Bremen-Nord. „Traue keinem über dreißig“ lautet der Titel eines Vortrags, den der Vegesacker Klaus Gawelczyk an diesem Donnerstag, 24. Oktober, um 18 Uhr im Schloss Schönebeck halten wird. In dem Vortrag blickt er auf die Schülerbewegung des Gerhard-Rohlfs-Gymnasiums zurück, die vor 50 Jahren für Aufruhr sorgte, und zieht ein Resümee, das auch für die heutigen jungen Protestbewegungen hilfreich sein könnte.
„Wir hatten damals unruhige Zeiten“, erinnert sich Klaus Gawelczyk. Von 1965 bis 1972 besuchte der zweite Vorsitzende des Heimat- und Museumsvereins für Vegesack und Umgebung das Gerhard-Rohlfs-Gymnasium in Vegesack. Die angespannte politische Stimmung im Windschatten von Kubakrise und Vietnamkrieg, Kennedy-Attentat und Studentenbewegungen erlebte er hautnah. Eine Zeit, die er als prägend betrachtet. „Es herrschte eine Lähmung in der Gesellschaft, eine, die die Jugend nicht hinnehmen wollte.“
Gawelczyk und seine Mitschüler machten sich Gedanken, was zu tun sei, damit es nie wieder zu so etwas komme, wie zu den vorangegangenen Weltkriegen. Die einzige wirksame Lösung schien ihnen, in die Politik zu gehen. Klaus Gawelczyk, selbst Arbeiterkind, entschied sich – wie einige seiner Klassenkameraden – für die CDU. Gemeinsam wollte man den „Marsch durch die Institutionen“ wagen. „Wir waren als Junge Union Teil der Mehrheitspartei, gehörten aber weiterhin der Schülerbewegung an. Die dortigen Ideen und Ziele wollten wir in die Partei tragen, sozusagen von unten nach oben“, erinnert sich Gawelczyk.
Eklat zur 100-Jahr-Feier
Das Gerhard-Rohlfs-Gymnasium galt damals als eines der unruhigsten Gymnasien Bremens. Die Verbreitung und Durchsetzung ihrer Ideen, sowie das Aufbrechen der vorhandenen, ihrer Meinung nach verkrusteten Strukturen war den Schülern mehr als ein einfaches Anliegen. Sie wollten mit einbezogen werden und mitwirken. So führte die Feier zum 100. Bestehen der Schule im April 1969 zu einem Eklat. Die Schüler waren nicht eingeladen und fühlten sich ausgeschlossen.
Als Antwort veröffentlichte man auf der Rückseite der Schülerzeitung Echo ein Gruppenbild, auf dem eine aktuelle Aufnahme der Lehrerschaft – das Titelbild der Zeitung - nachgestellt wurde. Beschriftet wurde es mit dem Titel „100 Jahre Klassenkampf“. Außerdem versammelten sich rund 50 Schüler vor der Strandlust und demonstrierten gegen die Feier.
„Es gab Rangeleien, und Eier flogen. Fünf meiner Klassenkameraden wurden verhaftet, drei Polizisten verletzt“, zählt Klaus Gawelczyk auf. Bis heute seien viele derjenigen, die an der Feier in der Strandlust teilgenommen hatten, „erbost über die Renitenz der Schülerbewegung“ so Gawelczyk. Inzwischen habe man aber eine Basis gefunden, auf der man sich verständigen könne.
Es bewegte sich viel in Gawelczyks Schul- und Studentenjahren. Die Friedensbewegung entstand, Bürgerinitiativen gründeten sich, Anti-Atomkraft- und Umweltbewegungen demonstrierten. Die Grünen traten auf den Plan. „Eine Demokratisierung der Gesellschaft verlangt Mitwirkung“, ist Klaus Gawelczyk überzeugt. Zur Wahl gehen sei das Mindeste. Die Schüler und Studenten seiner Zeit wollten jedoch noch mehr: Sie wollten an die Schalthebel der Macht. Dies stellte sich jedoch als schwierig heraus. „Innerhalb der verkrusteten Parteistrukturen gab es kaum eine Chance etwas zu verändern. Man musste sich anpassen, um Posten zu bekommen, verlor dabei den Elan und wurde abgeschliffen“. Dies sei einer der Gründe, warum er und viele Mitstreiter damals in kommunistischen und linken Gruppen gelandet seien.
Doch was ist aus den Mitstreitern der Schülerbewegung geworden? Diese Frage stellte Gawelczyk 2016 den Teilnehmern eines Klassentreffens des Abiturjahrgangs 1972. „Interessant ist, dass fast alle in einer ganz normalen, bürgerlichen Familie leben. Darunter Beamte und Lehrer, einige Ingenieure, Ärzte und Architekten“. Auch die Anführer der Bewegung haben es zu etwas gebracht. So zum Beispiel Christoph Köhler, der im Zuge der Proteste von der Schule flog und Karriere als Professor für Soziologie in Jena machte. Auch Christian Bruns, später Leiter der Bremer Landesvertretung in Brüssel sowie der Abteilung Europa und Entwicklungszusammenarbeit, musste das Gymnasium verlassen. „Das zeigt, dass es dem späteren Leben nicht schadet, wenn man sich in jungen Jahren lautstark für etwas einsetzt“, fasst Gawelczyk zusammen.
Dies ist auch eine der Erkenntnisse, die Klaus Gawelczyk bei seinem Vortrag vermitteln will. In einem persönlichen Rückblick berichtet er davon, was er und seine Mitschüler damals bewegte, welche Themen im Vordergrund standen und was aus ihren Zielen und Anliegen geworden ist. Mit dabei sein werden auch einige ehemalige Mitstreiter.
Ganz besonders freut sich Gawelczyk über junge Zuhörer, Schüler der Generation „Fridays for Future“. Als ehemaliger Teil einer Bewegung, die auf grundlegende, gesellschaftliche Veränderung abzielte, möchte Gawelczyk seine Erfahrung teilen – die positiven wie negativen. „Wir haben damals auch gelernt, wie es nicht geht“, resümiert der Vegesacker. Konkrete Ideen statt Totschlagargumente seien gefragt. Auch blinder Aktionismus sei nicht das geeignete Mittel, um etwas zu bewegen. „Man muss sich um die Köpfe der Menschen bemühen und diese für Alternativen öffnen, wenn man etwas verändern will“, ist Klaus Gawelczyk überzeugt.