Das Vegesack Marketing hat es grob überschlagen: Rund eine halbe Million Menschen besuchen pro Jahr die Meile. Sie kommen mit dem Auto, noch öfter jedoch mit dem Fahrrad, weil die Uferzone zur Route der Weserradwanderer gehört. Andere wiederum wollen es so maritim wie möglich – und nehmen das Schiff. Mehrere Fahrgastgesellschaften und Vereine haben die Meile mittlerweile fest im Programm. Und alle Anbieter sagen, dass Vegesack und seine Wasserkante zwar schön sind, aber auch, dass es noch andere Ziele gibt, die Besuchern mehr bieten. Und die darum auch häufiger angesteuert werden als das Weserufer.
Unterm Strich ist die Maritime Meile beides: mal kurzer Zwischenstopp auf einer Schiffstour in die Innenstadt beziehungsweise nach Bremerhaven, mal ein fest gebuchtes Ziel von Tagestouristen, die einen Landgang am Ufer und im Vegesacker Zentrum planen. Ersteres kommt regelmäßig vor, letzteres dagegen nur sporadisch. Welche Firmen und Vereine immer wieder Kurs auf die Uferzone des Stadtteils nehmen, wer mit ihnen fährt – und was aus Sicht der Anbieter passieren müsste, damit die Meile noch mehr Besucher von der Wasserseite bekommt als bisher. Ein Überblick.
Schiffergilde: Wie oft die „Astarte“ inzwischen in Vegesack angelegt hat, kann Eugen von Abel gar nicht so genau sagen. Der Chef des Bremerhavener Vereins weiß nur, dass sie „immer mal wieder“ die Meile ansteuert – manchmal mit Besuchern, die in der Seestadt an Bord gegangen sind, manchmal nur mit der Crew. Im August wird der Segler, ein Finkenwerder Fischkutter und das Flaggschiff der Gilde, erneut in Vegesack sein. Seit Jahren ist der Verein dabei, wenn an der Meile das Festival Maritim gefeiert wird. Die „Astarte“ wird dann zum Ausflugsschiff. An zwei Tagen geht es vom Anleger bei der Signalstation mit Festbesuchern wahlweise die Weser stromabwärts oder die Lesum stromaufwärts.
Von Abel sagt, dass der Kutter, wenn er Besucher aus der Seestadt nach Vegesack bringt, bis zu 25 Frauen, Männer und Kinder an Bord hat. Und dass die Rundfahrten beim Festival Maritim fast immer ausgebucht sind. Die Schiffergilde ist für Bremerhaven, was der Kutter- und Museumshavenverein für Vegesack ist: ein Zusammenschluss, der Traditionsschiffe fahrtüchtig hält und mehrtägige beziehungsweise mehrwöchige Törns in der Ost- und Nordsee anbietet. Beide Vereine besuchen sich mit ihre Flotte gegenseitig. Die Gilde kommt auf zwei eigene und noch mal 13 Schiffe, die Mitgliedern gehören. Beim Museumshavenverein sind es ein paar mehr – um die 20 Kutter und Segler.
Dass die „Astarte“ in der Regel nur dann an der Meile festmacht, wenn dort viel los ist, kommt nicht von ungefähr. Genauso wie der Museumshavenverein ist die Gilde auf zahlende Gäste angewiesen, um den Kutter – 1903 gebaut, ab 1979 mehrere Jahre lang restauriert – in Schuss halten zu können. Von Abel sagt, dass man auch öfter kommen würde, wenn es denn mehr Besucher gäbe, die von Bremerhaven nach Vegesack wollten. Und wenn in Vegesack mehr Feste anstünden, die so besucherträchtig sind wie das Festival Maritim. Die Meile, meint er, konkurriert mit diversen Uferzonen und Veranstaltungen am Wasser im Jahr: „Wir müssen genau abwägen, welcher Besuch am meisten lohnt.“
Hal Över: Von allen Anbietern nimmt die Fahrgastgesellschaft nicht nur am regelmäßigsten Kurs auf die Meile, sondern auch mit den meisten Schiffen. Mal wird die „Hanseat“ eingesetzt, mal „Das Schiff No. 2“, mal die „Oceana“ – je nachdem, wie wie viele Passagiere eine Fahrt vorgebucht haben. Und wie viele ein Fahrrad mitnehmen wollen. Harro Koebnick erlebt das jetzt häufiger: „Die Gäste wollen eine Ausflugsfahrt und hinterher Radwandern.“ Und weil die Zahl der Fahrradtouristen nach den Worten des Hal-Över-Chefs seit Jahren zunimmt, ist es meistens die „Oceana“, die Richtung Vegesack fährt. Das Schiff ist das größte in der Flotte und hat deshalb auch mehr Platz für Räder plus Gepäck.
600 Passagiere kann die „Oceana“ an Bord nehmen. Wie viele auf einer der turnusmäßigen Touren nach Bremerhaven und zurück mitfahren, um in Vegesack aus- beziehungsweise einzusteigen, muss Koebnick offen lassen. Er sagt, dass die Auswertung der Zahlen kompliziert ist, weil eben nicht alle Gäste im Vorfeld angemeldet sind, sondern sich viele auch spontan entscheiden. Doch auch ohne die Statistik vor sich zu haben, geht Koebnick davon aus, dass es mehr geworden sind als noch vor Jahren. Er begründet das weniger mit der Meile und ihren Angeboten, sondern vielmehr mit dem Trend zum Elektro-Fahrrad: „Jetzt werden Menschen zu Ausflüglern, die vorher keinen Ausflug gemacht haben.“
Für Koebnick ist das Vegesacker Weserufer attraktiver geworden, aber nicht so attraktiv, dass deshalb mehr Besucher per Schiff kommen. Das Plus der Meile ist ihm zufolge ein anderes: dass sie Teil des Weserradwanderwegs ist. Viele Touristen, meint er, sehen die Wasserkante als Zwischenstation, die sie sich gerne anschauen und wo sie eine Zeit lang bleiben, um dann weiterzufahren: entweder an die Küste oder in die Innenstadt – Ziele, die ihm zufolge mehr zu bieten haben als das Weserufer. Koebnick geht deshalb nicht davon aus, dass die Fahrgastgesellschaft die Zahl an Fahrten in Richtung Vegesack künftig ausweiten wird. Das Angebot, das es jetzt gibt, sagt er, deckt die Nachfrage vollends ab.
Drewes Gruppe: Früher war die „Senator“ die Barkasse des Senats, jetzt fährt sie quasi unter der Flagge eines Bremer Schiffslogistikers und wird von einem Verein betreut. Gerd Reichstein sagt, dass das Motorschiff viele Ziele hat. Und dass die Passagiere bestimmen, welcher Kurs genommen wird. Reichstein, seit 2006 der Kapitän der „Senator“, spricht von Ausflugsfahrten auf der Mittelweser nach Langwedel ebenso wie von Touren auf der Unterweser nach Brake. Und von größeren Gruppen und Gesellschaften, die das Schiff für einen halben oder einen ganzen Tag chartern – meistens, um an Bord zu feiern. In Vegesack festgemacht wird nach seiner Rechnung zwei- bis dreimal im Jahr.
Wie neulich, als eine Firma aus der Überseestadt die ehemalige Senatsbarkasse für einen Ausflug zum Museumshaven und zum Geschichtenhaus buchte. Knapp 40 Frauen und Männer kamen mit der „Senator“. Dass eine Gruppe nach Vegesack will, um speziell die Meile zu besuchen, erlebt Reichstein so selten, dass er sich gar nicht erinnern kann, wann das schon einmal vorgekommen ist. In der Regel, sagt er, wollen seine Passagiere nicht aussteigen, sondern eine Rundfahrt machen – und den Bremer Norden vom Wasser aus sehen: die Werften, das Schulschiff, den Stadtgarten, die Signalstation, das Woll-Kämmerei-Gelände, das Kraftwerk in Farge, den früheren U-Boot-Bunker in Rekum.
Reichstein geht davon aus, dass mehr Menschen mit der Barkasse nach Vegesack fahren würden, wenn es denn an der Meile auch mehr Anreize für Ausflügler gäbe, an Land zu gehen. Wenn es dort weitere Angebote für Gruppen und Gesellschaften gäbe und Veranstaltungen, die so gut besucht sind wie etwa die Schiffsregatten in Bremerhaven. Kurs auf die Seestadt nimmt die „Senator“ ihm zufolge deshalb wesentlich öfter als auf das Weserufer des Nordbremer Stadtteils. Demnächst, sagt Reichstein, ist wieder ein maritimer Wettbewerb in Bremerhaven. Die Barkasse wird mit Besuchern hinfahren – und erneut an Vegesack und seiner Maritimen Meile vorbei.