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Fluchtpunkte: Teil 4 der Serie Käse-Küche im Hof

Im Containerdorf in Grohn, einer Flüchtlingsunterkunft, treffen sich regelmäßig Frauen, um Lebensmittel wie in ihrer Heimat Syrien herzustellen.
06.07.2018, 16:21 Uhr
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Käse-Küche im Hof
Von Patricia Brandt

Das Gesicht der hochgewachsenen Syrerin ist angespannt. Hayat Omayrat wuchtet einen 20 Liter-Kanister mit geronnener Milch hoch. Sie muss ihn einige Minuten lang in gebückter Stellung halten, damit die Milch aus dem Kanister in einen bereitgestellten Eimer fließen kann. Zwei weitere Frauen hocken zu Hayat Omayrats Füßen und spannen ein Stück Vorhangstoff über den Eimer. Sie ziehen das Tuch über dem Eimer immer wieder stramm, um die großen Stücke aufzufangen. Rund 4000 Kilometer von ihrer Heimat entfernt machen drei Frauen im Containerdorf an der Steingutstraße alle paar Monate Käse. So würzig und saftig, wie sie ihn vor Jahren in ihrem Heimatland Syrien auf Brot oder mit Tomate und Gurke gegessen haben.

Sonnenlicht flutet durch die offene Tür des Containers ins Zimmer. Der Duft von ­Kümmel hängt in der Luft. Eine Schale mit ­gewürztem Käse steht auf einem der Tische, die in den Raum geschoben worden sind. Ein Rest der letzten Käseherstellung. Auf den ­anderen ­Tischen stehen Nähmaschinen, an den Wänden befinden sich Regale mit bunten Stoffen. Normalerweise gibt Ranka Paric, eine Schneidermeisterin mit kräftigen Armen und freundlichen, braunen Augen, in diesem Container vormittags im Auftrag des Arbeiter-­Samariter-Bundes (ASB) Nähkurse für Geflüchtete.

Das Rezept stammt aus Syrien

Eine mittelgroße Frau mit langen, glänzenden Haaren zeigt auf sich. Das Rezept für den Käse stammt von ihr. „Es ist das Rezept meiner Oma. Wir machen den Käse genauso, wie sie ihn gemacht hat“, erzählt die Frau, die sich später als Fatima Hussein vorstellt, vierfache Mutter aus einem Dorf im Süden Syriens. Das Dorf, das sie nennt, ist so klein, dass offenbar nicht einmal Google es kennt. Es sei ein Landstrich, in dem sich alle Familien selbst versorgten. Fatima Hussein macht eine verneinende Handbewegung: „Es gibt keinen Aldi.“

Es ist sehr warm im Container. Obwohl die Tür sperrangelweit aufsteht. Ranka Parics Wangen sind von der Fahrt durch die Nachmittagshitze noch gerötet. Sie hatte die Frauen aus Grohn in ihrem Auto abgeholt und zu einem Bauern in das rund 15 Kilometer entfernte Osterholz-Scharmbeck gebracht. Zusammen kauften sie bei dem Bauern 60 Liter Kuhmilch. Die Milch sei dort ein paar Cent billiger und vor allem noch warm. „Die Milch muss warm sein, um Käse zu machen“, sagt Ranka Paric.

Die Nähkurse finanziert der ASB, die Käseherstellung ist Ranka Parics freiwilliger Beitrag zum Zusammenleben im blauen Dorf. „Ich weiß, was es bedeutet, fremd zu sein.“ Sie war 1991 aus dem ehemaligen Jugoslawien geflüchtet. Inzwischen betreibt die gebürtige Bosnierin eine eigene Schneiderei in St. Magnus. „Deutschland ist meine zweite Heimat geworden.“

Ranka Paric deutet auf ein dunkelbraunes Fläschchen neben der Schale mit dem Käse. „Süper Maja“ steht darauf in roter Schrift. Darunter ist eine braune Kuh mit weißen Tupfen abgebildet. „Das ist ein Lab zur Käseherstellung. Ich habe es im türkischen Supermarkt gekauft“, erklärt Ranka Paric. Eine verschleierte Frau tritt an den Tisch und hält zehn Finger hoch. Ohne Zeichensprache geht es nicht. Die Frau heißt Narmi Brahim und sie will zeigen, wie viel Flüssigkeit aus der kleinen Flasche in die Milch muss, damit die Milch gerinnt, ohne sauer zu werden. Narmi Brahim schraubt die Kappe ab und malt mit dem Zeigefinger einen Strich an den Schraubverschluss: „Eine halbe Kappe auf zehn Liter“, übersetzt Ranka Paric. Sie spricht zwar kein arabisch, aber mittlerweile verstehe sie sich mit den Frauen trotzdem sehr gut. „Die lernen jetzt ja auch alle Deutsch.“

Käseherstellung braucht Zeit. Ranka Paric erhebt sich, geht hinüber zur eingebauten Küchenzeile im hinteren Teil des Containers und wirft einen Blick in die Spüle. Dort steht ein Eimer mit der Milch, in die sie „Süper Maja“ gekippt hat. Zwei bis drei Stunden muss die präparierte Milch ruhen. Dann kann der feste Käse von der Rest-Flüssigkeit getrennt werden. Die Kursleiterin nimmt zwei weiße, durchsichtige Stücke Stoff vom Stapel: „Diese Tücher haben wir selbst aus Gardinenstoff gemacht.“ Fatima Hussein greift derweil nach einem geblümten Stück Stoff. Sie will in der Wartezeit ein Kleid für ihre Tochter fertig nähen, das sie in der letzten Kursstunde angefangen hat.

Von draußen dringt Kinderlachen in den Container. Fatima Hussein ist schon vor zwei Monaten aus dem Übergangswohnheim ausgezogen, aber sie kommt noch zweimal die Woche zum Nähen. Sie lebe jetzt in Aumund, sagt sie. „In Aumund leben viele Familien aus Syrien.“ Deutsche habe sie bisher leider kaum kennengelernt, sagt sie. „Nur meine Nach­barin.“ Ranka Paric hebt den grauen Eimer in der Spüle ein paar Zentimeter an. Dabei löst sich die weiße Masse vom Rand des Eimers. Die Milch ist fest geworden. Die Masse sieht aus wie Quark. Die Frauen stehen auf und schlendern in der Abendsonne durchs Containerdorf. Auf dem Spielplatz spielen Kinder, ein Mann von der Security sitzt in seinem Container. Durchs Fenster ist zu sehen, wie er grüßend die Hand hebt.

Tücher dienen als Sieb

Vor Omayrat Hayats Haustür stehen weitere Kanister voll geronnener Milch. Abwechselnd schütten die Frauen die Masse durch die selbstgenähten Tücher in Eimer, um die Flüssigkeit abzuseihen. Die Prozedur geht schweigend vor sich. Die Frauen schauen sich an, wenn eine von ihnen den Platz mit der anderen tauscht. Gerade hievt Ranka Paric einen Kanister hoch, die anderen beiden ziehen das Tuch stramm. Als Ranka Paric den Kanister ankippt, fallen Brocken geronnener Milch in das Tuch. Geschickt binden die beiden Frauen die Enden des Tuchs zusammen.

Irgendwo klingelt ein Handy. Am Geländer des oberen Stockwerks taucht eine verschleierte alte Frau auf. Sie sieht hinunter und lächelt. Dabei entblößt sie einen fast zahnlosen Mund. „Das ist Oma“, sagt jemand. So leise wie sie gekommen ist, verschwindet die alte Frau wieder. „Fertig“, sagt Ranka Paric. „Über Nacht muss etwas Schweres auf den Käse gelegt werden, damit das Wasser ganz rausgeht und der Käse fest wird“, erklärt sie. Omayrat Hayat verschwindet in ihrem Appartement, um ihre Portion Käse in ihren Kühlschrank zu legen. Sie will ihn am nächsten Tag in Scheiben schneiden und in Salz einlegen. Dann hält er sich ein paar Wochen.

Es ist nach acht Uhr, als Omayrat Hayat auf die zwei Küchenstühle deutet, die im Innenhof stehen. Sie lockt mit einer weiteren Köstlichkeit: „Ich mache uns einen arabischen Kaffee.“

Die weiteren Teile der Serie lesen Sie hier.

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Die Situation der Flüchtlinge

Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge besteht ihren Deutschtest nicht. Die Zahl derjenigen, die in Jobs vermittelt werden können, ist gering. Es gibt zu wenig Wohnungen. Und die Bereitschaft der Bevölkerung, Flüchtlinge ehrenamtlich zu unterstützen, ist gesunken. 2015 hat unsere Redaktion Familien ein Jahr lang begleitet und miterlebt, wie sie in der neuen Heimat erste Erfahrungen gesammelt habe. Die Serie „Fluchtpunkte“ beleuchtet die Situation der Flüchtlinge in Bremen-Nord aus verschiedenen Perspektiven, um so ein Gesamtbild rund drei Jahre nach der Ankunft zu skizzieren. Es geht darum, welche Sorgen die Familien heute haben und was passieren muss, damit die Neuankömmlinge integriert werden können. Heute berichten wir von einem abendlichen Besuch im blauen Dorf.

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