Grohn. Die Morgensonne scheint, der Himmel über dem Campus der Jacobs University ist strahlend blau. Ein paar Studenten laufen schnellen Schrittes zum Vorlesungssaal. Einige sehen etwas verschlafen aus. Generell ist es eher ruhig auf dem eindrucksvoll wirkenden Universitätsgelände, auf dem sich auch der Arbeitsplatz von Neurowissenschaftlerin und Postdoktorandin Radwa Khalil befindet. Die gebürtige Ägypterin forscht dort eigentlich im Bereich des kreativen Denkens. Jedoch hat sie vor Kurzem erst einen Beitrag veröffentlicht, der sich mit einer anderen Thematik beschäftigt. Nämlich mit weiblichen Vorreiterinnen im alten Ägypten und dem Nahen Osten.
"Die Idee für das Forschungsprojekt entstand aus einer ganz persönlichen Perspektive", erzählt Khalil. So habe sie im Laufe ihrer beruflichen Laufbahn festgestellt, dass das Geschlechterverständnis im Nahen Osten ein anderes sei als in Europa, wo sie viele Jahre studiert und gearbeitet habe. "In Ägypten ist es oft mit Widerständen verbunden, wenn eine Frau gleichermaßen Karriere machen und eine Familie gründen will. Ich rede hier weniger davon, zur Arbeit zu gehen oder das eigene Gehalt zu verdienen. Ich rede vor allem von höheren Positionen in Bereichen wie der Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft", führt die 34-Jährige weiter aus. Diese Problematik gebe es in Europa auch. Sie sei allerdings nicht so offensichtlich wie in ihrer Heimat. Deshalb habe sie sich auf die Suche nach den Gründen für diesen gesellschaftlichen Konflikt begeben. Im Zuge dessen begann sie sich mit der Geschichte des Nahen Ostens auseinanderzusetzen. Dort machte sie dann eine überraschende Entdeckung. "Vor allem im alten Ägypten kam Frauen eine Schlüsselrolle in der Gesellschaft zu. Es gab viele mächtige Königinnen, Merit-Phtah war eine der ersten weiblichen Physikerinnen zu der Zeit", sagt Khalil. Einen Widerspruch zwischen ihren Führungspositionen und dem sozialen Leben gab es nicht. "Ihre Macht wurde von den Männern respektiert", fügt sie hinzu. Mit der Verbreitung ihrer Forschungsergebnissen möchte die Wissenschaftlerin ein Bewusstsein für diese historischen Pionierinnen schaffen.
Außerhalb der Norm denken
"Vorbilder sind in der persönlichen Entwicklung junger Menschen enorm wichtig. Gerade für junge Frauen aus dem Nahen Osten können diese Beispiele richtungsweisend für ihr Selbstkonzept sein", weiß Khalil. Eine ähnliche Erfahrung habe sie selbst auch gemacht. So berichtet die Ägypterin mit strahlenden Augen von ihrer Zeit als Studentin in Alexandria. Dort habe sie eine Professorin gehabt, die sich für die jüngeren Studentinnen einsetzte. Dafür, dass sie Förderungen für ein Auslandsstudium erhielten und somit unabhängig ihre Karrieren verfolgen konnten. Ihr Engagement sei ein Grund dafür, weshalb Khalil jetzt auf dem momentan verschlafen wirkenden, sonst sehr belebten Campus der Jacobs University ihrer Leidenschaft für die Neurowissenschaft nachgehen könne. "Meine damalige Professorin hat mich dazu ermutigt, außerhalb der Norm zu denken. Sie hat mir beigebracht keine Angst davor zu haben, für meine Träume zu arbeiten. Sie hat mich sehr inspiriert", erzählt Khalil. Heutzutage brauche es in ihrem Heimatland wieder mehr solcher Vorbilder. Aber auch in Deutschland sei es wichtig, dass weibliche Pionierinnen aus dem Nahen Osten sichtbarer werden. Insbesondere für junge Mädchen mit migrantischem Hintergrund.
Es gibt bereits spezielle Einrichtungen in Bremen Nord, die für diese Zielgruppe Angebote im Bereich soziale Teilhabe und Berufsorientierung bereitstellen. Trotzdem vermisse Khalil die Problematisierung der Thematik vor allem in den Schulen. "Ich hoffe, dass ich in Zukunft zumindest in Ansätzen ein ähnlich gutes Vorbild sein kann, wie es meine Professorin für mich war. Ich möchte der jungen Generation helfen", sagt die Neurowissenschaftlerin deshalb etwas verlegen. Sie könne sich in Zukunft gut vorstellen, an Bildungseinrichtungen im Bremer Norden ihre Forschungsergebnisse zu präsentieren und über die weiblichen Vorreiterinnen aus dem alten Ägypten zu unterrichten. "Mein Ziel ist es, die Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft voranzubringen. Vielleicht können wir sie eines Tages erreichen, sodass ein konfliktfreieres Miteinander möglich ist", meint Khalil. An ihrer Universität arbeitet sie neben ihren Forschungsprojekten schon als Tutorin für jüngere Studentinnen. Ihr Rolle als Vorbild ist ihr also jetzt schon nicht abzusprechen. Ihr selbstbewusstes Auftreten tut da sein Übriges, denn es ist selbst noch zu erkennen als sich ihre schnellen Schritte mit denen der müden Studenten auf dem Campus vermengen.