Jetzt im Herbst ist Spinnenzeit. Wissen Sie anhand des Aufbaus des Netzes immer genau, wer da die Fäden zieht?
Traute Fliedner: Bei vielen Spinnen, weil alle Netze der verschiedenen Arten und die Standorte der Netze unterschiedlich sind. Das kann ich auch gut vor Ort zeigen.
Henrich Klugkist: Die einzige Spinne, die über ihr Netz artgenau sofort bestimmbar ist, ist die Wespenspinne, da sie in ihrem Radnetz senkrecht ein Zickzack-Band einwebt. Ansonsten sind die Spinnen anhand ihrer Netze nur in Gruppen, systematisch etwa auf der Stufe der Familie, einzuteilen wie Radnetzspinnen, Baldachinspinnen, Trichterspinnen et cetera.
Herr Klugkist, Sie bieten regelmäßig insektenkundliche Führungen auf dem Areal der Ökologiestation und auf dem Eispohlgelände an. Inwieweit spielen Spinnen da eine Rolle?
Klugkist: Spinnen sind keine Insekten, aber wie diese Gliederfüßer, stehen ihnen also systematisch nahe. Und bei den Exkursionen gehe ich auf alles ein, was zu finden ist. Je nach Art intensiver oder eher allgemein.
Frau Fliedner, ich weiß aus einem Ihrer Vorträge in der Ökologiestation in Schönebeck, dass Spinnen ihre Kinder mit einem „Spielnetz“ beschützen. Was hat es damit auf sich?
Fliedner: Die Gruppe der Jagdspinnen baut keine Netze, um ihre Beute zu fangen, sondern jagt diese am Boden und in der Vegetation. Jagdspinnen tragen große auffällige Ei-Kokons in ihren vorderen Cheliceren, den Kieferklauen. Die Jagdspinnen bauen, wenn ihre Jungen aus dem Kokon schlüpfen, ein Netz in niedriger Vegetation, wo die kleinen Spinnen ein „Spielnetz“ bewohnen. Sie fressen von den Abfällen der Mahlzeiten der Muttertiere. Den Wolfsspinnen klettern die Jungen auf den Rücken des Weibchens und werden herum getragen und auch ernährt. Bei den Kugelspinnen ist eine Mund-zu-Mund-Fütterung beobachtet worden. Wenn das Weibchen schließlich stirbt, fressen die Jungen auch die Mutter auf.
Es heißt, Spinnen seien noch immer wenig erforscht...
Fliedner: Das stimmt heute nicht mehr. Es gibt sehr viele neue Forschungsarbeiten, auch zu den inneren Organen, den Spinndrüsen, und der chemischen Zusammensetzung der verschiedenen Gifte ist sehr viel untersucht worden. Es gibt viele neuste, umfangreiche wissenschaftliche Bücher.
Klugkist: Es gibt sehr viele Spinnenarten und nur noch sehr wenige naturkundlich arbeitende Forschungseinrichtungen. Allerdings gibt es recht viele Fachleute, die Spinnen erkennen und im Freiland erforschen und allein in Deutschland zwei Fachgesellschaften für Arachnologie, der Spinnenkunde.
Wie intelligent sind Spinnen? Besonders Springspinnen haben den Ruf, kommunikativ zu sein.
Fliedner: Sie sind sicher gut im Raum orientiert, sie besetzen freie Reviere, halten sich aber von Artgenossen im richtigen Abstand. Natürlich müssen sie bei der Paarung kommunizieren. Dafür gibt es eine Menge „Regeln“, die sie einhalten. Sonst läuft besonders das Männchen Gefahr, dass es vor der Samenübergabe gefressen werden könnte. Mit Springspinnen kann ich „kommunizieren“, weil sie sofort „merken“, wenn ich in ihr Gesichtsfeld komme, zum Beispiel mit dem Finger. Wenn ich den Finger dann ein wenig hin und her bewege, verfolgen sie den Finger eine Zeit lang. Man kann dies Verhalten gut beobachten: Die Springspinnen haben sehr große Vorderaugen und bewegen den Kopf in Richtung ihrer vermeintlichen Beute.
Welche Arten sind hier heimisch und wie harmlos sind diese?
Fliedner: Spinnen können nicht harmlos sein. Sie fangen ihre Beute mit Gift, um sie zu betäuben. Gleichzeitig löst das Gift die Tiere innerlich auf und die Spinne kann, wie mit einem Strohhalm die Tiere von innen aussaugen – daher die Hüllen in den Spinnennetzen.
Klugkist: In Deutschland sind bisher fast 1000 Spinnenarten nachgewiesen, in Norddeutschland Zweidrittel davon. 675 Arten nach der Gesamtartenliste Niedersachsen/Bremen von 2004. Mit Ausnahme der Wasserspinne sind alle für den Menschen harmlos, da ihre Klauen – mit Giftdrüsen – nicht die menschliche Haut durchdringen können. Nur die Wasserspinne kann das.
Im Zuge der Klimaveränderungen sind auch neue Arten wie die auffällig gestreifte Wespen- oder Zebraspinne auf dem Gelände der Ökostation Schönebeck gefunden worden. Welche „Einwanderer“ kennen Sie noch?
Klugkist: Es gibt immer wieder Funde von eingeschleppten „exotischen“ Arten, die auch giftig sein können wie zum Beispiel Vogelspinnen in Bananenkisten. Durch den Klimawandel ist zu erwarten, dass weitere südeuropäische Arten nach Norden vorankommen. Außer der Wespenspinne ist mir aber nichts weiter darüber bekannt.
Haben Sie nie Angst vor den Krabbeltieren gehabt?
Fliedner: Ich glaube nicht. Schon als Kind hatte ich Spinnen an meinem Bett. Ich habe auch zwei zusammengesperrt und nachts beobachtet.
Klugkist: Mich haben Krabbeltiere schon als Kind interessiert, Ängste hatte ich davor nie.
Haben Sie Tipps für Menschen, die es als unangenehm finden, wenn eine Spinne an ihnen vorbeihuscht?
Fliedner: Manchmal kommen Besucher und Besucherinnen zu den Führungen und geben zu, eine Arachnophobie zu haben und versprechen sich von dieser Begegnung mit den Tieren erste Fortschritte für ein weniger ängstliches Verhalten.
Klugkist: Sich ruhig verhalten und nicht in Panik ausbrechen. Bei Spinnen im Haus jemanden bitten, sie zu fangen und nach draußen zu bringen. Eine ausgewachsene Arachnophobie ist gegebenenfalls ein Fall für eine Therapie.
Wie weit geht Ihre Liebe zu Spinnen und Käfern? Lassen Sie sie bei sich im Haus wohnen?
Fliedner: Ja, allerdings ist seit vielen Jahren auch eine Spinne bei mir heimisch. Erst jetzt habe ich gelernt, dass diese Spinne leider alle anderen Spinnen in unserem Haus verputzt, sodass die anderen so dezimiert sind, dass es mir aufgefallen ist. Ich fragte einen guten Schweizer Bekannten und er schrieb nur „ja, die Zitterspinne…“ Daraus konnte ich mir einen Reim machen. Seitdem verschwindet diese Spinnart bei mir.
Klugkist: Wenn es im Haus zu viele werden, werfe ich auch mal eine Spinne nach draußen. Außerdem solche, die von draußen ins Haus gekommen sind und lieber draußen leben.
Das Interview führte Patricia Brandt.