Auf dem Weg zur Arbeit auf der “Schulschiff Deutschland” fährt Ingo Müller-Fellmett fast täglich über die A27 gen Norden. Kurz vor der Abfahrt Burglesum fällt sein Blick oft auf das braun-weiße Hinweisschild mit dem historischen Dreimaster, der seit 1996 an der Lesum-Mündung vor Anker liegt, nach 25 Jahren nun wohl aber endgültig ablegt. “Man hat jahrelang für das Schild gekämpft, und jetzt geht das Schiff nach Bremerhaven”, sagt der 64-jährige Schiffsbetriebsmeister - wie gewohnt im roten Overall - und beugt sich kurz über die Reling. “Es war überraschend für alle, dass sich eine riesige Mehrheit für Bremerhaven ausgesprochen hat”, sagt Müller-Fellmett. Ihm sei der Beschluss aber sehr recht.
Bei der Mitgliederbefragung des Deutschen Schulschiff-Vereins im April stimmten 133 Männer und Frauen für die Verlegung nach Bremerhaven, 38 Mitglieder votierten für den Verbleib des Traditionsschiffs in Vegesack. “Ich bin damals aufgestanden und habe mich vehement dagegen ausgesprochen, weil der dortige Liegeplatz total verwahrlost ist." Aber dann sei als Liegeplatz der “Neue Hafen” ins Spiel gekommen. “Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so schnell um 180 Grad drehen würde, aber ich war überzeugt, dass das für unser Schiff eine absolute Chance ist”, so Müller-Fellmett. Klar geworden sei ihm das vor Ort in Bremerhaven während eines privaten Ausflugs. “Hier in Vegesack zieht man nämlich keinen Fisch mehr vom Teller.”
Der potenzielle neue Liegeplatz sei dort, wo auch die historische Kogge „Ubena von Bremen” vertäut sei. “Die wird dann ein Stück verholt”, so Ingo Müller-Fellmett. Außerdem sei das Schulschiff in Bremerhaven sehr leicht zu finden: “Autobahnabfahrt Zentrum und immer geradeaus. Man fährt dann direkt auf den Hafen zu, wo das Schiff liegt. Hier in Vegesack sind wir schon viel zu lange im Dornröschenschlaf”, sagt der 64-Jährige und zeigt auf die gigantische Baustelle, mit der das Haven Höövt bald gänzlich der Vergangenheit angehören und ein neues Quartier entstehen wird.
“Wir liegen hier seit 1996 auf einer Baustelle. Damals habe ich die Mädels aus der Kombüse über das Gelände gelotst, als das Haven Höövt im Bau war.” Nun müsse sich die Crew den Abriss von Nahem ansehen. "Irgendwie wurde hier durchgehend was gebaut oder abgerissen”, sagt Müller-Fellmett. Am meisten habe ihm aber der kürzliche Zank um den künftigen Liegeplatz die Stimmung verhagelt. Es gehe hier schließlich ums Schiff, aber das sei bei dem Streit in den Hintergrund geraten.
“Nichts gegen die Bremen-Norder, aber das hier ist kein guter Liegeplatz”, sagt der Schiffsbetriebsmeister, zeigt wieder zum Ufer und prophezeit, dass der Einzugsbereich für Besichtigungen, Übernachtungen, Festivitäten, Schulungen oder Hochzeiten in Bremerhaven größer werde, weil die Stadt viel in den Tourismus investiere. In Vegesack sei das Festival Maritim eines der seltenen Events. “Das ist zwar toll, aber ohne Eintritt. Und die Übernachtungen an Bord bringen auch zu wenig Geld.” Der künftige Liegeplatz sei reizvoll, weil der Zoo am Meer, das Auswandererhaus, das Schifffahrtsmuseum, das Klimahaus, oder der Alte Leuchtturm in der Nähe seien. In der Nachbarschaft lägen zudem andere Museumsschiffe wie das U-Boot “Wilhelm Bauer”.
“Ich bin guter Dinge, dass es in Bremerhaven finanziell besser läuft, weil es dort viel maritimer ist. Die Bremerhavener reden von 1,3 bis 1,5 Millionen Besuchern pro Jahr. Allein das U-Boot hat demnach 85.000 Gäste.” Die Hoffnung sei, dass auch das Schulschiff vom Tourismus profitiere. Der Verein brauche für die Deckung aller Kosten 350.000 bis 400.000 Euro pro Jahr. “Aber davon ist das Schulschiff derzeit weit entfernt.” Trotz der Unterdeckung sei der Senat nicht in die Gänge gekommen und habe aber bis dato auch dem Umzug noch nicht zugestimmt. "Bremerhaven hat uns dagegen Werbung versprochen, und letztlich ist der Erhalt des Schiffs die eigentliche Aufgabe des Deutschen Schulschiff-Vereins. Das steht in Paragraf 1.”
Die Entscheidung im Verein sei eine lange, unschöne Hängepartie für Mitarbeiter und Freiwillige gewesen, so Müller-Fellmett. An Bord helfen derzeit acht Freiwillige. “Das ist eine Super-Truppe, aber drei von ihnen sind schon über 80, die werden auf Dauer nicht mit nach Bremerhaven gehen.” Verändern wird sich auch Ingo Müller-Fellmetts Leben. Vor 46 Jahren war er zum ersten Mal auf dem Schulschiff. “Wenn es gewünscht ist, helfe ich auch in Bremerhaven mal aus”, betont er. Aber zur täglichen Arbeit sei der Anfahrtsweg von seinem Wohnort in Bassum zu lang. “Man versucht schon länger, mich umzustimmen, aber das sind pro Tour 104 Kilometer."
Die Verholung solle an sich vor dem 11. August 2021 - pünktlich zur “Lütten Sail - über die Bühne gehen. "Aber ich schätze das wird Oktober", sagt der 64-Jährige. Wegen der Pandemie erwartet er keine Abschiedsfeier, erinnert sich aber gern an die Begrüßung vor 25 Jahren. “Damals stand das Ufer voller Leute." Aber es gibt auch ein Leben nach dem Schiff. Und was nimmt er zum Abschied mit? “Ich bin nicht so ein Typ, aber den roten Overall nehme ich gern als Andenken mit."