Mehr als dreißig Jahre bemühte sich Reinhard Schilling mit wechselnden Mitstreitern um eine Kabarettkultur im Bremer Norden: Zunächst als Mitglied des Ensembles „Aueperlen“, später als Gründer und langjähriger Leiter der schulübergreifenden Kabarett-AG „AntiToxin“, zu deren einstigen Teilnehmern unter vielen anderen auch der heutige Star-Comedian Jan Böhmermann zählte.
Unzählige Szenen und Programme sind in diesem Zeitraum entstanden. Bereits anlässlich seines 70. Geburtstatg plante Schilling, unterstützt von früheren „AntiToxin“-Mitgliedern noch einmal ein persönliches „Best Of“ aus diesen auf die Bühne zu bringen. Dieser war indes bereits im Jahr 2020. Entsprechend häufig wurde die geplante Aufführung seither verschoben, wechselten aus Termingründen die geplanten Mitspieler und wurden Szenen ausgetauscht oder umgeschrieben.
Am vergangenen Wochenende war es nun aber tatsächlich soweit: An zwei Abenden verkündete Schilling im Geschichtenhaus mit einem persönlichen Lieblingsszenenpotpourri und „Letzten Worten“ seinen Abschied von der Kabarettbühne. Unterstützt wurde er hierbei von den vormaligen „AntiToxin“-Mitgliedern Annika Stöver, Anna Hilbig, Martin Bode und Martin Malcherek.

Mit einem persönlichen "Best Of" im Geschichtenhaus nahm Reinhard Schilling verspätet Abschied von der Kabarettbühne. cp/ Foto: Pfeiff
Diese haben nach ihrer Schullaufbahn überwiegend anderweitige Berufswege eingeschlagen und sind heute erfolgreiche Bankkaufleute, Richter und Sozialarbeiter. Lediglich Annika Stöver ist der Bühne treu geblieben und arbeitet heute als Film- und Theaterschauspielerin.
Die Theatergalerie des Geschichtenhauses zeigte sich zwar nicht ausverkauft, aber zumindest ansprechend gefüllt, als Schilling und Ensemble am Freitag zur Premiere der „Letzten Worte“ anhoben. Viele dieser waren Jahre, bisweilen gar Jahrzehnte zuvor bereits in diversen Schulaulen zu vernehmen, in denen die „AntiToxin“-Programme zur Aufführung kamen.
Wer ebenso wie nicht wenige der Zuschauenden die damaligen Aufführungen miterleben durfte, hatte also den Direktvergleich zwischen einst und jetzt – und durfte schnell feststellen, dass sich die anarchische Unbekümmertheit kabarettschaffender Schüler zwanzig Jahre später nur bedingt reproduzieren lässt. So dauerte es am Freitag zunächst ein paar Szenen, bis die Mitwirkenden zu ihrem früheren Spielwitz zurück gefunden hatten.
Schließlich begnügte sich Schilling selbst über weite Programmstrecken mit einer Funktion als Conferencier, die es ihm indes erlaubte, die zumindest maßgeblich aus eigener Feder stammenden Spielszenen um kurze, zeitgeistkritische Kommentare zu ergänzen.

Christian Pfeiff Vegesack Geschichtenhaus Kabarett Reinhard Schilling Gegengift Bühnenabschied Mit einem persönlichen "Best Of" im Geschichtenhaus nahm Reinhard Schilling (rechts, hier mit Markus Bode und Anna Hilbig) verspätet Abschied von der Kabarettbühne. cp/ Foto: Pfeiff
Die Szenen selbst trugen hingegen überwiegend nach wie vor die spezielle „AntiToxin“-Handschrift irgendwo zwischen Sketch, Kabarett und bisweilen sogar Comedy. Mehr oder minder harmlose Witzeleien über den Lehrerberuf oder das ewige Thema „Mann und Frau“ fanden sich ebenso in dem Konglomerat wie Szenen, die schon zu ihren Entstehungszeiten die Grenzen des sogenannten „Guten Geschmacks“ mutwillig übertraten – so beispielsweise ein bissiger Szenendialog über die korrekte Haushaltung privat aufgenommener Kriegsflüchtlinge.
In brandneuen Szenen wurde hingegen dystopisch die „postsoziale Gesellschaft“ durch Markus Bode beworben, für welche Annika Stöver in einer späteren Szene als Karrierefrau und alleinerziehende Mutter gleich ein Beispiel ablieferte: „Von Kindererziehung lasse ich die Finger; das ist etwas für ausgebildetes Fachpersonal.“
Leicht melancholisch geratener Abschied
Ohnehin entpuppte sich Stöver, die kurzfristig als Ersatz für terminlich verhinderte Mitwirkende einsprang, als echter Gewinn für das Ensemble: Mit kultivierter Bühnenroutine und kodderigen Dialekten empfahl sie sich nicht nur als „Eisbrecher“ und konnte als solcher die ersten gelösten Lacher des Premierenabends für sich verbuchen, sondern steckte ihre Ensemblekollegen spürbar mit ihrem Spielwitz an, sodass dieser im weiteren Verlauf des Abends immer mehr an Fahrt aufnahm.
Von einer Abschiedsgala mit Glanz und Glamour lässt sich dennoch schwerlich sprechen, eher von einem zunächst von starken Anlaufschwierigkeiten geplagten und letztlich teils sogar leicht melancholisch geratenen persönlichen „Best Of“ in einem intimen Aufführungsrahmen mit und vor überwiegend langjährigen Wegbegleitern.