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Ein Fest für den jungen Hering Vegesack feiert den Matjes

Mit einem Fest feiert Vegesack den Matjes. Welche Bedeutung der Hering für den Stadtteil hat.
18.06.2023, 19:00 Uhr
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Von Jörn Hildebrand/jöh

Es war eine Prüfung der besonderen Art, der sich Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt unterziehen musste. Für das Matjes-Diplom galt es, eine  Frage der Hafenmeisterin zu beantworten: "Wie war das erste Mal?“, wollte die wissen. Schlüpfrig und sauer war, lautete Dornstedts Antwort. Zunächst durfte er mit einem Lehrfisch aus Stoff das Verschlucken mit in den Nacken gelegtem Kopf üben, doch dann bekam er echten Matjes in die Kehle, um ihn anschließend mit einem Schluck Hochprozentigem zu ertränken.

Nach bestandener Prüfung konnte der Vegesacker Matjestag am Freitag eröffnet werden. „Ganz Vegesack ist heute auf Matjes eingestellt“, sagte Fritz Rapp vom Vegesack Marketing. Zuvor hatte die Barkasse "Vegebüddel" an der Signalstation an der maritimen Meile festgemacht, ein Ruderboot des Vereins Maritime Tradition Nautilus mit einem Dutzend Leuten an Bord im Schlepptau. Rund hundert Schaulustige standen hinter der Spundwand und sahen zu, wie ein Fass mit Heringen von Bord geholt wurde. Ein Vegesacker Junge in zünftigem Matrosenanzug hievte es sich auf die Schultern und trug es, begleitet vom Ortsamtsleiter und vielen Darstellern aus dem Vegesacker Geschichtenhaus in traditionellen Kostümen, bis zum Utkiek.

Dort hatte sich am Walkiefer bereits der Seemanns-Chor Vegesack postiert. Da das Fass zu früh kam, blieb dem Männerchor genügend Zeit, mehrere maritime Lieder zu spielen und zu singen – die erste Schunkel-Stimmung kam auf. Wer über den Spaß hinaus etwas über die Heringstradition und Vegesack einst und jetzt erfahren wollte, konnte auf einer großen LED-Wand Bilder und Filme gucken: Eine Computeranimation simulierte eindrucksvoll, wie Vegesack aus der Vogelperspektive aussah, als noch Schiffe mit großen roten Segeln die Weser abwärts fuhren, um in der Nordsee auf Heringsfang zu gehen. Alte Filmaufnahmen zeigten, dass der Hafen von Vegesack bis vor 70 Jahren eine riesige Heringsloggerflotte beherbergte – schließlich war hier im 19. Jahrhundert die größte Heringsfischerei-Gesellschaft Europa beheimatet.

Inzwischen hatte der Seemannschor das „Vegesacker Lied“ angestimmt, „Herrn Pastor sin Kauh“ nachgeschoben und sogar in den Text von „An de Eck steiht’n Jung mit’n Tüdelband“ eine Strophe des verstorbenen Schauspielers Jan Fedder eingeflochten, als es mit der Prüfung zum Matjes-Diplom losgehen konnte, die Heiko Dornstedt bravourös bestand. Er ergriff die Gelegenheit, gegen Ende seiner Amtszeit etwas Seemannsgarn zu spinnen: Der Name Vegesack leitet sich davon ab, dass den Matrosen in Vegesacker Kneipen der Sack, also ihr Geldbeutel, leer gefegt wurde, nachdem sie von ihren weiten Fahrten zurückgekehrt waren.

Im Hintergrund wurde an der LED-Wand erklärt, wie es überhaupt zu einem Matjestag kam: Zwischen Mai und Juli fressen sich die noch nicht geschlechtsreifen Heringe ein dickes Fettpolster an und sind bei einem Fettgehalt von zwölf Prozent besonders schmackhaft – die Fangsaison setzte ein, und durch ein Reifeverfahren, das seit Jahrhunderten fast unverändert blieb, erhielt der Hering seinen unvergleichlichen Geschmack.

Wie aber kam der Matjes zu seinem Namen? Heiko Dornstedt lieferte eine Erklärung, die allerdings auch ziemlich nach Seemannsgarn klang: „Der Kopf des Herings wurde mit aller Kraft auf ein Brett geschlagen und der Matrose fragte ihn: „Bist du matt?“ Angesichts der international zusammengesetzten Schiffsmannschaft antwortete der Fisch mit „Yes!“

Zu den Verpflichtungen des Ortsamtsleiters gehörte es am Matjestag auch, den Vegesacker Heringslöffel an das Heimatmuseum Schloss Schönebeck zu übergeben – ein langes, bunt bemaltes Stück Holz, mit dem die Seeleute in Richtung Nordsee wiesen, wenn sie ihren Hafen verlassen hatten – dem Hering sollte damit gezeigt werden, dass seine letzten Tage gekommen sind.

Die sind für den Hering heute aus anderen Gründen angebrochen: Der Klimawandel bringt Temperaturerhöhungen im Wasser von Nord- und Ostsee mit sich, die sich auf die Produktion der Heringsnachkommen  negativ auswirken: Das Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock hat festgestellt, dass durch die milden Winter die Jungfische des Herings zu früh schlüpfen – sie verhungern, weil Kleinkrebse als ihre wichtigste Nahrungsgrundlage noch nicht da sind. Drastische Bestandseinbußen des Herings sind die Folge.




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