Bremen-Nord. Das Videoportal Tiktok bestimmt derzeit – vor allem für Jugendliche – die App-Landschaft. Der amerikanische Popsänger Jason Derulo fand zum Beispiel auf der App den Beat eines 17-jährigen aus Neuseeland so gut, dass er daraus einen Song gemacht hat. Die Sängerin Abigail Barlow wurde durch Tiktok erst richtig bekannt: Sie sang ihren Song „Heartbreak Hotel“ ein, der mittlerweile auf Spotify über zwei Millionen Aufrufe hat.
Zu finden sind auf Tiktok inzwischen längst nicht mehr nur Tanz- und Musikvideos, auch Medien wie die Tagesschau haben einen Tiktok-Kanal. Sängerin Lena Meyer-Landruth oder Moderatorin Rebecca Mir haben mehr als 500 000 Follower auf ihren Kanälen.
Im Jugendfreizeitheim Alt-Aumund ist dieser Trend ebenfalls angekommen. Auch das Freizi hat einen eigenen Tiktok-Kanal. Diesen bestücken Jugendliche aus einer Gruppe, die sich zuletzt jeden Tag getroffen hat. Die Idee zu der Gruppe ist in Kooperation mit dem Martinsclub entstanden. „Ich habe vorgeschlagen, eine inklusive Gruppe zu gründen, aber die Idee zu dem Thema kam von den Kindern selber“, erzählt Marco Bianchi vom Martinsclub. Über Fördergelder der Wilhelm-Kaisen-Bürgerhilfe wurden zwei Tablets gesponsert, so müssen die Kinder nicht mit ihren eigenen Geräten arbeiten.
„Das Thema Social Media und Kinder und Jugendliche ist natürlich ein wenig heikel. Aber die Idee kam von den Kindern, alle in der Gruppe hatten bereits vorher die App auf ihrem Handy“, sagt Nadja Lisowenko vom Freizi. Die App werde also ohnehin genutzt, die Gruppe begleitet die Nutzung spielerisch. Lisowenko findet es wichtig, Themen, mit denen die Jugendlichen sich beschäftigen, nicht einfach zu verurteilen oder wegzuschieben, sondern sie pädagogisch aufzugreifen. „Wir reagieren darauf, was die Jugendlichen machen möchten“, sagt sie. „Wir sehen aber auch die Gefahren und das ist einer der Hauptgründe, warum wir das Angebot machen.“ Die Freizi-Mitarbeiter wollten das Thema begleiten – auch kritisch.
Auch die jungen Nutzer selbst sehen das Videoportal ihren Worten nach kritisch. So sei zum Beispiel das Thema Mobbing in der Gruppe mehrfach thematisiert worden. Es werden nicht alle Videos hochgeladen, die in dem Seminar gefilmt werden. Und keiner, der nicht möchte, muss vor die Kamera. „Viele Kinder sagen von sich aus: Ich muss gut überlegen, ob ich etwas hochlade, weil ich dann mit den Kommentaren leben muss“, erzählt Nadja Lisowenko. Aufgabe der Freizi-Mitarbeiter sei es, Aufklärungsarbeit zu leisten. Aber auch die Jugendlichen selbst klären auf. Ihr Verständnis der App – was gerade angesagt ist und welche Lieder im Trend sind – ist oft tiefer als das der Betreuerinnen.
Inhalt der App sind kurze Videos im Hochformat, die meist nur um die 15 Sekunden lang sind. Oft sind Tänze oder sogenannte Challenges zu sehen. Bei diesen Herausforderungen werden App-Nutzer animiert, Aktionen oder Tätigkeiten nachzumachen. Das können Herausforderungen sein, wie diese: Gestehe einem Freund, dass du dich in ihn verliebt hast und filme das Ganze. Aber auch harmlosere Herausforderungen wie Koch-Challenges sind im Trend. Im Freizi Alt-Aumund stellen die Jugendlichen an diesem Tag genau so eine Back-Challenge nach: Die Gruppe hat über Tiktok ein Rezept für Kekse mit Nougatcreme gefunden und filmt die Kochsituation. Die Mädchen und Jungen nehmen das Video aus der App als Vorbild. Damit das Video nicht die maximale Länge von 60 Sekunden überschreitet, nehmen sie jeden Schritt nur wenige Sekunden lang auf. Die Gruppe teilt die Aufgaben unter sich auf: Lara hält die Kamera, Clara den Topf, Isabela gibt die Smarties dazu, Mario das Backpulver und Sophie rollt den Keksteig aus.
Die Gruppe kannte sich vor dem Seminar nicht, mittlerweile haben sich die Jugendlichen angefreundet. Sechs Videos hat die Gruppe auf dem Tiktok-Kanal des Freizis veröffentlicht. In den meisten tanzen die Mitglieder. „Teilweise braucht man echt lange, um die Videos zu filmen. Es dauert ein wenig, bis sich alle zum Lied synchron bewegen und man zufrieden mit dem Video ist", erzählt Carla. Oft bedeute das Bearbeiten und Schneiden nach dem Filmen noch mehr Arbeit. Aber es lohne sich, die Geduld zu haben, wenn das Endergebnis schließlich gut sei.
Die Gruppe entscheidet zusammen mit den Betreuern, welche Tänze oder Szenen gefilmt werden. „Es gibt ja auch Prank-Videos, in denen teilweise Gewalt eine Rolle spielt – darüber reden wir und zeigen Grenzen auf“, sagt Lisowenko. Pranks sind Streiche, die häufig auf Kosten anderer gemacht und gefilmt werden. Durch die Auseinandersetzung mit der App lernen die Jugendlichen einen bewussteren Umgang mit Tiktok und auch mit den Inhalten, die sie privat hochladen, betont die Freizi-Mitarbeiterin.
Die Gruppe hat sich dafür entschieden, den Tiktok-Kanal auch nach Abschluss des Seminars weiterzuführen. Das Freizi plant, die Tiktok-Gruppe im Herbst erneut anzubieten und sie dann vielleicht sogar langfristig in das Programm aufzunehmen.
Weitere Informationen
Weitere Informationen im Internet auf www.freizi-bremen.de.