„Man muss nach gemeinsamen Lösungen suchen und mit den Leuten im Gespräch bleiben, vor allem aber: Man muss einen langen Atem haben“, sagt Holger Wesemüller, der in Schönebeck wohnt. Der studierte Landespfleger, Jahrgang 1948, blickt auf mehrere Jahrzehnte des engagierten Einsatzes vor allem für den Schutz des Wattenmeers, aber auch der großen Schutzgebiete in ganz Deutschland und Europa, zurück. Für seine zahlreichen erfolgreichen Initiativen und sein beherztes Engagement wird ihm am Montag, 12. September, in der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven das Bundesverdienstkreuz überreicht.
Sein Einsatz für den Natur- und Umweltschutz begann schon in den 1970-er Jahren, als er sich gegen Ausnahmegenehmigungen für Öl- und Gasbohrungen im ökologisch sensiblen Wattenmeer an der niedersächsischen Küste aussprach. „Er hat schon damals versucht, mit vielen Leuten zurande zu kommen und zielorientierte Lösungen zu finden“, bescheinigt ihm Professor Georg Redecker, ehemaliger Umweltbeauftrager der Landesregierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten in Niedersachsen, Ernst Albrecht.
Impulse für große Erfolge
Anderen zuhören und ihre Argumente ernst nehmen, ist die eine Seite seines Engagements, die Interessen des Natur- und Umweltschutzes kraftvoll und gut begründet durchzusetzen, die andere Seite seines Wirkens. Das kann, wenn es sein muss, manchmal auch schnell und unkonventionell geschehen: „Ich schickte 1985 ein Telegramm direkt in die entscheidende Kabinettssitzung, um zu verhindern, dass in die Nationalparkverordnung für das Niedersächsische Wattenmeer Ausnahmeregelungen für Gas- und Ölbohrungen aufgenommen werden“, erinnert sich Wesemüller, „und hatte mit dieser spontanen Aktion Erfolg.“
Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte weist in seinem Glückwunschschreiben darauf hin, dass Bremen früh entscheidende Impulse für den nationalen und trilateralen Wattenmeerschutz gegeben habe. An der Ökologiestation Bremen-Nord baute Wesemüller von 1980 bis zum Jahre 2003 den Fachbereich Meere und Küsten auf. Unter seiner Leitung wurden zahlreiche Naturschutzprojekte auf nationaler und internationaler Ebene betrieben, darunter der Trilaterale Wattenmeerschutz: „Die Unterstützung Deutschlands durch Dänemark und insbesondere durch die Niederlande war für den Schutz dieses Naturerbes sehr wichtig“, sagt Holger Wesemüller. So setzte er sich erfolgreich für die Einrichtung von Nationalpark-Häusern speziell in Niedersachsen ein.
Weltnaturerbe Wattenmeer
Begehrliche Blicke, sprich Nutzungsansprüche, ans Wattenmeer und die Küste mit ihren Salzwiesen und den Mündungstrichtern großer Flüsse, gab es während Wesemüllers Tätigkeit für die Naturschutzverbände zu genüge: zum Beispiel Planungen zum Bau oder Ausbau von Häfen am Dollart, in Bremerhaven oder Cuxhaven, Eindeichungspläne für die Nordstrander Bucht oder die Leybucht, fortlaufende Vertiefungen von Ems, Weser und Elbe, Kabeltrassen von Offshore-Windparks, Gaspipelines durch das Wattenmeer und nicht zuletzt Jagd, Tourismus und Wassersport.
Nach seiner Tätigkeit für den WWF an der Ökologiestation in Bremen-Nord und dem Aufbau der WWF-Vertretung in Berlin engagierte sich Holger Wesemüller als Gründungsmitglied der deutschen Sektion von Europarc ab 2003 vorrangig für Großschutzgebiete, zu denen in Deutschland die Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks gehören. „Ich habe maßgeblich daran mitgewirkt, dass die Großschutzgebiete heute als ,Nationale Naturlandschaften' wahrgenommen werden, dass ein Freiwilligen-Programm und ein Ranger-System auch für die Jugend etabliert wurde und dass alle zehn Jahre eine bundesweite Evaluierung der Nationalparks erfolgt“, sagt Holger Wesemüller. Ehrenamtlichen, ob jung oder alt, eröffnen sich somit Möglichkeiten zur Mitarbeit in Schutzgebieten. Zu den großen Erfolgen gehörte schließlich auch, vorangetrieben vom trilateralen Wattenmeersekretariat in Wilhelmshaven, die Aufnahme des Wattenmeers, des größten zusammenhängenden Wattgebiets der Erde, als Unesco Weltnaturerbestätte im Jahre 2009.
Küstenschutz versus Naturschutz
Immer wieder prallten die Interessen von Küstenschutz und Naturschutz aufeinander: Eindeichungen, die Neuland schaffen, versus Schutz der sensiblen Salzwiesen: „Da musste man dicke Bretter bohren und auf beiderseits akzeptierte Regeln hinarbeiten“, sagt Wesemüller, der sich selbst als Netzwerker bezeichnet.

Heute gehört das Wattenmeer zum Welterbe der UNESCO.
Und Holger Wesemüller will sich auch in Zukunft weiter engagieren, wobei die Familie mit den Enkeln allerdings mehr Einsatz verdient, wie er sagt. Die Herausforderungen für einen effektiven Schutz des Wattenmeers seien in den letzten Jahren noch größer geworden, so Wesemüller: „Durch die Pandemie haben sich weit mehr Touristen im Nationalpark Wattenmeer aufgehalten, und es gibt viel zu wenige Ranger, die lenkend wirken und Störungen Einhalt gebieten“, sagt er. Auch die gegenwärtige Energiekrise erhöhe den Druck auf Wattenmeer und Küsten noch einmal erheblich. „Selbst wenn in den Verfahren sicherlich vieles beschleunigt werden kann und sollte, dürfen wir Umweltstandards und wesentliche Inhalte – etwa die Bewahrung eines unwiederbringlichen Naturerbes – nicht verdrängen“, betont er.