Bremen-Nord. Für den Hildesheimer Diözesanbischof Heiner Wilmer ist der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche, speziell in seinem damit „arg gebeutelten“ Bistum, ein „ganz schlimmes Thema“, unter dem er am meisten leide. Unter dem Beifall von rund 400 Teilnehmern an einem Dialogabend in der Grohner Pfarrkirche „Heilige Familie“ erklärte der Bischof, er gehe mit der Devise an die Aufarbeitung, dass bei diesem Thema endlich Schluss sein müsse mit der kirchlichen Binnenkultur und einer kircheneigenen Gesetzeshoheit, die an den Menschen vorbeigehe.
Mehrfach ging Bischof Wilmer sowohl in seinem Eingangsimpuls als auch in einem rund einstündigen Dialog mit Gästen auf „sexuelle Gewalt in der Kirche“ ein. Es müsse endlich Licht in das Dunkel gebracht werden, schließlich hätten alle Betroffenen ein Recht auf die Wahrheit als erstem Schritt zu Gerechtigkeit. Der Oberhirte kündigte an, das Bistum werde in den nächsten Tagen noch einmal alle Akten sowohl von lebenden als auch längst gestorbenen Opfern und Beschuldigten einem unabhängigen Institut zur neutralen und ergebnisoffenen Prüfung übergeben.
„Niemand aus der Bistumsleitung wird in die Arbeit der Prüfer eingreifen oder sie beeinflussen“, versprach der Bischof. Im Übrigen arbeite man auch mit der Staatsanwaltschaft eng zusammen. Die Diözese habe inzwischen über 10 000 Schulungsmaßnahmen sowohl für haupt- als auch ehrenamtliche Mitarbeiter durchgeführt.
Auf seine Einladung, ihm in E-Mails Sorgen und Kritikpunkte an der Kirche mitzuteilen, hat Bischof Wilmer inzwischen rund 1000 Zuschriften bekommen, darunter den Brief des Grohner Pastoralrates und eines Messdieners aus der Pfarrei. Bei Antworten auf diese Briefe lasse er sich unter anderem davon leiten, dass in der Kirche die Zeit endlich vorbei sei, in der Anweisungen von oben nach unten durchgereicht würden. „Als Glieder dieser Kirche müssen wir Seite an Seite das Evangelium verkünden“, so der Bischof.
Zur Kritik des Grohner Pastoralrates an ausländischen Gastpriestern, die die ökumenischen Bemühungen in der Pfarrei nicht mittragen oder gar verhindern, erklärte Bischof Wilmer, er stehe grundsätzlich hinter dem Einsatz von ausländischen Priestern und Ordensfrauen, räume aber ein, dass diese noch mehr begleitet werden müssen. Wenn es allerdings dauerhaft zu Problemen komme, könne man die Verträge mit ausländischen Seelsorgern nicht verlängern und müsse sie wieder in ihre Heimatländer zurückschicken.
Auf die Forderung, Leitungsfunktionen in der Kirche auch in die Hände von Frauen zu legen, reagierte der Bischof: „Damit rennen Sie bei mir offene Türen ein.“ Mit der Ernennung von Dagmar Stoltmann-Lukas zur persönlichen Referentin habe er bewusst mit einer über 1200-jährigen Tradition gebrochen, in der die Bischöfe sogenannte Geheimsekretäre - zumeist Priester – an ihrer Seite gehabt hätten. Beim Thema „Frauen im Priesterberuf“, das der Bischof grundsätzlich nicht ablehnte, musste er sich mehrfach Vorwürfe gefallen lassen, die Entwicklung würde verzögert, als er betonte, das brauche Zeit und gehe in der katholischen Kirche nicht so schnell, wie sich dieses viele wünschten.
Vor allem sein Vergleich der über eine Milliarde Mitglieder umfassenden katholischen Kirche mit einem großen Tanker, der bei einem Wendemanöver viel länger brauche als ein Segelboot, stieß bei Teilnehmern auf harte Kritik. Dialog-Teilnehmerinnen forderten den Gast aus Hildesheim mehrfach auf, auch in dieser Frage Druck auf die Bischofskonferenz und schließlich beim Papst in Rom auszuüben. Eine Gesprächsteilnehmerin: „Herr Bischof, ich möchte das noch erleben!“
In seinem Eingangsreferat hatte Bischof Wilmer die Gläubigen aufgefordert, die Asche von der Glut des Evangeliums zu fegen, damit diese frohe Botschaft sich wieder entfachen und ausbreiten könne. Gleichzeitig gelte es, als gläubige Menschen zusammenzustehen und gemeinsam notwendige Reformen anzupacken. Von Alleingängen halte er gar nichts, so der Bischof, der betonte, „allein mag man schneller sein, doch nur gemeinsam komme man weiter“.
Die Gäste dieses letzten von fünf Dialogabenden im Bistum kamen nicht nur aus den Dekanaten Bremen-Nord und Bremerhaven, sondern aus Lüneburg, Hannover, Hameln, Diepholz und Ostfriesland. An der Aussprache beteiligten sich mehrere aus dem Ausland und aus Übersee stammende Katholiken. Auch ein evangelischer Christ hatte sich zu Wort gemeldet.