Das Theresienhaus an der Weserstraße ist bald Geschichte. Das frühere Kinderheim der katholischen Kirche soll in der zweiten Jahreshälfte abgerissen werden. An seiner Stelle ist eine exklusive Wohnanlage mit dem Namen "Bellevue" geplant – ganz nach dem Vorbild der "Ulrichs Villa", die nur rund 200 Meter entfernt ist und ebenfalls von der Firma Nord-Bau errichtet wurde.
Vegesack. 15 Wohneinheiten mit Tiefgarage, Investitionsvolumen von rund 8 Millionen Euro, Fertigstellung im Frühjahr 2015: Das sind die wichtigsten Daten des Bauvorhabens in Vegesacks bester Lage. Weichen muss dafür ein Gebäude, das mit seiner Neo-Renaissance-Fassade zum Kernbestand der historischen Bausubstanz der Weserstraße gehört: das Theresienhaus. Die Nord-Bau hat es dem katholischen Bistum Hildesheim abgekauft, das in dem Gebäude über viele Jahrzehnte ein Kinderheim betrieb und bis 2007 noch mit seinem Hilfswerk Caritas präsent war. Seither stand das Haus leer.
An Bemühungen, es zu revitalisieren, hat es nicht gemangelt. Mehrere Bauunternehmen und Architekten versuchten sich vergeblich an der Aufgabe, zumindest die Fassade zu erhalten und dahinter ein Wohngebäude für gehobene Ansprüche zu realisieren – entweder durch Umbau der Bestandsimmobilie oder durch deren Abriss und Neubau. Als größtes Problem erwies sich die Differenz zwischen den Geschosshöhen, die die Fassade aus den 1880er Jahren vorgibt, und denen, die heutzutage üblich und wirtschaftlich sind. Am nächsten kam der Realisierung wohl ein Entwurf des renommierten Bremer Architekten Manfred Schomers. Er war eng mit dem Bauamt Bremen-Nord abgestimmt und sah neben dem Erhalt der Fassade auch die Rekonstruktion des Original-Dachs vor. Eine mittelständische Baugesellschaft aus Hildesheim verlor jedoch nach längerem Hin und Her das Interesse an dem Projekt und reichte es an einen größeren Baukonzern weiter, der es neu durchrechnete – und dann ebenfalls verwarf.
"Beim Erhalt der Fassade hätte es in jedem Fall Wohnungen mit Höhendifferenz und ein Souterraingeschoss gegeben", sagt Nord-Bau-Geschäftsführer Olaf Mosel. Doch welcher ältere, wohlhabende Immobilienkäufer will ins Souterrain oder eine nicht barrierefreie Wohnung? Keiner, ist Mosel überzeugt. Erhalt der Fassade und Vermarktung eines Umbaus seien zwei Ziele gewesen, die sich letztlich ausgeschlossen hätten.
Der Bauausschuss des Vegesacker Beirates hat sich zwischenzeitlich mit dem Nord-Bau-Entwurf befasst und ihn durchgewinkt. Auch das Bauamt Bremen-Nord wird sich nicht querlegen, wie Behördenchef Maximilian Donaubauer im Gespräch mit dieser Zeitung ankündigte. Donaubauer ist von dem Design zwar nicht überschäumend begeistert, sieht aber keinen Grund mehr, der Nord-Bau die Genehmigung zu versagen, nachdem das Unternehmen in der Planungs- und Abstimmungsphase bereits einige Nachbesserungen vorgenommen hat.
Donaubauers Amtsvorgänger Christof Steuer hatte sich noch vehement für den Erhalt der historischen Bausubstanz ins Zeug gelegt. "Das kommt nicht in Frage, Punkt", legte er sich 2007 fest, als die Immobilienverwalter des Bistums Hildesheim erstmals laut über einen Abriss nachgedacht hatten. Doch auf Steuers kernige Ansage folgten sechs Jahre Leerstand, und die geben den heutigen Investoren ein schwer zu widerlegendes Argument an die Hand, mit dem sie eine Ausnahme vom Erhaltungsgebot beantragen können, das im gültigen Bebauungsplan festgeschrieben ist.
Denkmalschutz spielte beim Theresienhaus nie eine Rolle. Landeskonservator Georg Skalecki hatte bereits 2012 deutlich gemacht, dass er dem Gebäude keinen hohen Stellenwert beimisst. Für ihn ist das Theresienhaus historistische Massenware, an der obendrein seit den 1880er Jahren mehrfach herumgepfuscht worden sei.
KOMMENTAR
Misslungener Entwurf
VON JÜRGEN THEINER
Bald klafft eine weitere Lücke in der historischen Bausubstanz der Weserstraße. Bei dem Gedanken, dass die Rammkugel gegen das imposante Portal des Theresienhauses kracht, wird manch geschichtsbewusstem Vegesacker das Herz bluten.
Die Crux ist, dass der Erhalt schützenswerter Architektur wirtschaftlich zumutbar sein muss. Und da sprechen sechs Jahre Leerstand eine deutliche Sprache. Schon der Altbesitzer – die katholische Kirche – wusste mit dem Gebäude nichts mehr anzufangen. Danach verhoben sich mehrere Baufirmen und Architekten an der Aufgabe, dem Theresienhaus eine Zukunft als exklusive Wohnanlage zu verschaffen. Wenn nun ein neuer Investor einen radikalen Schnitt macht, ist das zwar bedauerlich, aber nachvollziehbar.
Eine ganz andere Frage ist, ob die Nord-Bau mit ihrem Entwurf dem gestalterischen Anspruch gerecht wird, der sich aus der exponierten Lage des Grundstücks ergibt. Die Antwort lautet: nein. Das Design wirkt bieder, die Fassade kaum gegliedert, das Dachgeschoss verrät nichts außer dem Wunsch nach maximaler wirtschaftlicher Ausnutzung. Das Portal – als Reminiszenz an das Theresienhaus gedacht – erscheint nur als aufgeklebter Zierrat. Man muss nicht in der Fachwelt zu Hause sein, um zu erkennen, dass aus solchen Zutaten kein stimmiges Ganzes entsteht. Bei der Nord-Bau sollte man deshalb noch einmal in sich gehen. Wenn das Theresienhaus schon weichen muss, dann nicht für historisierende Konfektionsware, sondern für eine mutige Gegenwartsarchitektur.
juergen.theiner@die-norddeutsche.de