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Kito Vegesack Syrer vertonen Wehmut und Absurditäten

Die Zollhausboys treten am Sonntag,14. Oktober, im Vegesacker Kito auf. Unter der Regie von Pago Balke haben vier junge Syrer und Gerhard Stengert das ergreifende und amüsante Programm erarbeitet.
11.10.2018, 14:25 Uhr
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Von Imke Molkewehrum

Mit „klopfendem Herzen und einer Gitarre“ kam der Schauspieler und Regisseur Pago Balke vor drei Jahren ins Zollhaus in der Bremer Überseestadt. Hier waren damals 60 minderjährige Jungs untergebracht, die unbegleitet aus ihren Heimatländern geflüchtet waren. „Ich wollte mit denen was auf die Beine stellen“, sagt der 64-Jährige. Aber der Anfang war eher holprig. „Ich war ja für die nur ein alter Knacker.“

Diesen ersten Eindruck bestätigt Shvan Sheikho aus Aleppo. „Er hat uns damals ein Lied von Pur gezeigt. Das war ganz nett, aber auch langweilig“, sagt der 19-Jährige. Also haben die meisten Jungs lieber ferngesehen oder am Handy gedaddelt. Aber Pago Balke gab nicht auf und konnte vier Jugendliche für die Musik begeistern.

Seit 2016 stehen sie als die Zollhausboys nun regelmäßig auf der Bühne. Bis dato kamen rund 7000 Zuschauer. Am Sonntag, 14. Oktober, treten sie um 20 Uhr im Kito Vegesack auf. Neben Pago Balke und Shvan Sheikho agieren Azad Kour, Ismaeel Foustouk, Delyar Hamza und der Percussionist Gerhard Stengert.

„Am Anfang hatten wir das Gefühl, das wird nichts. Und zur Not hauen wir ab“, gesteht Shvan Sheikho heute, lächelt verschmitzt und sagt zu Pago Balke: „Wir haben dir nicht geglaubt, dass du schon einen Namen hast.“

Der fasst sich an den Kopf: „Wie bitte? Bin ich hier der einzige naive Optimist gewesen?“, fragt der Entertainer verblüfft und guckt Shvan Sheikho entgeistert an. Der 19-jährige Syrer erinnert an einen Open-Air-Auftritt der Zollhausboys am Übergangswohnheim Port-Hotel. „Da war es so windig, man konnte sowieso nichts verstehen.“

„Ja, da hatten wir einen schlechten Auftritt“, räumt Pago Balke ein. Später gaben sie dann ein Gastspiel bei der„Diversity Tafel“ von Werder Bremen. „Da gab es Spargel und Schinken, aber die Jungs hatten Ramadan und durften erst zwei Stunden später essen.“ Kurzerhand hätten sie diverse Leckereien in den Gitarrenkoffern verstaut und nach Sonnenuntergang verspeist.

Irgendwann entstand die Idee für ein abendfüllendes Programm. „Aber wir hatten nicht genügend Stoff, denn wir wollten ja textlich und musikalisch auf hohem Niveau arbeiten“, sagt Pago Balke. „Und ich wollte nicht, dass die Jungs den Mut verlieren.“ Daher hat er vor der Uraufführung eine Werkstattaufführung mit anschließender Diskussion in seinem Heimatort organisiert.

„Die Aufführung hat uns gutgetan“, versichert Sheikho heute. „Wir waren motiviert, hatten aber erst nach der Premiere das Gefühl, dass das Stück funktioniert.“ Die Eltern in Syrien seien zwar erfreut, „aber die wissen nicht, wie groß das hier ist“, sagt der 19-Jährige.

Ganz offenbar trifft das musikalisch-satirische Programm der beiden Deutschen und vier „Bremer Neubürger“ den Nerv der Zeit. „Es ist gigantisch, was wir in Bremen für einen Zulauf hatten“, findet Balke, der für seine geflüchteten Jungs extra ein Lied geschrieben hat: „Ich zieh vor euch den Hut“. „Darin zolle ich ihnen meinen Respekt für die Kraft, die sie als Geflüchtete mitbringen“, so der Schauspieler. „Das ist mein Lieblingsstück“, betont Shvan Sheikho, der auch dank der Proben im Nu Deutsch gelernt hat.

In den authentischen Liedern, Tänzen und Dialogen geht es um ganz persönliche Erlebnisse der Syrer, um Rechtspopulismus, aber auch um die Bremer Stadtmusikanten. Mal ist das Programm heiter, mal ergreifend. „Am Anfang war es für die Jungs aber nicht einfach, die eigene Geschichte zu erzählen“, sagt Pago Balke. Shvan Sheikhos Geschichte über seinen Vater trägt den Titel „Männer weinen nicht“ und zählt laut Pago Balke zu den besonders berührenden Programmpunkten.

Ebenso wie Ismael Foustoks Beitrag „Aleppo“, in dem der Syrer von den Basaren der Stadt erzählt und von einem kleinen Hügel, auf dem er früher gern gegrillt und gechillt hat. In „Coming from Aleppo to Paradice“ erzählt Foustok zudem von seiner Flucht, im Schlauchboot, die buchstäblich im Paradice endete: Im Bremer Eislaufstadion, das als Flüchtlingslager fungierte.

Der Humor kommt im Programm nicht zu kurz, wobei Shvan Sheikho gesteht, dass er Ironie und Sarkasmus nicht immer verstehen kann. „Dafür liegen die Jungs aber manchmal vor Lachen unterm Tisch, und wir wissen gar nicht, worum es geht“, sagt Balke. „Das ist einfach wunderbar.“

Shvan Sheikho empfindet Bremen inzwischen als seine zweite Heimat. „Wenn ich mal weg bin, kann ich das nicht länger als eine Woche aushalten“, sagt er. Richtig angekommen sei er aber, als ihn ein Passant im Viertel erkannte und sagte: „Du bist doch einer von den Zollhausboys!“

Info

Zur Sache

Auftritt im Kito

Die Zollhausboys sind eine Gruppe von vier jungen „Bremer Neubürgern“ aus Aleppo und Kobanê, die gemeinsam mit dem Schauspieler und Regisseur Pago Balke und dem Musiker Gerhard Stengert ein musikalisch-kabarettistisches Programm erarbeitet haben, das teilweise auf Erlebnissen der geflüchteten Jugendlichen basiert. Am Sonntag, 14. Oktober, treten sie im Kito, Alte Hafenstraße 30, auf. Die Karten kosten im Vorverkauf 19 Euro, an der Abendkasse 21 Euro.

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