dass Bach mit dieser Komposition seiner kurz zuvor überraschend verstorbenen Ehefrau Barbara ein musikalisches Grabmal gesetzt habe, wurde die Chaconne in der Besetzung mit Violine und zwei Singstimmen vorgestellt. Kraftvoll breit, ohne dadurch den tänzerischen Impuls zu vernachlässigen, leitete die Instrumentalstimme ein. Sie mutierte allmählich zu sprachähnlichem Ausdruck, bis sich plötzlich die Singstimmen von Sopranistin Katinka Fogh Vindelev und Mezzosopranistin Michelle O‘Rourke organisch in das sorgfältig erstellte violinistische Klangkontinuum einklinkten: mal in fugenähnlichen Kanonsequenzen, dann im harmonischen Gleichklang, mit kurzen Zitaten aus bekannten Kirchenliedern. Durch die gesangliche Betonung wurden in der Komposition der Chaconne verborgene Melodiefolgen erkennbar, etwa „Vom Himmel hoch“, ein zartes „Wie soll ich dich empfangen“ oder ein bekennendes „Dein Will‘ gescheh‘, Herr Gott zugleich“. So emotional und packend hat man das berühmte Opus bislang nur selten wahrgenommen.

Der Übergang zu Werken des 1992 verstorbenen Komponisten John Cage, der als einer der weltweit bedeutendsten Vertreter der Neuen Musik gilt, war keineswegs so krass wie erwartet. Im Gegenteil. „Cheap Imitation I“ für Violine wirkte wie ein vorsichtiges, ganz intimes Ausprobieren kleiner Melodiethemen in ätherisch zarter Tongebung, so verhalten , dass sich niemand im Auditorium traute, die Faszination der Stille nach finalen Flageolett durch Applaus zu unterbrechen. Und noch eine Spur dezenter, mit doppeltem Dämpfer an der Geige, ließ La Berge Dramm Teil 2 folgen in kaum noch hörbarer Ausführung, so dass jedes noch so leise Nebengeräusch im Saal als Störung empfunden wurde. „Experience No. 2“ entpuppte sich als zweistimmiges ausdrucksvolles Poem. Bei „A Flower“ wurden die weitestgehend schnörkellos gesungenen Vokale von komplexen, mit den Fingern auf dem Geigenkorpus geklopften Rhythmen begleitet. Letzteres geschah auch bei dem minimalistisch aus lediglich drei Tönen zusammengesetzten Lied „Wonderful Widow of Eighteen Springs“, dessen kunstvolle, sorgfältig auf den romantischen James Joyce-Text abgestimmte gesangliche Akzentuierung durch Michelle O’Rourke begeisterte.

Gewiss ein bisschen gewöhnungsbedürftig war sie, diese Neue Musik. Mancher Zuhörer schien am Schluss leicht irritiert den Kopf zu schütteln, aber die überwiegende Mehrheit hatte doch eher ein Lächeln im Gesicht.

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