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Geschäftsbericht: Herren-Salon Ursel Kohl Seit 100 Jahren in der Sagerstraße

Am 1. Juli 1919 hat ihr Großvater ein Friseurgeschäft in der Sagerstraße eröffnet. Heute betreibt Ursel Kohl - nur wenige Meter weiter - in dritter Generation den klassischen Herren-Salon.
05.08.2019, 16:43 Uhr
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Von Albrecht-Joachim Bahr

„Die Hundert soll es noch werden“, sagt Friseurin Ursel Kohl. Die 72-Jährige betreibt seit gut vierzehn Jahren im Alleingang einen Herren-Salon am unteren Ende der Sagerstraße. Seit 2012 ist sie in Rente. Aber sie macht weiter. Erstens, weil es ihr Spaß macht. Und zweitens, weil sie ihre Stammkundschaft nicht im Stich lassen will. Später tritt sie bei der Perspektive, mit 100 noch im Salon zu stehen, dann doch etwas auf die Bremse. Dafür kann sie aber mit einer anderen Hundert aufwarten: Denn es war ihr Großvater, der am 1. Juli 1919 ein Friseurgeschäft gegründet hat. Auch in der Sagerstraße. Nur einige Häuser weiter oben.

„Ich bin in dritter Generation in diesem Beruf tätig“, sagt sie und erzählt, dass sie das Haareschneiden bei ihrem Vater gelernt hat. „Ein halbes Jahr war ich bei ihm in der Lehre, die anderen zweieinhalb dann an anderen Stationen.“ Als Gesellin, fährt Ursel Kohl mit ihrem Werdegang weiter fort, habe sie zweimal Saisonarbeit absolviert, dann sieben Jahre in einem Damensalon gearbeitet und sei anschließend dreizehn Jahre im väterlichen Betrieb tätig gewesen. Als ihr Vater vor 33 Jahren in den Ruhestand gegangen ist, hat sie sich selbstständig gemacht. Und weil sie im väterlichen Geschäft schon in der Herrenabteilung gearbeitet hatte, blieb sie auch gleich dabei, wenn auch später in einem andern Ladenlokal. Dieser neue Standort war etwas kleiner, bot Platz für zwei Stühle: „Einer zum Haarewaschen, den anderen zum Schneiden.“ Bis zur Rente hat sie in Vollzeit gearbeitet, heute hat sie ihren Salon noch an drei Tagen geöffnet: Mittwoch, Donnerstag und Freitag. „Ich habe weitergemacht, weil mich die Kundschaft darum gebeten hat.“ Die Kundschaft, die sie quasi geerbt habe. „Das ist wie eine Familie. Deshalb lasse ich das offen. Da mache ich mir jetzt jedenfalls noch keine Gedanken.“

Wenn man sich im Salon umschaut, fällt auf, dass sich hier keine Haarschneidemaschine findet. „Ich mache keinen Maschinenschnitt“, sagt Ursel Kohl freundlich aber bestimmt, „hier geht alles in Handarbeit. Mit Kamm und Schere“.

Und sie betont, obwohl sie niemandem, aber auch wirklich niemandem aus ihrer Zunft zu nahe treten wolle, „dafür habe ich keine drei Jahre gelernt, um mit der Maschine einfach so über den Kopf zu fahren“. Jeder Kopf, erklärt sie, habe seine eigene Form, seine eigenen Ecken und Rundungen. Da könne man nur mit Kamm und Schere eine richtige, ausgeglichene und angepasste Haarfläche schaffen. Über Mangel an Kundschaft kann sich Ursel Kohl nach eigenem Bekunden nicht beklagen. Wie viele Kunden über den Tag verteilt ihren Salon besuchen, da möchte sie sich allerdings nicht festlegen, auch nicht mal geschätzt. „Aber ich habe hier in meinem Salon wirklich keine Langeweile.“ Auch bei Auskunft über ihre Preisgestaltung hält sie sich dezent zurück und meint lediglich: „Ich nehme seit Jahr und Tag denselben Preis.“ Ansonsten sagt sie noch, dass sie auf ein Zubrot zur Rente nicht angewiesen sei.

Zwei Friseurstühle. Und zwei Spiegel. Das reicht ihr. Dazu kommt noch das Porträt eines jungen Mannes, das seit Anbeginn, also seit vierzehn Jahren zur Straße hin im Fenster hängt. Mit einem Haarschnitt, der an Zeiten von Boygroups wie „Take That“ und „Caught in the Act“ denken lässt. Und trotzdem recht zeitlos daherkommt. Dieses Foto auszutauschen, einen neuen Rahmen zu beschaffen, das wäre ihr einfach zu lästig. Zumal sie dann womöglich auch noch einen neuen Platz für die Rückseite suchen müsste. Auf der zu sehen ist ein altes Foto, das ihren Großvater samt einem Nachbarn vor dem frisch gegründeten Herren-Salon Kohl zeigt. Der Schriftzug übrigens damals wie heute in gleicher Buchstabentype – auch das vererbt.

Ursel Kohls Kunden sind in erster Linie Herren. Damen „mit kurzem Haar“ werden aber auch bedient. „Erst heute sind zwei hier gewesen.“ In jedem Fall ausgeschlossen sind aber – sowohl für Ihn, wie auch für Sie – Dauerwelle, Färben, Strähnchen und so weiter. Es bleibt bei der Angebotspalette: Waschen. Haarschneiden. Mit Kamm und Schere. Punkt. Nun ja, gelegentlich stutzt sie einem Kunden auch den Bart. Und wo oder von wem lässt sie sich selbst das Haar schneiden? „Das mache ich selber.“ Das überrascht dann doch. „Ja, ich weiß doch, wie das geht. Vorne, an den Seiten. Hinten ist auch kein Problem. Das mache ich blind.“ Allerdings, gibt Ursel Kohl lächelnd zu, „einmal im Jahr vertraue ich mich da auch einem Kollegen an“.

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