80 Lesungen an 15 Stationen: Am Sonnabend, 10. August, steht der Vegesacker Stadtgarten ab 14 Uhr ganz im Zeichen der Literatur. Besucher werden kaum alle Veranstaltungen schaffen. Also haben sie die Qual der Wahl. Gedichte, Krimis oder plattdeutsche Texte werden vorgetragen. Die Slammerin Insa Kohler beteiligt sich erstmals an der Leserpromenade.
Vegesack. Insa Kohler – in Oldenburg geboren, in Bremen aufgewachsen und 26 Jahre alt – war früher freie Journalistin. Wie’s scheint ein Traumjob, denn "bei der Berufsbezeichnung freie Autorin oder freie Journalistin stelle ich mir immer vor", sagt sie, "dass die Käfighaltung die einzige Alternative ist: Massenjournalistenhaltung, Autorenbodenhaltung, hier gefällt mir Freilandhaltung bisher am besten".
Zu dieser Freilandhaltung gehören für Kohler auch das Studium der angewandten Literaturwissenschaft in Berlin an der Freien Universität und der Poetry Slam. Und im Mix von beidem macht sie dabei vor allem eine Erfahrung: "Im Vorlesungsverzeichnis sah das alles ganz anders aus."
Und so erzählt sie vom Studentenalltag, vom Leben in der Großstadt überhaupt. Sie muss es erzählen, weil "die Stimmen im meinem Kopf sonst nicht die Klappe halten". Ein Beispiel: "Wir sind unbeschwert wie ein Stapel Papier im Wind. Leeres Papier, aus dem man so viel machen könnte. Zum Beispiel Schiffchen falten und durch die Welt segeln. Eva hat ihre Masterarbeit drauf geschrieben. Ich biete ihr an, die Seiten zu verbrennen, aber sie lehnt ab."
Es geht in diesem Text um eine ihrer Freundinnen, die ihre Masterarbeit fast fertig hat und sich mit dem Ernst des Lebens anfreundet. Der wird im Text personifiziert und steht auch ein bisschen für die Angst, nicht zu wissen, was man nach dem Studium machen soll. Vor allem, wenn man Geisteswissenschaft studiert hat.
"An dieser Stelle", sagt Insa, "erwähne ich so ein bisschen das Gefühl der Freiheit und Unbeschwertheit, das man während des Studiums hat und das der Ernst einem eventuell wegnehmen wird". Es sei, betont sie, zur Zeit ihr Lieblingstext. Und sie wird ihn auch auf der Leserpromenade lesen.
Er lautet: "Als Studenten sind wir Kinder ohne Bettzeiten. Niemand zwingt uns zum Kohlrabi essen oder kontrolliert, ob wir regelmäßig unsere Zähne putzen. Wir müssen nicht mehr heimlich fernsehen. Silvester ist nicht der einzige Tag im Jahr, an dem wir bis Mitternacht aufbleiben. Wir machen weiter, wenn es am schönsten ist."
Insa Kohler ist bei der Leserpromenade ein Neuling – in der Slammer-Szene dagegen kein unbeschriebenes Blatt mehr. Sie schreibt schon seit der Grundschule Geschichten, die teilweise preisgekrönt wurden.
Seit gut drei Jahren liest sie auf verschiedenen Bühnen. Sie gewann zum Beispiel beim "Slammer Filet" im Bremer "Tower" immerhin eine kleine Dose Sardinen. Im Herbst 2012 nahm sie dann aber als Kandidatin für den Fernsehsender ARTE an den nationalen Poetry-Slam-Meisterschaften teil. In Berlin tritt sie zudem in der regionalen Szene auf. Und gewinnt auch hin und wieder. "Meistens Schnaps."
Beobachtungen in der U-Bahn
Veröffentlicht hat sie unter anderem auch schon in der Anthologie "Lost in Gentrification", erschienen im Satyr Verlag. Der Text im Wortlaut: "Freunde wohnen in einer WG. Zwischen Bier- und Umzugskästen. Aufgeräumt wird nur dann, wenn man eigentlich eine Hausarbeit schreiben muss. Man kann Cornflakes auch mit Gabeln essen. Wir haben noch genug Fantasie. Wenn ich Menschen in Schlafsäcken sehe, denke ich immer noch: du fette Raupe."
Wie kommt sie auf ihre Geschichten, wie und wo fallen sie ihr ein? "Die kommen, während ich in der Uni bin. In Seminaren. Wenn ich nicht so gefordert bin, wie ich es hätte sein sollen".
Geschichten fallen ihr auch in der U-Bahn ein: "Denn da gibt es so viele absurde Typen." Die wecken vor allem Kohlers Interesse am gesprochenen Wort, ihr Interesse an der Sprache überhaupt. Ein Beispiel: "Wir sind die Versuchskaninchen unserer eigenen Zukunftspläne. Und Schnapsideen. Sind alt genug, um es eigentlich besser zu wissen, aber noch jung genug, um drauf zu sch.... Wenn man nur Flausen im Kopf hat, liegen die Gedanken viel bequemer."
Insa Kohler ist am Sonnabend, 10. August, gegen 15.30 Uhr im Fährhaus zu hören. Weitere Informationen über die Veranstaltungen der Leserpromenade gibt es im Internet unter der Adresse www.stadtbibliothek-bremen.de.