Vegesack. Alice Hasters hatte sich in den falschen Zug gesetzt – so kam sie mehr als eine Stunde zu spät zu ihrer Lesung im Kulturbahnhof in Vegesack, wo der Saal so weit gefüllt war, wie es die Corona-Beschränkungen zulassen. „Ich fühlte mich, als ich in der Bahn saß, auf mich selbst zurückgeworfen und sagte mir zugleich, dass ich geradestehen muss für das, was ich falsch gemacht habe“, sagt Alice Hasters, als sie vor dem Publikum im Kulturbahnhof sitzt. „Doch dies hat auch viel mit Rassismus, dem Thema meines Buches, zu tun“, sagt die Autorin.
Zum Auftakt der Aktionswochen „Gemeinsam gegen Ausgrenzung und Diskriminierung“ im Bremer Norden las Alice Hasters aus ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“. Bei den Aktionswochen, die ein Bündnis aus Vereinen, Einrichtungen und Einzelpersonen organisiert, werden unter anderem Foto- oder Rap-Workshops, Lesungen und Vorträge angeboten, die alle kostenfrei besucht werden können.
Diskriminierung im Alltag
„Menschen müssen verstehen, was hinter dem Rassismus steckt, doch der Diskurs steckt noch in den Kinderschuhen“, leitet Alice Hasters, 1989 in Köln geboren, ihre Lesung ein. Sie trägt aus drei Kapiteln ihres Buches vor, in dem sie beschreibt, wie Rassismus ihren Alltag als schwarze Frau prägt.
Das beginnt schon in ihrem Heimatort Köln-Nippes, als in einem Kaffeeladen eine Frau eine Spardose vor sie hinstellt und sie auffordert, ihr Trinkgeld dort hineinzuwerfen. In ihrem Buch beschreibt sie die Dose: „Der Oberkörper eines schwarzen Mannes. Rote Lippen, breit zu einem absurden Lächeln geformt, große Augen und Nase. Vor seinem Mund eine Hand, in die man die Münze hineinlegen konnte.“ Als die Frau einen Hebel betätigt, verschwindet das Geld in seinem Mund.
„Dahinter steckt die degradierende Auffassung von einem Geld fressenden Menschen: dass Schwarze das Geld der Weißen verschlucken würden“, sagt Alice Hasters. Doch damals sprach sie das „R-Wort“, gemeint ist Rassismus, nicht aus. Denn: „Selten fühlen sich Menschen so angegriffen, allein und missverstanden, wie dann, wenn man sie oder ihre Handlungen rassistisch nennt“, behauptet Alice Hasters.
Die Auffassung, dass Weiße ganz oben und Schwarze ganz unten in der gesellschaftlichen Hierarchie stehen würden, habe die weiße Vorherrschaft in allen Kontinenten begründet. In einem weiteren Kapitel ihres Buches blickt sie beispielhaft auf die deutsche Kolonialgeschichte zurück: Deutsche waren es, die Anfang des 20. Jahrhunderts an den Hereros in Südwestafrika Völkermord begingen, Konzentrationslager einrichteten und auch in anderen Teilen Afrikas Schwarze als Sklaven behandelten.
Heute sei Rassismus so sehr im System verankert, dass er bei den Menschen oft unbewusst ablaufe, meint Alice Hasters. Die Autorin spricht von „Mikro-Aggressionen“ und „Mikro-Unterdrückung“. Im Kulturbahnhof nennt sie einige Beispiele. Etwa wenn sie angestarrt wird, wenn sie als schwarze Frau durch die Straßen geht, oder wenn in der S-Bahn die Sitznachbarin ihre Tasche vorsichtshalber auf die andere Seite stellt. „Wie lange soll ich solche Mückenstiche noch ertragen?“, fragt sie sich. Ihre Antwort lautet: „Rassismus kann man nur durch bewusste Konfrontation ändern.“
Auch Aufklärung sei wichtig, sagt Alice Hasters. Fast im gleichen Atemzug aber holt die Autorin gegen die Aufklärung aus, die im 18. und 19. Jahrhundert von Philosophen wie Immanuel Kant geistig begründet wurde: „Die Aufklärer haben eine Verwissenschaftlichung des Rassismus geleistet“, behauptet sie.
Alice Hasters beklagt in ihrer Lesung im Kulturbahnhof, dass die Ausbeutung der Schwarzen in Afrika bis heute andauere und ungerechte Handelsbeziehungen die Entwicklung der afrikanischen Länder hemmten. Sie zieht auch einen Zusammenhang zur Flüchtlingsproblematik. Ihre Aussagen werden von einigen Zuhörern im Publikum mit heftigem Kopfnicken begleitet.
Pessimistisches Fazit der Autorin
Am Ende ihrer Lesung im Kulturbahnhof greift Alice Hasters ein, wie sie sagt, vielfach tabuisiertes Thema auf: das Thema Liebe zwischen Schwarz und Weiß. In Du-Form richtet eine schwarze Frau in etwas larmoyantem Ton Worte an ihren weißen Freund, dem sie von ihren alltäglichen Diskriminierungen erzählt. Als Weißer sei es nun mal leichter, sich auf ausgeschriebene Stellen oder freie Mietwohnungen zu bewerben. Die schwarze Frau spricht deutliche Warnungen an ihren weißen Freund aus: „Irgendwann wirst du spüren, dass du Teil der systematischen Diskriminierung bist.“
„Liebe löscht Rassismus nicht aus. Du wirst instinktiv dein Weltbild verteidigen“, lautet das pessimistische Fazit der Autorin, das nicht frei von Selbstmitleid ist und hinter dem ein Weltbild steckt, das Ausgrenzung und Diskriminierung als fest im Gesellschaftssystem verankert betrachtet.
Das Buch von Alice Hasters „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ ist 2019 im Verlag Hanserblau erschienen, hat 208 Seiten und kostet 17 Euro.
Die Aktionswochen „Gemeinsam gegen Ausgrenzung und Diskriminierung“ im Bremer Norden laufen noch bis Mittwoch, 30. September. Das vollständige Programm findet sich im Internet unter www.partnerschaftfuerdemokratie.bremen.de/bremen_nord-8505.