Nein, Marcel Behlmer hat keinen gesteigerten Hang zu Abenteuern, auch wenn er ein international gerade in die Schlagzeilen gekommenes deutsches Fortbewegungsmittel wählt. Der Verbandsliga-Handballer der HSG Schwanewede/Neuenkirchen hat Fußballtickets für das Europameisterschafts-Viertelfinale zwischen Frankreich und Portugal in Hamburg ergattert. Dorthin will er von Bremerhaven aus mit seinen drei engsten Freunden mit dem Zug fahren. „Wir reisen schon vormittags an, weil wir die EM-Stimmung aufsaugen wollen. Da sollte reichlich Pufferzeit vorhanden sein“, sagt der 30-Jährige mit einem Augenzwinkern. Beim Anpfiff am heutigen Freitag um 21 Uhr könnte er sogar das Fahrrad nehmen und wäre pünktlich da, wenn er denn in die Pedale treten wollte.
Eine alternative Anreise hat der Außenspieler der „Schwäne“ schon vor knapp zweieinhalb Wochen beim Vorrundenspiel zwischen Kroatien und Albanien ausprobiert. Da die Begegnung bereits um 15 Uhr begann und „Bello“, wie Marcel Behlmer eigentlich nur gerufen wird, vorher noch eine schriftliche Prüfung zum Feuerwehrtaucher hatte, war das Quartett mit dem Auto in die Elbmetropole gefahren.
Würde es das Lied „Mambo“ von Herbert Grönemeyer nicht schon geben, dann hätten es die Vier vermutlich an dem Nachmittag selbst geschrieben. Bei Grönemeyer dreht der Leidgeplagte im Song schon seit Stunden seine Runden, weil er verzweifelt einen Parkplatz für den Besuch bei seinem Schatz sucht. Die Fußballbegeisterten aus Bremerhaven kurvten „nur“ 45 Minuten durch Hamburg, bis sie endlich eine passende Parklücke fanden. Von da aus stand ihnen dann ein noch ebenso langer Fußmarsch zum Altonaer Volkspark bevor, den sie etwas schnelleren Schrittes unternahmen. „Pünktlich zu den Nationalhymnen waren wir im Stadion“, verrät Marcel Behlmer und muss schmunzeln.
Dieses Mal wechseln sie das Gefährt, weil sie sich im Vorfeld viel Zeit für das Erleben der verschiedenen Fan-Kulturen nehmen möchten. Außerdem wollen sie sich vor dem Match noch das Viertelfinalspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Spanien in einem Hamburger Biergarten möglichst in Stadionnähe ansehen.
„Da wäre es doch blöde, wenn einer nicht mittrinken kann, weil er fahren muss.“ Wie viel Glück die Vier bei der Kartenvergabe hatten, das war ihnen damals gar nicht so bewusst. Sie hatten sich bei der ersten Ausschreibung um EM-Tickets beworben, weil sie das internationale Flair unbedingt einmal erleben wollten.
Die Bewerbung um die verschiedenen Spielorte teilten sie sich dabei unter sich auf -und bekamen prompt viermal den Zuschlag: Drei Vorrundenspiele in Dortmund, Düsseldorf und Hamburg sowie das heutige Viertelfinalspiel, das ebenfalls in der Heimspielstätte des Hamburger SV ausgetragen wird. „Für uns wirkte das zunächst normal, bis wir von anderen hörten, dass sie keine Karten bekommen haben.“
Die Touren nach Nordrhein-Westfalen erfordern zum richtigen Genießen eine Hotelübernachtung, darüber waren sich alle einig. Deshalb verzichtete das Quartett auf diese Tickets und fokussierte sich voll auf die beiden Spiele in der fast zwei Millionen Einwohnerstadt an der Alster.
"Für Hamburg müssen wir nicht zwingend Urlaub nehmen und sind schnell da“, erklärt Marcel Behlmer die Wahl. Das mit dem flott da sein war, siehe das erste besuchte EM-Match, natürlich sehr relativ. Aber schon die Anreise zu einem der Spiele in den Arenen Nordrhein-Westfalens wäre noch beträchtlich zeitintensiver gewesen als die rund 175 Kilometer lange Stippvisite von Behlmers Wohnort Schiffdorferdamm entlang der A27 und A1 zum Hamburger Volksparkstadion.
Dort ist die heutige Partie für Behlmer and Friends fast so etwas wie ein Sechser im Lotto. Nachdem die Uefa im Dezember die Gruppen ausloste, schaute sich das Bremerhavener Quartett auf dem Weihnachtsmarkt schon einmal den Turnierbaum an und überlegte, welche Viertelfinalpaarung es wohl an diesem Freitag in Hamburg sehen würde. „Frankreich gegen Portugal war für uns schon damals eine der Möglichkeiten“, sagt Marcel Behlmer.
Wer hätte da gedacht, dass es rund ein halbes Jahr später auch tatsächlich dazu kommt? Für den Familienvater (eine Tochter, ein Jahr alt) ist es „ein Traumspiel.“ Er freut sich auf haufenweise Stars wie Kylian Mbappé, Christiano Ronaldo oder auch den Dauerbrenner Pepe, der mit seinen 41 Jahren immer noch top Leistungen abruft. „Die Chance, dass man Ronaldo live sieht, kommt vielleicht nicht wieder. Und das, was Pepe in seinem Alter noch leistet, ist ja irre“, meint Behlmer.
Und der Handballer bekam am späten Montagabend gar nicht sofort direkt mit, an welchem seidenen Faden der Viertelfinaleinzug der Portugiesen hing. Denn als Portugals Starspieler Christiano Ronaldo seinen Elfmeter in der 105. Minute der Verlängerung des Achtelfinales gegen Slowenien verschoss und wenig später Tränen darüber vergoss, lag Behlmer längst friedlich schlummernd im Bett.
„Ich hatte die Übertragung in der 60. Spielminute ausgemacht, weil ich am nächsten Tag arbeiten musste“, verrät der hauptberufliche Feuerwehrmann. Folglich entging ihm auch das Elfmeterschießen, bei dem Ronaldo schließlich doch sein erstes Tor dieser Europameisterschaft schoss und sich die Portugiesen mit einem 3:0 in die nächste Runde retteten.
Apropos das Runde muss in das Eckige: Marcel Behlmer wirft zwar aktuell beim Handball die Tore, er hat in seiner Jugendzeit aber auch zehn Jahre beim TuSpo Surheide gegen den Ball getreten, weil sein Vater dort Fußballtrainer ist. „Ich bin erst mit 13 Jahren verhältnismäßig spät zum Handball gekommen“, so Behlmer. Sein Interesse am Fußball ist geblieben. „Ich gucke leidenschaftlich Bundesliga und Champions League im Fernsehen.“ Auch die EM-Spiele habe er so gut es eben ging gesehen. Jetzt geht's wieder nach Hamburg –dieses Mal mit internationalem Spitzen-Flair.